USA/F 2001 · 98 min. · FSK: ab 16 Regie: Chris Nahon Drehbuch: Luc Besson, Robert Mark Kamen, Jet Li Kamera: Thierry Arbogast Darsteller: Jet Li, Bridget Fonda, Tchéky Karyo, Ric Young u.a. |
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Wer will nochmal, wer hat noch nicht? |
Der Mann braucht keine Waffen. Er IST eine Waffe. Es steckt eine explosive Gewalt in diesem flüchtig besehen so unscheinbaren Körper; dieser Kerl – man ahnt es vielleicht, wenn man sein charismatisches Gesicht näher betrachtet, seinen unendlich festen, ruhigen, tiefen Blick – ist eine wandelnde Handgranate. Nur dass die Zündung bei ihm schneller erfolgt. Bis eine Kugel nur den Lauf verlassen hat, ist Jet Li schon zehnmal losgeschossen und hat seine tödlichen Kicks und Schläge ins Ziel gebracht.
Es gehört nicht zu den geringsten Freuden dieses Films, fiebernd den Moment zu erwarten, an dem dies zum ersten Mal passiert. Man weiß: dieser elegante, höfliche Mann WIRD detonieren. Aber Regie-Debutant Chris Nahon und Produzent/Autor Luc Besson lassen genüßlich eine gute Viertelstunde lang den Deckel auf dem siedenden Topf. Erhöhen immer mehr die Temperatur, häufen die möglichen Anlässe zum ersten Ausbruch der Gewalt, lassen die Kamera sinnlich gleiten und den Puls steigen. Um die Entladung dann in einem um so furioseren Gewitter einer Action-Sequenz einherdonnern zu lassen.
Zweimal konnte man Jet Li schon wahrnehmen, auch wenn man nicht über den engen Tellerrand abendländischen Mainstreams hinauslugt. Er ist dabei, sich neu hochzudienen im Westen, auch wenn er es nicht wirklich nötig hätte – in Asien ist er längst und hochverdient ein wahrer Superstar, vor allem dank Tsui Harks grandioser Once Upon a Time in China-Reihe.
Aber in Hollywood zählt Ruhm
keinen Cent, wenn er nicht hausgemacht ist. Und so musste Jet Li in Lethal Weapon 4 den Bösewicht geben (eigentlich überhaupt nicht sein Ding) und auch noch so tun, als hätte Mel Gibson im Nahkampf eine Chance gegen ihn (was zu den beachtlichsten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre zu rechnen sein sollte). Musste im deutlich gelungeneren Romeo Must Die erst mal an die Blaxploitation-Front – oder das, was davon übriggeblieben ist, seit auch hier Film-Großkonzerne mit Multi-Millionenbudgets das Feld besetzt haben. Denn das Blaxploitation-Kino hatte schon in den 70ern eine KungFu-Connection; das afro-amerikanische Publikum verstand als erstes in den USA, das Hong Kong-Kino zu würdigen. (Blade ist nur eine der Spätfolgen davon.) Da gab es dann Aaliyah an Lis Seite und jede Menge Computergrafik, um die knackenden Knochen sichtbar zu machen.
In Frankreich freilich war man mit der Entdeckung des asiatischen Kinos schon immer weiter (siehe Christophe Gans' Crying Freeman und Le pacte des loups). Und von da kommt nun auch der bisher überzeugendste Auftritt des mehrfachen Wushu-Meisters.
Besson und Nahon haben weitgehend kapiert, was der eine wahre Grund ist, sich einen Jet Li-Film anzusehen: Die Kampfszenen. (Was nicht heißen soll, dass seine Hong Kong-Werke nicht auch anderes zu bieten haben!) Der Plot ist aus altem, stabilen, zuverlässigem Genre-Holz geschnitzt: Ein chinesischer Undercover-Cop kommt nach Paris, gerät dort in das Komplott eines korrupten Polizei-Inspektors, muss untertauchen, lernt eine Hure mit Herz aus Gold kennen, rettet schließlich sich, sie und ihre Tochter und bringt den Schurken zur Strecke. Nur im Mittelteil des Films nimmt sich die Handlung mal eine Weile lang zu wichtig, reihen sich unnötig viele Dialog-Sequenzen aneinander. Das trägt trotzdem, weil Tchéky Karyo und Bridget Fonda Figuren, die sehr nah am Klischee hätten gebaut sein können, erstaunlich viel Dimension und Authentizität verleihen. Karyo nimmt man den abgrundbösen Fiesling sowieso jedesmal auf den ersten Blick ab; besonders Fonda aber schafft ein echtes emotionales Gegengewicht zu all der physischen Action. Ihre Seelen-Blessuren wirken nicht minder fühlbar schmerzhaft als die ganzen Fight-Frakturen.
