DK/USA/GB/S 2002 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Thomas Vinterberg Drehbuch: Mogens Rukov, Thomas Vinterberg Kamera: Anthony Dod Mantle Darsteller: Joaquin Phoenix, Claire Danes, Sean Penn, Douglas Henshall u.a. |
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Joaquin Phoenix und Claire Danes |
Man sieht nur ihr Gesicht. Fast zu nahe fährt die Kamera über Mund und Nase, dann über ihren Körper, der in ein zeitlos-klassisches Kostüm gehüllt ist, von Chanel möglicherweise. Im Hintergrund, das Fenster ist offen, fällt Schnee. »Es schneit« sagt sie, und der Kamerablick wischt von ihr weg zur Seite, ins Dunkle. Ein andermal geht sie ganz im Bademantel über den holzgetäfelten Gang eines Hotels. An der Seite leuchten Art-Deco-Lampen. Man kennt solche Räume aus dem Kino der 40er. Dann wieder steht sie verloren, mit hochdrapiertem Haar auf einer Party herum, Angst und Verunsicherung ins Gesicht geschrieben. Und noch einmal, fast gegen Ende, in einer wilden Winterlandschaft sieht man ihren Mund, jeden Atemzug mit einer Kondenswolke begleitend.
Es gibt ein paar perfekte Einstellungen in diesem Film; lange ist keine Schauspielerin so schön photographiert worden, wie Claire Danes in It´s All About Love von Thomas Vinterberg. Offenbar liebte der Regisseur seine Darstellerin so sehr, dass er sie, die hier einen Weltstar, die erfolgreiche polnische Eislaufkünstlerin Elena spielt, sogar vervierfacht: Gleich drei nahezu perfekte Doppelgängerinnen, tauchen auf, nur durch ganz kleine Makel von der
natürlichen Schönheit des Originals unterscheidbar: Ein Goldzahn bei der einen ist noch der offensichtlichste.
In einer Szene, der wunderbarsten, traumartigsten des Films lässt Vinterberg sie alle vier – mit Hilfe der Computertechnik ist das heute spielend einfach – zusammen auftreten: Im rosa Kostüm laufen sie zu viert einige lange Sekunden auf dem Eis, begleitet von einer Opernarie. Dann fallen Schüsse wie aus dem Nichts, und die Star-Klone werden wie Wild brutal
abgeschossen. Blut und Hirnmasse mischen sich auf dem Eis, doch nach kurzem Schock scheint das Leben schnell wieder fast normal weiterzugehen.
Dieser Moment, in dem sich Verstörung und Beiläufigkeit mischen, ist typisch für das, was Vinterberg in seinem neuen Film tut. Statt der Hand-Kamera der Gruppe »Dogma 95«, die Vinterbergs letzten Film Festen prägte, mit dem er in Cannes gewann und berühmt wurde, wackelt jetzt die ganze Welt: In der gar nicht so fernen Zukunft des Jahres 2021 angesiedelt, beschreibt er ein Leben, das unrettbar
aus den Fugen geraten ist, eine apokalyptische Szenerie: Auf den Strassen New Yorks liegen tote Menschen herum, als wäre es das normalste in der Welt, gestorben sind sie an »gebrochenem Herzen« heißt es. In den Seelen der Figuren spiegelt sich das Chaos der Welt. »Kosmische Störungen« bringen die physikalischen Gesetze durcheinander, es schneit im Sommer, und die Menschen in Afrika erheben sich sanft in die Höhe, weil sie die Schwerkraft verlieren.
