Deutschland 2008 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Petzold Drehbuch: Christian Petzold Kamera: Hans Fromm Darsteller: Benno Fürmann, Nina Hoss, Hilmi Sözer, André Hennicke, Marie Gruber u.a. |
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Armut und Amour fou |
Die Leinwand ist noch schwarz, da hört man die ersten Glocken. Eine Beerdigung. Ein Mann namens Thomas steht am Friedhofstor, es ist seine Mutter, die gestorben ist. Ein anderer kommt an, mit Limousine und Fahrer, sie waren Freunde, aber er hat Thomas Geld geliehen, das er jetzt eintreiben will. Wir erfahren, dass Thomas alles gepfändet wurde, und mit sicherem Instinkt entdeckt der Gläubiger das – schlechte – Versteck im »Limonadenbaum-Haus« im Garten aus der Jugendzeit. Dort liegen die Geldscheine bündelweise. Der Mann nimmt das Geld, Thomas wird niedergeschlagen, und liegt bewusstlos im Gras, als die Limousine wegfährt...
Genau so, mit dem Ende eines Films, den wir nie kennen werden, fängt dieser Film an: Jerichow von Christian Petzold. Ein Reh weckt den Bewusstlosen auf, wie im Märchen, und genaugenommen könnte alles, was nun folgt, auch ein Traum sein, ähnlich wie in Petzolds letztem Film Yella, indem Nina Hoss in fast der gleichen Stellung am Boden lag, wie jetzt Benno Fürmann in der Rolle des Thomas. Jerichow ist aber unromantischer, als Yella, eher ein deutscher Film Noir, der Versuch zumindest, die Motive und die Emotion des Film Noir auf deutsche Gegenwartsverhältnisse treffen zu lassen.
Ein reicher Mann engagiert einen armen Mann. Um Arbeit zu machen, die dieser nicht machen kann. Die beiden ergänzen sich gut, könnten sogar fast Freunde sein, wäre da nicht das Geld, das hier alles auslöst, alles aufrecht erhält – und die soziale Hierarchie, die aus ihm folgt. Doch auch das ließe sich womöglich überwinden. Aber der arme Mann verliebt sich in die schöne Frau des reichen Mannes. Und das Unglück nimmt seinen Lauf. Wem dieser Plot irgendwie bekannt vorkommt, der liegt nicht falsch: Wenn der Postmann zweimal klingelt..., James M. Cains Novelle, inspirierte zuerst Luchino Viscontis Ossessione von 1943, dann einen berühmten Film Noir von 1946 und Bob Rafelsons vor allem durch die Sex-Szene zwischen Jack Nicholson und Jessica Lange bekanntes Remake von 1981.
Es geht um Armut und Amour (fou), und um die schlimmen Folgen, wenn beides zusammen trifft. Der Berliner Regisseur Christian Petzold nutzte auch in früheren Filmen – Die innere Sicherheit, Wolfsburg, Yella – die Filmgeschichte als Hintergrund, den er dann ganz zeitgemäß übermalt und ausbuchstabiert. Mit seiner Interpretation des Cain-Stoffes ist Petzold nun ein Meisterwerk der Konzentration geglückt, geprägt durch jene ganz eigenartige, unverwechselbare Atmosphäre, die Petzolds Filme seit jeher und immer stärker eigen sind.
Aus drei Perspektiven erzählt Petzold eher skizzenhaft seine Geschichte: Zunächst aus der von Thomas, der gerade, arm wie eine Kirchenmaus, als Soldat in Afghanistan unehrenhaft entlassen und verfolgt von Gläubigern ins Dorf seiner Kindheit zurückgekehrt ist. Hier kommt Ali ins Spiel, der in der Gegend eine Döner-Kette aufzieht, und einen Fahrer braucht. Er mag Thomas und gibt ihm eine Chance. Das letzte Drittel gehört Laura, der Frau, die sich von Ali hat kaufen lassen, und die Thomas trotzdem nicht widerstehen kann.
Benno Fürmann, Hilmi Sözer und Nina Hoss spielen dieses Dreigestirn. Noch nie sah Fürmann so männlich aus, wie hier – ein Auftritt von hochgradiger proletarisch-körperlicher Präsenz, der an die besten Zeiten von Klaus Löwitsch erinnert. Hoss dagegen kombiniert Zerbrechlichkeit und Kälte in einer Weise, die ihren vielen Auftritten eine weitere faszinierende Facette hinzufügt. Ihre Laura ist ein Mensch, bei dem alles in ihrem Leben sich ums Geld dreht, die sich aber doch
nach ganz anderem sehnt: Nach Ruhe, nach Freiheit. Bei Ali kann sie Ruhe haben, bei Thomas Freiheit, beides aber geht nicht – das ist ihr Unglück. Die Entdeckung ist aber Hilmi Sözer, dessen Gesicht man zwar irgendwoher kennt. Aber so auftreten, so tanzen, so weich und dennoch cool sein, wie hier konnte er noch nie – das Herz eines Films über drei eigentlich schon von Anfang an verlorene Seelen, dem Hans Fromm Kamera einmal mehr französisch sommerlich anmutende Bilder gibt,
die mit analytischer Klarheit ihr Sujet bloßlegen.
Am Ende steht ein schockierender Showdown, in dem all diese drei miteinander unrettbar verstrickten Personen so viel begreifen, wie noch nie in ihrem Leben. Bleiben die Fragen des Films: Kann man sich lieben, wenn man kein Geld hat? Und was richtet die Schuld mit der Liebe an?