Ungarn 2003 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Nimród Antal Drehbuch: Nimród Antal, Jim Adler Kamera: Gyula Pados Darsteller: Sándor Csány, Zoltán Mucsi, Csaba Pindroch, Sándor Badár u.a. |
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Im Untergrund |
Horrorfilme und Thriller waren und sind beliebte Eintritts- und Visitenkarten junger Regisseure für die große Kinowelt. Dem leuchtenden Beispiel von heutigen Blockbuster-Regisseuren wie Sam Raimi, Peter Jackson oder Robert Rodriguez folgend, versuchten allein in den letzten Wochen die Macher des sehr amüsanten Shaun Of The Dead, des äußerst blutrünstigen Saw oder – ganz aktuell – des ungarischen Kontroll die Aufmerksamkeit der Zuschauer und der finanzstarken Filmindustrie auf sich zu ziehen.
Das Schema, das hinter diesen Filmen steckt, ist weitgehend identisch: Junge (fast ausschließlich) Männer mit einer grenzenlosen Begeisterung für das Kino werfen ihr unendliches Wissen aus zahllosen Video- und Kinonächten zusammen und produzieren unter weitgehender Selbstausbeutung und Einbeziehung von Verwandten und Bekannten einen verhältnismäßig günstigen Film, voller skurriler Einfälle und Typen, liebevoll bis ins Detail gestaltet, beladen mit Parodien, Anspielungen, Reminiszenzen und geistreichen Ideen im Minutentakt.
Die Kinogemeinde liebt solche Filme (allen voran natürlich das jugendliche, filmbegeisterte, männliche Publikum), schnell ist das Einspielergebnis um ein Vielfaches höher als die (sehr geringen) Produktionskosten, die Presse berichtet freundlich, der ein oder andere Filmpreis kommt hinzu und schon heißt es, Hollywood hat Interesse an diesem heißen, neuen Regisseur.
An diesem Punkt der Geschichte wird es meist tragisch. Unter den Regeln des großen Filmgeschäfts gelingt es nur wenigen dieser jungen Regisseure ihren ersten Erfolg künstlerisch und/oder finanziell zu wiederholen bzw. auszubauen. Der überwiegende Teil verschwindet entweder wieder schnell und spurlos in der Versenkung, aus der er vorher so mühsam aufgetaucht ist oder er fristet fortan ein Dasein als Macher von 08/15-Durchschnittsware oder er geht zurück an den Start, zieht keine Hollywood-Millionen ein und macht da weiter, wo er vor seinem Überraschungserfolg angefangen hat. Einige Beispiele aus der langen Liste solcher nicht erfüllter Hoffnungen: Anthony Waller mit Mute Witness, Ole Bornedal mit Nightwatch, Roger Avary mit Killing Zoe, Vincenzo Natali mit Cube und die Namen Eduardo Sanchez und Daniel Myrick bleiben selbst für die meisten Filmfans ohne Bedeutung, wenn man nicht den Titel ihres Werkes Blair Witch Project hinzufügt.
Welches Schicksal wird unter diesen Vorzeichen nun aber Nimrod Antal mit seinem Film Kontroll erleiden?
Zu wünschen ist im nur das Beste, denn Kontroll ist ein äußerst gelungener Film.
In seinem Mittelpunkt steht eine geradezu archetypische Figur des gerade beschriebenen Genres: der einsame, melancholisch süffisante Held. In diesem Fall heißt er Bulcsu und ist der Gruppenchef von vier unfähigen Fahrkartenkontrolleuren in der Budapester U-Bahn, in deren finsteren Gängen und Tunneln er ohne festes Zuhause lebt. Bulcsu ist einerseits ein gnadenloser Verlierer, praktisch obdachlos, allein ohne jede menschliche Bindung, regelmäßigen Demütigungen und Angriffen ausgesetzt. Andererseits hält er seine Chaostruppe sicher zusammen, läßt sich nie unterkriegen, ist im »Schienenlaufen« unschlagbar und selbst in der Liebe scheint er Glück zu habe. Diese Ambivalenz kumuliert in seinem einsamen Kampf gegen einen geheimnisvollen Todesengel, der ahnungslose Fahrgäste auf die Gleise und somit in den Tod stößt.
Umgesetzt hat Antal diese Geschichte mit großem Geschick, technisch hervorragend, erfreulich ausgewogen und überraschend tiefgründig, womit er sich klar von den oben beschriebene – zwar meistens sehr unterhaltsamen aber selten sehr nachhaltigen – Filmen angenehm abhebt.
Denn die formale Brillanz in Kamera, Schnitt und Effekten ist hier keine Spielwiese technikverliebter Film-Nerds, sondern dient der Umsetzung und Unterstützung der Handlung. Diese wiederum besteht nicht nur aus einer (vermeintlich) genialen Idee oder einer Vielzahl altbekannter Genre-Versatzstücke, sondern erzählt eine durchaus komplette und spannende Geschichte, ohne dabei etwas erstaunlich Neues erfinden zu wollen.
Vielleicht klingt es bei einem solchen Film sonderbar, aber die Stärke von Kontroll liegt auch im Moderaten. Antal versucht nicht einen extrem brutalen, spannenden, innovativen, überraschenden, expliziten, absurden oder effektvollen Film zu machen. Ihm gelingt stattdessen eine existentielle Tragik-Alltags-Komödie, die zusätzlich Spannung aus zurückhaltenden Thriller-Elementen erhält.
Es zeichnet seinen Film aus, dass er exakt das Gleichgewicht zwischen dem Surrealen und Fiktiven einerseits und dem Alltäglichen und Realistischen andererseits hält. Denn nur auf einem realistischen Untergrund ist Komödie wirklich lustig, Suspense wirklich spannend und Tragik wirklich ergreifend.
In dieses ausgeglichene Gesamtbild passt es, dass die einzelnen Figuren trotz aller Skurrilität keine Hanswurste sind, dass der massive Einsatz von moderner Popmusik nicht den Eindruck eines aufgeblähten Videoclips hinterlässt und dass die Geschichte einige Geheimnisse bis zum Schluß für sich behält.
Nimrod Antals hat mit diesem Film somit großes Talent bewiesen, das etwa an die Qualitäten von Danny Boyles Durchbruch mit Shallow Grave denken läßt. Man kann nur hoffen, dass Antal durch Kontroll genug Aufmerksamkeit erlangt, um weiterhin derart gelungene Film zu drehen und eben nicht gleich wieder vergessen zu werden oder von der großen Filmindustrie aufgesaugt, ausgelutscht und ausgespuckt zu werden.
Um beim Genre der U-Bahn-Filme zu bleiben: Es ist Nimrod Antal zu wünschen, dass seine Karriere nach Kontroll eine ähnliche Entwicklung nimmt wie die von Luc Besson nach Subway und nicht wie die von Gustavo Mosquera nach Moebius.