A Killer Romance

Hit Man

USA 2023 · 116 min. · FSK: ab 12
Regie: Richard Linklater
Drehbuch: ,
Kamera: Shane F. Kelly
Darsteller: Glen Powell, Adria Arjona, Austin Amelio, Retta, Sanjay Rao u.a.
Einfach mal wer anders sein...
(Foto: Leonine)

»All pie is good pie«

Die bislang schönste Komödie des Jahres: Richard Linklaters A Killer Romance ist ein wunderbares Gedankenspiel über fluide Identitäten und die Sehnsucht nach mehr als nur einem Leben

»Indem wir den Feind klein, niedrig, verächt­lich, komisch machen, schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuß seiner Über­win­dung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufge­wendet hat, durch sein Lachen bezeugt.«
– Der Witz und seine Beziehung zum Unbe­wußten (1905). Frankfurt 2009, S. 117

Krimi­komödie hört sich natürlich erst einmal ein wenig muffig an, und ist es ja leider sehr oft auch. Doch wenn für die Regie und das Drehbuch (zusammen mit Haupt­dar­steller Glen Powell) Richard Linklater verant­wort­lich ist, darf, kann, ja muss jeder mehr erwarten. Denn Linklater ist einer der inter­es­san­testen, viel­sei­tigsten ameri­ka­ni­schen Regis­seure, der nicht nur für leichte Liebe­szeit­reisen (Before Sunrise, Before Sunset, Before Midnight), doku­men­ta­ri­sches, groß­ar­tiges Langzeit-Coming-of-Age (Boyhood), zärtliche Anima­ti­ons­filme (Apollo 10 ½: Eine Kindheit im Weltraum­zeit­alter) zu haben ist, sondern auch für schräge umwer­fende, schwarze Mocku­men­tary-Komödien-Formate wie Bernie – Leichen pflastern seinen Weg, den Linklater aus einer Reportage von Skip Hollands­worth extra­hiert hatte.

Auch Link­la­ters neuer Film A Killer Romance (Original: Hit Man) basiert auf einer Reportage von Skip Hollands­worth aus dem Texas Monthly, in dem Hollands­worth die Geschichte des College-Profes­sors und vermeint­li­chen Profi­kil­lers (Hit Man) Gary Johnson aus Houston erzählt, der in nur zehn Jahren mehr als sechzig Menschen getötet haben soll, doch tatsäch­lich neben­be­ruf­lich für die Polizei arbeitete, um als Auftrags­mörder mögliche Auftrag­geber an ihrer »Mission« zu hindern und ins Gefängnis zu bringen.

Linklater macht aus diesem gegen­warts­hei­me­ligen Minority Report-Setting jedoch etwas wirklich Außer­ge­wöhn­li­ches. Denn er konzen­triert sich – wie eigent­lich in all seinen Filmen – vor allem auf einen spie­le­ri­schen Umgang mit der mensch­li­chen Identität, ihren Tiefen und Untiefen. Das heißt, dass nicht nur Freud und dessen Überich, Ich, und Es-Theorie fanta­sie­voll in über­ra­schend neue Formate gegossen wird, sondern auch die histo­ri­sche Person von Gary Johnson (Glen Powell) zu einer irren Liebes-, Leidens- und Selbst­fin­dungs­ge­schichte instru­men­ta­li­siert wird. Denn fast zufällig kommt Gary bei Linklater zu seinem Job, um zu lernen, dass er weit mehr Leben in sich hat als geglaubt, dass er eben nicht nur ein lang­wei­liger Philo­so­phie­pro­fessor ist, der seinen Studenten Vorträge über Moral­theo­rien hält, sondern tatsäch­lich auch die Quali­täten eines Auftrags­mör­ders besitzt, mit allen Facetten und Spiel­arten, die in dem Graben zwischen den beiden Persön­lich­keiten möglich sind. Dazu gehören natürlich auch ganz neue Spiel­arten der Liebe, wie er über eine seiner »Kundinnen«, Madison Figueroa Masters (Adria Arjona), fest­stellen muss.

Das erinnert natürlich an eine der besten Serien des letzten Jahr­zehnts, an The Americans (2013-2018), in der ein russi­sches KGB-Pärchen als vermeint­lich ideale ameri­ka­ni­sche Familie under­cover lebt und über immer neuen Iden­ti­täten Morde begeht bzw. weitere »Schläfer« rekru­tiert. Doch anders als die ernsten, philo­so­phi­schen, hoch­po­li­ti­schen und düsteren Americans ist Link­la­ters Iden­ti­täts­ka­rus­sell völlig apoli­tisch und dem Licht zugewandt.

Es ist eine fast schon thera­peu­ti­sche Anleitung, sich nicht mit dem abzu­finden, für das wir uns in einer viel­leicht pein­li­chen Phase unseres Lebens einmal entschieden haben und das nun zu einem inneren Feind geworden ist, sondern Iden­ti­täten einfach wie Kleider zu probieren, um heraus­zu­finden, welche Identität im Moment am besten passt, um dabei viel­leicht so wie Gary in Link­la­ters Film fest­zu­stellen, dass die Dinge viel­leicht doch kompli­zierter oder halt viel einfacher sind als gedacht, wenn klar wird: »All pie is good pie!«

Doch neben einer wilden, komischen, anar­chi­schen Selbst­fin­dung und einer völlig bizarren, wild­ro­man­ti­schen Liebes­ge­schichte ist A Killer Romance auch eine wunder­schöne Ode an das Kino: an die Wieder­ge­burt der Komödie und dann und wann sogar des Slapsticks im Film Noir und eine Liebes­er­klärung an die Kunst der Schau­spie­lerei, die sich hier mit einem groß­ar­tigen Ensemble, das bis ins letzte Glied hoch­karätig besetzt ist, ohne die leidigen Fragen um kultu­relle oder geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Aneignung einfach mal so richtig austoben und selbst­finden darf.