USA 2003 · 110 min. · FSK: ab 18 Regie: Quentin Tarantino Drehbuch: Quentin Tarantino Kamera: Robert Richardson Darsteller: Uma Thurman, David Carradine, Daryl Hannah, Lucy Liu, Vivica A. Fox u.a. |
||
Der Film der langen Messer |
Will man den Film Kill Bill einer kritischen Betrachtung unterziehen, stellt sich vorab die äußerst schwierige Frage, auf welcher Ebene man diese ansetzen soll?
Sieht man den Film im großen Zusammenhang der Filmgeschichte? Betrachtet man ihn im Bezug auf das Oeuvre Tarantinos? Wertet man Teil 1 und 2 getrennt oder als Einheit? Legt man auf einzelne Kapitel und Szenen mehr Augenmerk als auf den gesamten Film? Oder 'stellen wir uns mal janz dumm' und versuchen den Film ohne Vorgeschichte und Hintergrund ganz neutral zu sehen?
Im Sinne einer »ganzheitlichen Filmkritik« wird man speziell bei Kill Bill jeden dieser
Standpunkte kurz einnehmen müssen. Und gerade hier liegt die Crux des Films.
Unbestreitbar ist der große Schauwert von Kill Bill, der sich in grandiosen Kamerabildern und -fahrten, virtuosen Kampfszenen, akribisch genauen Reminiszenzen und knalliger Action äußert. Weitgehend mit der gewohnten Hyper-Coolness von Tarantino inszeniert, unterlegt mit einem bunten Potpourri »kultiger« Musik, angereichert mit zahllosen Verweisen auf die Filmgeschichte, entsteht ein pralles Spektakel, an dem sich Filmfreaks ebenso weiden wie Gelegenheitskinogeher, Junge ebenso wie Alte, Horrorfans ebenso wie die Arthouse-Fraktion. Die Kritiken bewegen sich zwischen verhalten gut bis frenetisch, die Besucherzahlen liegen im oberen Drittel. Hat Tarantino also den multiplen Spagat zwischen Kunst und Trash, Kommerz und Anspruch, Genrekino und Mainstream wie bei Pulp Fiction wieder geschafft?
Die Antwort auf diese Frage heißt leider nein, da Tarantino bei aller technischen Raffinesse und visuellen Fabulierlust hier fünf schwere Sünden begeht. Es sind dies Zusammenhaltlosigkeit, Uneinheitlichkeit, Offensichtlichkeit, Unmäßigkeit und Unentschlossenheit. Machen wir uns also eine Liste wie »die Braut« aka Beatrix aka Black Mamba aka Uma Thurman und haken sie der Reihe nach ab.
Das Grundsatzproblem von Kill Bill ist wohl, dass Tarantino (befeuert durch seinen Produzenten Harvey Weinstein) all das, was er will, auch darf und schließlich auch tut.
Das hat zur Folge, dass ein sagenhaftes Sammelsurium der Stile, Genres und Themen entsteht. Diese Vielfalt mag im ersten Moment beeindrucken, auf den zweiten Blick fehlt dem Film aber der Zusammenhalt. Er zerfällt in viele, mehr oder weniger gelungene Episoden, die nichts im Inneren
verbindet.
Bei Pulp Fiction gelang es, diese sonderbare Mixtur in einen verbindenden Rahmen zu setzen, zum Teil durch einzelne Personen, zum Teil durch die räumliche Klammer der Stadt Los Angeles, zum Teil durch inszenatorisches Geschick. In Kill Bill schafft es nicht einmal die allgegenwärtige Hauptfigur Beatrix einen roten Faden (der eben nicht
gleichbedeutend mit einer Blutspur ist) zu ziehen, womit wir beim zweiten Problem sind.
Kill Bill ist auf jeder Ebene uneinheitlich. Schon die beiden Teile ergeben kein harmonisches Gesamtbild, die Abschnitte und Kapitel fügen sich nicht ineinander, die einzelnen Szenen wechseln äußerst abrupt ihre Stilistik und selbst die Figuren sind kaum stringent, was am deutlichsten eben an der von Uma Thurman gespielten Hauptperson wird. Diese schwankt wahlweise zwischen eiskaltem Racheengel, naiv verliebtem Teenager, großherzigem Muttertier, unverwüstlicher Kampfmaschine, gedemütigtem Opfer, weisen Mönchen, und, und, und.
Tarantino erliegt einem verhängnisvollen Missverständnis, indem er glaubt, dass alles, wofür er sich begeistert, auch außerhalb seines Kopfes zusammenpassen muss; dass sich Kurosawa und die Shaw-Brothers, dass sich italienische Western und japanische Trickfilme, das sich Splatter und Autorenkino nahtlos aneinanderreihen lassen.
In Pulp Fiction gab es auch manch gewagten
Brückenschlag zwischen Genres, die unvereinbar schienen, doch bestach dieser Film gerade dadurch, dass er die unpassenden Einzelteile zu etwas Originären verband. Bei Kill Bill dagegen regiert das schlichte Kopieren und die Anspielung ist dem Offensichtlichen gewichen.