Das passiert auch diesem Film
manchmal, dessen Story zu absurd und mitunter konfus ist, um sich nacherzählen zu lassen. Sehr grob gesagt, geht es darin um John (Joaquin Phoenix), einen polnischen Schriftsteller, der die Liebe zu seiner, von ihm getrennt lebenden Frau – jener Eisprinzessin Elena – wieder entdeckt, und sie aus den Klauen ihres undurchsichtigen Managements befreien will, dass die herzkranke Elena ausbeutet. Doch das mafiose Syndikat will den Ausstieg nicht zulassen, und trachtet den beiden
nach dem Leben. Jeder in ihrer Umgebung könnte ihr Feind sein, also müssen sie sich heimlich aus dem Staub machen – Liebe auf der Flucht; fast die Essenz des Kinos, die in diesem Fall, wie schon in Soderberghs atmosphärisch verwandtem Solaris, auch die Hoffnung auf eine zweite Chance der Liebe enthält.
In »Apokalypiker und Integrierte« hat Umberto Eco einmal seine Mitmenschen eingeteilt, und wenn das stimmen sollte, dann gehört Vinterberg bestimmt zur ersten Gruppe: Gern erzählt er – klug genug zu wissen, dass er dabei auch über sich selbst sprechen muss – in Interviews von den Leiden des Jet Sets, die in einer – westlichen – Welt, wo jeder mindestens einen Hauch von Glamour atmet, zum Massenphänomen werden: Einsamkeit, Ortlosigkeit, die Liebesfernbeziehungen, die sich außer auf Wochenendsex im Zweiwochenrhythmus, SMS-Austausch und auf mitternächtliche Telefongespräche beschränken, vom Untergang der Welt durch den Tod der wahren Empfindung. Ein Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit also – wer paranoid ist, hat recht, lautet Vinterbergs Prämisse für diesen Film, und wüsste man es nicht besser, man würde nie darauf kommen, dass It´s All About Love und der Welterfolg Festen vom gleichen Regisseur stammen.
It´s All About Love ist ein Liebesthriller voller Todestrieb, mit offenkundigen Anleihen gleichermaßen an Hitchcock und Kieslowski, geprägt von romantischer Motivik – Doppelgänger, Eislandschaft, Untergang, Traum, Sehnsucht, Liebestod –, erzählt als Vision eines Sterbenden über »die letzten 7 Tage meines Lebens«: »Der dänische Patient«, gedreht an prächtigen Sets, gefasst in hypnotische Cinemascope-Bilder, allen Dogma-Regeln widersprechend. Das Drehbuch schrieb Vinterberg gemeinsam mit Mogens Rukov, seinem Ex-Professor an der Filmhochschule, der auch bei Festen und dem Dogma-Film Kira beteiligt war – wie auch Kameramann Anthony Mantle. Doch für das Production Design war Ben van Os, der Ausstatter Peter Greenaways zuständig, und die Musik stammt vom Kieslowski-Komponisten Zbigniew Preisner. Sie passt mit ihren elegischen Melodien ausgezeichnet zu Vinterbergs Absicht, das Kino als Traumfabrik wörtlich zu nehmen, auch wenn es sich hier oft um Alpträume handelt: Manchmal glaubt man einen Drogentrip zu erleben, und etwas (Selbst-)Ironie, überhaupt Humor hätte nicht geschadet. Doch die Apokalypse braucht den Ernst, und so scheint das »End of Irony« endgültig auch im Kino angekommen. Wirklich störend wirkt aber nur Sean Penn, der mit viel osteuropäischem Akzent Johns Bruder, einen Dissidenten spielt, der gottgleich über den Wolken einen »Bericht über den Zustand der Welt« schreibt: Wie das Gelaber eines Bekifften, der einen auf einer Party zuquasselt: »Es hängt alles irgendwie zusammen, alles zusammen«.
Vielleicht ist es naiv, wenn dieser Film sagen will, dass die wahren Gefühle verschwinden und wir alle irgendwie unecht leben, dass Computer und Technik die Menschen dumm machen. Doch er tut dies mit atemberaubenden – und perfekt computerdesignten – Bildern, die viel entdecken lassen – ein visionärer Trip, der sich am Besten als zweistündige psychodelische Traumsequenz verstehen und akzeptieren lässt.