Iran/F/S/D 2024 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha Drehbuch: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam Kamera: Mohammad Haddadi Darsteller: Lili Farhadpour, Esmaeel Mehrabi |
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In der Schlichtheit der Bilder liegt eine anrührende Sensibilität... | ||
(Foto: Alamode) |
Die eigentliche Qualität von Ein kleines Stück vom Kuchen entfaltet sich erst in der Enttäuschung. Er muss sein Publikum erst umgarnen und über eine Stunde lang in Sicherheit wiegen, um ihm am Ende wieder den Halt zu rauben. Wobei jene Sicherheit in Anführungszeichen zu denken ist. Sie betrifft natürlich vielmehr Sehgewohnheiten und filmische Strukturen als die Welt, in der sich die Figuren auf der Leinwand bewegen. Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha loten in ihrem neuen Film nach Ballade von der weißen Kuh (2021) erneut die Grenzen persönlicher Freiheit in einem Unrechtssystem sowie kleine und größere Akte des (künstlerischen) Widerstands aus. Wieder wurden sie damit 2024 in den Berlinale-Wettbewerb eingeladen, wenngleich Moghaddam und Sanaeeha daran gehindert wurden, an der Premiere teilzunehmen. Das Paar durfte nicht ausreisen; ihre Pässe wurden von der Regierung beschlagnahmt. Der Film hat es dennoch nach draußen geschafft.
Ein kleines Stück vom Kuchen nun zu sehen, zerfällt auf nachdenkliche und eigenartige Weise zwischen dem, was vor und hinter den Kulissen (nicht) zu sehen ist, zwischen dem Film als Politikum und der Seherfahrung an sich. Er zeigt Szenen, Details und Verhaltensweisen, die sich subversiv zu der Unfreiheit und dem engen Sittenkorsett im Iran verhalten. Die Tabubrüche des Films – etwa ein heimliches Date im Alter, ein engerer Körperkontakt zwischen Mann und Frau beim Schießen eines Fotos – erschließen sich aus ihrem Entstehungskontext und politischen Bezugsrahmen. Sie können als Befreiungsschlag und notwendige Grenzüberschreitung verstanden werden, um sich von Repressionen und verkrusteten, reaktionären Strukturen zu lösen. Die Brisanz dieser filmischen, nächtlichen Begegnung zweier einsamer Seelen bleibt jederzeit spürbar.
Sich diesem Drama zu nähern, ist dennoch ein zweischneidiger Akt. Es gilt einerseits, die Bedeutung und den Mut eines solchen engagierten Inszenierens wider aller Zensur hervorzuheben sowie die Dringlichkeit dieser Bilder zu betonen. Andererseits ist es ebenso angebracht, die Regie- und Drehbucharbeit so ernst zu nehmen, dass ihr politisches WAS der Darstellung nicht als Qualität an sich stehen bleiben sollte, sondern der Blick ebenso auf das WIE zu richten ist. Die Frage, die sich letztlich daran anschließt, ist, ob die Form von Ein kleines Stück vom Kuchen für seinen Stoff nicht zu in sich gekehrt, zu wenig herausfordernd geraten ist. Gerade für eine internationale Öffentlichkeit.
Ein deutlich eindringlicheres Werk ist der wenig später in den Kinos startende Thriller Tatami von Guy Nattiv und Zar Amir, eine iranisch-israelische Co-Regie. Ebenfalls eine Abrechnung mit der staatlichen Gewalt und repressiven Gesellschaftsstrukturen im Iran. Was Tatami jedoch anders macht und international aufrüttelnder werden lässt, ist sein räumlich ausgestellter Zwiespalt zwischen Ferne und Distanz, dem Weg- und Hinsehen und den Momenten, in denen Blicke plötzlich bedrohlich werden oder noch einmal ganz woanders hinschauen müssen. Nattiv und Amir nutzen eine Judo-Weltmeisterschaft als globale Bühne, auf der Beteiligte und Unbeteiligte interagieren. In ihrem Zusammentreffen werden Konflikte inner- und außerhalb der politischen Dimensionen des Sports ausgereizt, während systemische Übergriffe im Hintergrund eifrig den Ablauf zu beeinflussen versuchen.