Denn bei aller Drastik ist Pulp Fiction doch auch ein erstaunlich diskreter, zurückhaltender, wenn nicht gar geheimnisvoller Film. Das gilt sowohl für den Inhalt, der vieles im Verborgenen beläßt (ganz typisch etwa der strahlende Aktenkoffer), als auch für die formale Umsetzung, die sich mit diskreten Zitaten begnügt.
In Kill Bill dagegen bleiben keine Fragen
offen und alle Unklarheiten, die dem ersten Teil noch zu etwas Spannung verhalfen, werden mit dem zweiten komplett und gnadenlos ausgemerzt. Mit einer aufdringlichen Offenheit wird die Motivation jeder Person erklärt, wird jede Handlung legitimiert. Unterstütz wird diese emotionelle Peepshow durch eine alles zeigende Kamera, die kaum eine Grausamkeit aber auch keine Belanglosigkeit dem Zuschauer erspart bzw. seiner Phantasie überläßt.
In Pulp Fiction äußerte Samuel L. Jackson seinen weiteren Lebensweg noch mit »I’m just gonna walk the earth....like Caine in 'Kung Fu'« und diese kleine Anspielung genügte, um beim Zuschauer eine ganze Reihe von Assoziationen auszulösen. In Kill Bill bleibt es nicht beim Verweis, da holt sich Tarantino einfach den echten »Caine« David Carradine, läßt ihn wieder
Flöte spielen, Gleichnisse erzählen und überlegen kämpfen. Noch offensichtlicher kann man es dem Zuschauer nicht präsentieren.
Entsprechend ist auch Bruce Willis legendärer Griff zum Samuraischwert in Pulp Fiction eine mindestens genau so gelungene Hommage an das Genre des asiatischen Kampfsportfilms wie Uma Thurmans endlose(s) Schlachten in Kill Bill.
Spricht man von den opulenten Kampfszenen in Kill Bill, muss man auch von Tarantinos Schwäche der Unmäßigkeit sprechen. Schlimm genug, dass die Produzenten Tarantino nicht in seiner überbordenden Stilvielfalt bremsten, so scheint es sie auch nicht interessiert zu haben, dass der Film häufig zu einer opernhaften Größe aufläuft. Diese Opulenz zeigt sich nicht nur im Aufgebot von unzähligen schreienden Kämpfern, sondern auch in manch emotionellen
Schwulst.
In Kill Bill ist alles eine Nummer größer (oder zu groß), was vielleicht dem Bezug auf Italo-Western oder dem asiatischen Kino geschuldet sein mag, was in dieser Konzentration dem Film aber jede Eloquenz austreibt und ihn zu einem behäbigen Koloß werden läßt. Vergessen die filmischen »Miniaturen« aus Pulp Fiction, wie etwa Christopher Walken und die
goldene Uhr.
Vielleicht wäre manche der beschriebenen Schwächen von Kill Bill nicht so störend, wenn Tarantino mehr Entschlossenheit gezeigt hätte.
Dass er sich stilistisch nicht für eine oder wenige Richtungen entscheidet ist schon problematisch. Noch schwerer aber wiegt, dass er sich vom Grundsatz her nicht klar ist, was er für einen Film machen will. Seinen Interviews kann man zwar entnehmen, dass ihm eine trashige Huldigung seiner großen Vorbilder vor allem im
B-Movie Bereich vorschwebte und streckenweise gelingt ihm dieses Vorhaben auch, wobei Szenen entstehen, die sich auf jedem Fantasy Filmfest bestens machen.
Aber leider kommt Tarantino zu oft der eigene Kult dazwischen. Anstatt das schlichte »just for fun« konsequent durchzuziehen, glaubt er, seinem Ruf als Wunderkind, Cannes-Gewinner und Kinoerneuerer gerecht werden zu müssen und packt deshalb noch jede Menge intellektuellen Überbau hinein, um so den Trash zu adeln. So einfach
funktioniert das aber nicht (ein Comic wird schließlich auch nicht schon deshalb zum großen Kunstwerk, weil man ihn neben ein Bild von Picasso hängt).
Tarantinos Filmbegeisterung ist eine schöne Sache, doch sollte er sich entscheiden, wie er diese zum Ausdruck bringen will. Er kann dies auf die diskret intelligente Art wie in Pulp Fiction tun oder als explizite Neuauflage (wie es momentan mit einigen Horrorklassikern geschieht) oder als huldigende Parodie wie sie etwa John Landis in seinen besten Zeiten gemacht hat oder er beschreitet den selben Weg wie Martin Scorsese und präsentiert in einem Dokumentarfilm seinen privaten filmischen und kulturellen Kosmos.
Nur alles auf einmal zu wollen, das geht (wie im täglichen Leben) leider nicht. Man muss sich Tarantino bei den Arbeiten zu Kill Bill wohl wie den kleinen Junge im Süßigkeitenladen vorstellen. Beschränkt sich dieser nicht auf einige Leckereien, sondern probiert alles querbeet durch, wird er kurzfristig seinen Spaß damit haben. Ein verstimmter Magen ist ihm dann aber genau so gewiss.