Letztere freilich kommen in diesem Film endlich einmal wieder ungebremst, nun ja... knackig zur Geltung. Lang hat man keinen Action-Film mehr gesehen, der sich so kompromisslos zur nötigen Härte bekennt. Hier wird nicht zu jedem Toten ein lustig Späßle nachgereicht, hier hinterlassen Füße und Fäuste merkliche Spuren der Verwüstung. Und wer bisher dachte, Akupunktur sei gesund, wird sein blutiges Wunder erleben.
Jet Li ist den klassischen Film-Fightern verpflichtet, allen voran
selbstverständlich Bruce Lee (als deren legitimer Erbe er manchmal gehandelt wird), aber beispielsweise auch einem Sonny Chiba. In Kiss of the Dragon bleibt er auch konsequent am Boden, erinnert daran, dass man in Hong Kong nicht nur Wire-Stunts beherrscht, wie sie seit The Matrix mit 30 Jahren Verspätung nun auch im Westen populär geworden sind.
Er
kickt sich durch immer herausfordernde Riegen von Gegnern (und manch Mobiliar), zeigt ein schönes Spektrum seiner unglaublichen Technik. Die Regie der Fight-Sequenzen hat Lis langjähriger Weggefährte Cory Yuen – leider aber nicht das Sagen über den Schnitt. Da nämlich offenbart sich leider doch wieder eine der grundsätzlichen Verständnislücken der westlichen Filmemacher: Auch wenn Jet Li sonst in einer anderen Traditionslinie steht als Jackie Chan mit seiner
komödiantisch-tänzerischen Akrobatik, so betreiben doch beide rechteigentlich die Fortsetzung des Musicals mit anderen Mitteln.
Nicht umsonst hat Fred Astaire für seine Nummern einen filmischen Stil entwickelt, in dem möglichst wenig geschnitten wurde, die Einstellungen meist so lang wie möglich waren. Denn die Attraktion besteht ja gerade darin, dass da einer etwas atemberaubend Kunstvolles vorführt, das er jenseits aller filmischen Hilfsmittel tatsächlich beherrscht.
Das ist ein Art von Kino, die eben nicht davon lebt, dass sie die Möglichkeiten des Mediums ausschöpft, um Illusionen zu erzeugen. Hier ist die Kamera idealerweise wirklich nur ein Aufzeichnungsgerät.
Bei einer guten Jet Li-Fight-Nummer kommt der Rhythmus, kommt das enorme Tempo erstmal von Jet Li selbst – der ja nicht umsonst als schnellster Kämpfer Hong Kongs gilt. Kiss of the Dragon behandelt ihn aber leider (wie bereits Romeo Must Die), als wäre er einer dieser westlichen Action-Stars vom Schlage Stallone, Schwarzenegger, Willis – man läßt ihn kaum zwei Treffer am Stück landen, ohne zu schneiden, gibt dem Publikum nie Gelegenheit, in Ruhe sein phänomenales Können zu genießen. (Wenn man sich an westlichen Action-Helden orientieren wollte, dann wäre die Riege derer, die auch tatsächlich von den martial arts
zum Film kamen – Van Damme, Segal, Dudikoff – der bessere Vergleichspunkt gewesen.)
Das ruiniert den Film keineswegs, aber es schadet ihm doch ein wenig. Sehen wir’s positiv: Es muss ja auch noch Raum für Verbesserungen geben, für Jet Lis nächsten westlichen Film. Er ist ja grade erst auf dem Weg zum Superstar der ganzen Welt.