Deutschland 2018 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Philipp Eichholtz Drehbuch: Maxi Rosenheinrich, Philipp Eichholtz, Martina Schöne-Radunski, Christian Ehrlich Kamera: Fee Scherer, Manuel Ruge Darsteller: Christian Ehrich, Stella Hilb, Martina Schöne Radunski, Lana Cooper, Sebastian Fräsdorf u.a. |
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Konzentration auf den Moment |
Kaum hat sie 24 Stunden Aufenthalt in Zürich, schon ändert die Berliner Pilotin Kim kurzentschlossen ihre geschlechtliche Identität. Sie bleibt zwar eine Frau, verfügt aber nun über einen Penis, den sie sich der Neugier halber annähen ließ. Möglich macht dies das Schweizer Verfahren „Smooth Gender Transition“ – eine schmerz- und hormonfreie, vor allem aber reversible Operation. Das versichert ihr zumindest der graumelierte Zürcher Chirurg, dessen Klinik nach dem Motto »There are no genders – there are just decisions!« verfährt.
Dieses sanft-schaurige Science-Fiction-Element prägt den Grundton von Philipp Eichholtz' improvisierter Berliner Beziehungskomödie Kim hat einen Penis. Sie beweist mit erfrischender Naivität, dass trotz aller besonders in der Hauptstadt grassierenden puritanischen Gender-Ge- und Verbote für die Liebe Hoffnung besteht. Allerdings hat Kim die Rechnung ohne ihren duldsamen Freund Andreas gemacht, der einen unausgesprochenen Kinderwunsch hegt. Der zurückhaltende Lehrer zeigt sich angesichts des Schweizer Organs überrascht und leicht überfordert: »Bitte vorsichtig, der ist noch frisch!«. Die facettenreiche Martina Schöne-Radunski und Christian Ehrich spielen ein hinreißendes Liebespaar, das versucht, jenseits aller Gender-Aufgeregtheiten mit der neuen Situation zurechtzukommen. Vier Monate lang sei die Operation reversibel, beruhigt der Schweizer Professor Kim am Telefon – ein schöner surrealer Moment.
Bei dem hautfarbenen Kunststoffpenis habe es sich um das teuerste Requisit der ganzen Produktion gehandelt, erzählte der Regisseur Philipp Eichholtz beim letztjährigen Münchner Filmfest, wo Kim hat einen Penis Premiere feierte. Es handelt sich dabei um den fünften Film in der Rekordzeit von vier Jahren, den der 36-Jährige mit seinem Freundeskreis realisiert hat – auf eigene Kosten und jenseits aller Filmförderung. „Gefördert von Oma“ heißt passenderweise seine Produktionsfirma, die Oma ist mittlerweile 88. Die Idee zu dem aktuellen Film hatte sein Produzent Oliver Jerke, lange vor der Me-Too-Debatte.
Martina Schöne-Radunski als energische Pilotin fiel schon vor zwei Jahren in Irene von Albertis teils komischem, teils unentschieden mäanderndem Experimentalfilm Der lange Sommer der Theorie auf. Der Film bezieht sich mit dem Titel auf ein Buch des Historikers Philipp Felsch und begibt sich auf die Suche nach einer neuen Ethik der Gemeinschaft im ungeschlachten Hinterland des Berliner Hauptbahnhofs. Felsch tritt als Interviewpartner zum Thema Selbstoptimierung auf. Diese handgestrickte Theorieerkundung vom Staatsfeminismus über „Berlin als Stadtkörper“ erinnert auf sympathische Weise an die Küchentisch-Debatten in Rudolf Thomes Berlin Chamissoplatz von 1980. Und genau diese heiter-experimentelle Atmosphäre gelingt auch Kim hat einen Penis in seinen besten Momenten, besonders nach dem Einzug von Anna (Stella Hilb). Sie hat sich gerade von ihrem Partner getrennt, weil er eine andere schwängerte.
»Um weinen zu können, muss man auch lachen dürfen«, meint Philipp Eichholtz, dem es besonders wichtig ist, seine Figuren ernstzunehmen – und ihnen beim improvisierten Drehbuch ein Mitspracherecht einzuräumen. Diese Konzentration auf den Moment, welche die sogenannten Mumblecore-Filme des befreundeten Regisseurs Axel Ranisch auszeichnet, führt andererseits zu Beschränkungen auf technischer Seite. Gedreht wurde hauptsächlich in einer Wohnung in Neukölln und in einem Brandenburger Häuschen in der Nähe der Schimäre namens BER. Dieses will Kims Bruder, ein grundsolider Immobilienmakler mit schwangerer Frau, der Pilotin schmackhaft machen: »Nur sieben Minuten bis zum Flughafen!« Dessen Fertigstellung erscheint indes nicht minder utopisch als die Operation, der sich Kim in der Schweiz unterzogen hat.