Deutschland 2001 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Nicolette Krebitz Drehbuch: Nicolette Krebitz Kamera: Bella Halben Darsteller: Nicolette Krebitz, Oskar Melzer, Marc Hosemann, Angie Ojciec u.a. |
Es gibt Jungs, die haben einfach immer Glück. Oschi ist so einer. Und schlimmer noch: er weiß es gar nicht. Mit seinen großen braunen Kulleraugen guckt er die Mädchen an, und fast immer trifft er sie mitten ins Herz. Aber dann tut er weiter nichts, sondern überlegt nur, ob und wann es Zeit ist, »den nächsten Gang reinzuschalten«, wie er es dann seinen Freunden erzählt, mit denen er am Lagerfeuer beim Bier liegt. Liegen, rumhängen – dafür, dass Jeans nur eineinhalb Stunden lang ist, tun das die Jungs und Mädchen hier erstaunlich oft. Und dafür, dass es sich bei dem Film um das Regiedebüt einer jungen Frau, der Schauspielerin Nicolette Krebitz handelt, wird die Geschichte erstaunlich stark aus der Perspektive zweier junger Männer erzählt.
Die Geschichte? Genaugenommen kann man das so nicht nennen. Irgendwie geht es zwar um die beiden, um Oschi (Oskar Melzer) und Marc (Marc Hosemann). Man sieht sie mal hier, mal da in Berlin, Zeitung lesen, über die Straße gehen, miteinander quatschen. Und meistens gucken sie irgendwelchen Mädchen hinterher, und wenn ein Film das so dicht und genau und ungestelzt beobachtet, wie hier, dann ist ihm schon mehr gelungen als vielen anderen im deutschen Kino. Aber eine richtige Geschichte wird es trotzdem nicht, und vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis des Films verborgen, jene untergründige Botschaft, die Jeans für die einen so attraktiv macht, und die anderen aggressiv werden lässt. Denn der Film »tut nicht so«, gibt nicht vor, sich um die Regeln, die man an der Filmhochschule lernt, um Storytelling und Schnitthandwerk viel zu kümmern, ebenso wenig, wie um Fragen nach Zielpublikum und ähnliches.
Jeans ist ein Flanier-Film, der seine Szenen lose aneinandergeknüpft, fragmentarisch und offen, häufig in langen, photographisch-ruhigen Einstellungen. Manchmal gibt es minutenlange Passagen, in denen die Dialoge verschwinden und elektronische Pop-Songs laufen, und der Film in einen psychedelischen Trance aufzugehen scheint. Dann wieder kommt es zu schnellen humorvollen Momentaufnahmen aus der Berliner Nacht, Stimmungsbildern eines Deutschland jenseits vom Gerede über Krise, Lohnnebenkosten und Bombenkrieg. Den Film unter »Spaßgesellschaft« zu subsumieren, wäre aber ebenso falsch – er entzieht sich solchen Einordnungen, in dem er sie immer schon aufgehoben hat. Vielleicht ist genau das Pop. Jedenfalls wird zwischendurch neben vielem anderen auch einmal eine längere Passage von Don de Lillo vorgelesen, in der er über das Wesen des Supermarkt schreibt; daneben findet man auch Anspielungen auf Houellebecq und einen Auftritt des Schriftstellers Rainald Goetz als wandelndes Selbstzitat. Leider wurde die Fassung, die jetzt in die Kinos kommt gegenüber der Festivalkopie noch einmal um ca. 10 Minuten gekürzt – was dem Film nicht nutzt, weil es ihn straighter macht, als er sein will, und ihn einiger kleiner Sprünge und Abgründe beraubt, die ihm gut taten (etwa die Szene, in der Jana Pallaske Großmutter beim Teigkneten davon erzählt, wie sie einst Plätzchen für die Wehrmacht buk, hätte nicht wegfallen dürfen.) Ein gewisses Durcheinander, seine Sprunghaftigkeit und Doppelbödigkeit – das hier alle sich selber spielen und dann doch nicht –, die Mischung aus Anspielung, Zitat, intellektuellem Spaß, kurz: absoluter Künstlichkeit und der Beobachtung schlichter Spontaneität machen genau den Reiz aus. Wenn Jeans funktioniert, dann gewiss nicht als ambitioniertes Teenie-Vergnügen, sondern eher wie ein Godard-Film: Er macht dem Zuschauer Angebote, präsentiert Fragmente, interessiert sich nicht für lineare Narration, sondern für Vorstellungen und Situationen. Ein Film müsse einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, meinte Godard einmal, »aber nicht notwendig in dieser Reihenfolge«, Jeans erinnert auch an eine gute CD, mit der man gern 90 Minuten verbringt: Bestimmte Passagen oder Lieder mag man besonders gern, andere nicht so.
Was Jeans interessant macht, ist, dass das Unprätentiöse an ihm keine Pose ist. Kein Verleih, kein Produzent, keine Filmförderung war mit im Boot, kein Drehbuch existierte, sondern einfach nur ein paar Ideen und die Lust der Regisseurin am Experiment. Auch die Verwendung der Digitalkamera hat tatsächlich nur ökonomische Gründe. Und so dauerte es auch mehr als eineinhalb Jahre nach Fertigstellung, bis sich, ermutigt durch den Erfolg bei den Hofer Filmtagen, im Frühjahr mit dem von Tom Tywers und Dani Levy gegründeten X-Verleih doch noch einer fand, der Jeans ins Kino bringen wollte. Damit kommt ein Film auf den Markt, der überraschend gut in die Zeit passt. Mit dem Entstehungsjahr 2000 fast schon ein historisches Dokument, scheint Jeans doch gerade da, wo er zwischen Perspektiven und Atmosphären hin- und her wechselt, Schwermut und Hedonismus in ihrem Nebeneinander zeigt, ins Herz der Gegenwart zu treffen, und sozusagen die Krise im Inneren der Krise bloßzulegen. »Ich glaub' mit unseren großen Unternehmungen wird das jetzt nix mehr.« sagt einmal Rainald Goetz am Lagerfeuer, und man denkt an einen Popsong: »Wie lange sollen wir noch warten, bis wieder bessre Zeiten starten?« Eine tiefe Melancholie liegt in diesem Film, zugleich eine Leichtigkeit in Sprache und Haltungen und die Sehnsucht nach ihr, das Wissen darum, dass alle großen Worte und die Gesten der Ernsthaftigkeit verbraucht sind. In den Blicken, die sich hier die Menschen manchmal zuwerfen, in dem Verlangen des Films nach ganz normalem Sprechen, in einzelnen Bildern der Leere, der Verwirrung und des Selbstvergessens liegt eine Authentizität, die nicht nur schön ist, verträumt, sondern in ihrer Aufrichtigkeit selten.
In all seiner Intensität bleibt Jeans immer unangestrengt und lässig; ein Chill-Out-Film, der bis zum Schluss glücklicherweise sein letztes Geheimnis nicht preisgibt. Es ist also in seiner ganzen Haltung kein typischer Film, schon gar kein typischer Spielfilm, wie er in Deutschland gemacht wird. Bei dem Titel geht es übrigens um ein Wortspiel: Es sind die »Genes«, die uns alle antreiben, und eben das Kleidungsstück, das unentbehrlich ist, obwohl die Suche nach dem perfekten Exemplar nie abgeschlossen ist. Wie mit den Jeans ist es auch mit der Liebe und dem Leben. Wir suchen weiter.