Ein kleines Stück vom Kuchen zieht sich indes weitgehend in das Häusliche zurück. Er erkundet aus einer feministischen Perspektive, wie sich äußere Unterdrückung in die heimischen vier Wände einschreibt und welche verborgenen aufrührerischen Gesten dort vollzogen werden können. Das Kino von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha sucht hier, anders als ihr stärker auf Spannung getrimmtes Vorgängerwerk, verzweifelt einen safer space, sofern das überhaupt möglich ist. Ihre Hauptfigur, die 70 Jahre alte Witwe Mahin (Lily Farhadpour), lebt vereinsamt in Teheran. Als sie den Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi) trifft und ihn nach Hause einlädt, erleben die beiden endlich wenige glückliche Stunden in ihrem tristen Alltag. Moghaddam und Sanaeeha errichten filmische Rückzugsräume: sei es das Wohnzimmer, der Garten und Hinterhof oder der Blick durch eine verregnete Autoscheibe. Nervös wartet ihre Inszenierung darauf, dass diese Räume fragil werden, Grenzen errichtet werden müssen, um die Privatsphäre zu wahren und das Verbotene zu leben.
In der Schlichtheit der Bilder von Ein kleines Stück vom Kuchen liegt eine anrührende Sensibilität. Etwa in der Positionierung der Figuren, leicht distanziert auf einer Couch. Im Hintergrund eine karge Wand – ein Motiv, das auch das Kinoplakat ziert. Oder wenn die meist statischen Aufnahmen plötzlich in Bewegung geraten, im heimlichen Tanz in der Wohnung, wenn die Kamera mittanzt und den filmischen Raum in etwas Dynamisches verwandelt. Und doch meint es dieser Film bei all seiner humorvoll gebrochenen Zartheit, mit der er die romantische Annäherung seiner Schicksalsgestalten einfängt, etwas zu gut mit dem Publikum. Die Gefahren und Konflikte der Außenwelt bleiben auf wenige Begegnungen beschränkt, nur hier und da wird ein Blick auf die Krisen der Nebenschauplätze geworfen. Ein Streit mit der Sittenpolizei auf offener Straße gipfelt etwa in einer Standpauke zwischen den Generationen. »Je unterwürfiger du bist, desto mehr unterdrücken sie dich!« – ein gut gemeinter Rat, bei dem sich entfernte Zuschauer bequem zurücklehnen können.
Ein Großteil des anschließenden Kammerspiels könnte stilistisch ebenso aus jeder herkömmlichen Tragikomödie stammen, in der zwei Senioren noch einmal neue Lebensfreude schöpfen. Das ist weniger despektierlich gemeint, als es vielleicht klingen mag, und soll seine Berechtigung in der Kinolandschaft haben. Problematisch ist nur, dass es heute offenbar kaum möglich ist, solch brisante, unmittelbar bedrohliche Konflikte und Missstände für ein größeres Publikum zugänglich zu machen, ohne auf so abgegriffene, betuliche und austauschbare Spielfilmformeln zurückzugreifen. Weil der Film den Moment zu lange verpasst, Zuschauer zu seinem Schutzraum in ein interessantes Spannungsverhältnis zu setzen, anstatt sie bloß zu stillen Mitbewohnern auf Zeit zu degradieren.
Für die Fallhöhe des Themas bietet Ein kleines Stück vom Kuchen dadurch ernüchternd wenige neue Einsichten, Selbstreflexionen und ästhetische Stolpersteine im Rezipieren. Erst zum Schluss – und das ist eigentlich zu spät – vermag er, sein recht behäbiges Spielfilm-Szenario mit der nötigen Schmerzhaftigkeit und Bedrohlichkeit als illusorisch zu entlarven. Die tragischen letzten Minuten dieser Emanzipationsgeschichte und Alltagsbeobachtung sind nur schwer auszuhalten. Dort regiert die zermürbende Ausweglosigkeit. Ob dieser konsequente Schockeffekt als finaler Ertrag und der gesamte Erzählbogen den Möglichkeiten des Kinos sowie den Lebensrealitäten vollends gerecht werden, welche sowieso Tag für Tag medial offenbar sein dürften, erscheint jedoch fraglich.