USA 2007 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Mike Nichols Drehbuch: Aaron Sorkin Kamera: Stephen Goldblatt Darsteller: Tom Hanks, Julia Roberts, Philip Seymour Hoffman, Rachel Nichols, Erick Avari u.a. |
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Charlie Wilson in Aktion |
Hat vor diesem Film je jemand von Charlie Wilson gehört? Die Geschichte, die Mike Nichols neuer Film erzählt und die an Wilsons Namen geknüpft ist, kann man sich nicht ausdenken. Oder man würde als Phantast, als Spinner abgetan. Denn Wilson, nicht mehr als ein Hinterbänkler im US-Kongress und libertärer Freund des schönen Lebens, war durch sein Engagement als pro-islamistischer Lobbyist in Washington verantwortlich für einen der großen Wendepunkte in der Politik des 20. Jahrhunderts: die Niederlage der sowjetischen Invasionstruppen in Afghanistan gegen die dortigen Mudschaheddin. Der Krieg des Charlie Wilson erzählt diese Geschichte weitaus vergnüglicher als es ein Film über ein so ernstes Thema eigentlich tun dürfte. Welch' ein Glück für die Zuschauer.
Ein erstaunlicher, in vieler Hinsicht ungewöhnlicher Film über Politik: Der Krieg des Charlie Wilson ist der neueste Film des inzwischen 76-jährigen Hollywood-Altmeisters Mike Nichols. Nichols, der 1931 als Michael Igor Peschkowsky in Berlin geboren wurde, 1939 nach Amerika auswandern musste und schon früh mit Filmen wie Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (1966), Die Reifeprüfung und Catch 22 (1970) berühmt wurde, bevor er unter Schaffenskrisen und Rückschlägen litt, aber mit Filmen wie Silkwood und Primary Colors (1998) zurückkam, gelingt das scheinbar Unmögliche: Ein Kinowerk über Politik, das überaus unterhaltsam, streckenweise sogar albern ist und gleichzeitig gut beobachtet, entlarvend, kritisch und ernsthaft im Umgang mit seinem Thema.
1980, Cesar’s Palace in Las Vegas, ein sprudelndes Wasser-Bassin, zwei unbekleidete Showgirls, eine Atmosphäre aus Plüsch, Champagner und Korruption. Unverhohlene Nostalgie nach Zeiten in denen das und in denen das so möglich war, prägen diesen Film. Zugleich schwingt sich alles ziemlich schnell auf lange nicht erlebte Screwball-Comedy-Höhen hinauf, auf die Leichtigkeit und humane Amoral eines Howard Hawks.
Im Zentrum steht »Good-Time-Charlie«, wie der Kongressabgeordnete Charlie Wilson »on the hill«, auf dem Washingtoner Parlamentshügel genannt wird. Und wenn man ihm so zusieht, denkt man, es muss schon eines schönes Leben gewesen sein, als Abgeordneter des US-Kongress im Jahr 1980, mit einem Wahlkreis im Herzen von Texas, in dem die Wiederwahl quasi garantiert ist – »Die Leute wollen ihre Waffen und niedrige Steuern, und ansonsten, dass man sie in Ruhe lässt« –, mit Praktikantinnen, die er nach Aussehen aussucht – »Tippen kann man lernen, Titten nicht« –, und die im Kollegenkreis als »Charlies Angels« bekannt sind, wie gemacht für den Sitz im Ethik-Ausschuss und klug genug, um sich nie von den kleineren und größeren Versuchungen korrumpieren zu lassen: Charlie Wilson (Tom Hanks), der für die Demokraten in Washington sitzt, ist geschickt und abgesehen von seinem unverhohlenen Interesse am anderen Geschlecht, so sehr dem guten Leben zugetan und völlig ohne sichtbaren Ehrgeiz, dass er niemanden stört – ideale Voraussetzungen für einen unauffälligen, aber sicheren Aufstieg im durchschnittlichen Rahmen der Karriereleiter der US-Politik. Tom Hanks spielt ihn permanent gutgelaunt mit einer verschmitzten Leutseligkeit; Wilson wirkt so sympathisch, dass man ihm seine kleineren Sünden gern verzeiht – das Bild eines typischen humanistischen Konservatismus »alten Schlages«, der strammen Antikommunismus mit dem Eintreten für Bürgerfreiheit – etwa in der Abtreibungsfrage: Wilson war einer der wenigen texanischen »pro-choice«-Vertreter –, für soziale Gerechtigkeit und der Absage an alle neoliberalen und neokonservativen Positionen verband. Ein Konservatismus, wie es ihn heute kaum noch öffentlich sichtbar gibt. Und hierin ist diese Filmfigur auch ein Bild für das, was der Politik nicht nur in den USA in den letzten 25 Jahren verloren gegangen ist.
Denn trotz aller aus europäischer Sicht politisch womöglich unsympathischen Seiten ist dieser Charlie Wilson definitiv kein »role model« für die heutige christliche Rechte der Republikaner oder für ihre Märchen vom eindimensionalen antikommunistischen Widerstand.
Zugleich sitzt Wilson – noch dazu als »Israels man on the hill« – in zwei wichtigen außenpolitischen Ausschüssen. Hier teilte er im wahren Leben die (zunächst versteckt) interventionistischen Positionen des »idealistischen«, anti-realistischen Flügels unter den US-Außenpolitikern – das verband die moralisierenden Demokraten des Präsident Carter mit den radikaleren neokonservativen Republikanern. Das Bündnis der Aktionisten und Moralisten von Links bis Rechts gegen den politischen Stoizismus eines Henry Kissinger und seiner Gleichgewichtsdoktrin.
Aufgrund seiner Ausschussmitgliedschaft wird er eines Tages von Joanne Herring angesprochen, Multimillionärin und eine der wichtigsten Geldgeberinnen für Wilsons Wahlkampf, zugleich allerdings Lobbyistin eines reichen Politzirkels, die Wilson seiner Assistentin kurz wie treffend als »eine ultra-rechte Gruppe antikommunistischer Fanatiker« beschreibt. Eher widerwillig folgt er ihrer Bitte, nach Pakistan zu reisen – doch sein Trip in die dortigen grenznahen Flüchtlingslager ändert Wilsons Einstellungen: Gerade ist – nach wie vor schreiben wir 1980 – die UdSSR in Afghanistan interveniert, und Wilson beginnt seinen privaten versteckten Kampf gegen das sowjetische Imperium: Über Pakistan werden die Mudschaheddin mit Hilfe der CIA mit gemeinsamer Hilfe Ägyptens und Israels, vorbei an der offiziellen US-Regierungspolitik, mit Waffen und Munition ausgerüstet – bis aus fünf Millionen Dollar über eine Milliarde jährliche Hilfe werden und zehn Jahre später die Sowjets ihr Vietnam am Hindukusch erlebt haben.
Eine virtuos erzählte »uramerikanische Geschichte«
Charlie Wilson: »You're no James Bond.«
Gust Avrakotos: »You're no Thomas Jefferson, either. Let’s call it even.«
Mit dabei zum einen jene erwähnte Joanne Herring, ebenso stinkreich, wie bleiern religiös, der man allerdings ein Unrecht nicht antun sollte: ihre Intelligenz zu unterschätzen. Mag sie auch eine klunkerbehängte, fettgeschminkte, stählern geliftete, vor allem aber selbstgerechte Oberklassenmumie sein, weiß sie doch, was in der Welt passiert und wie sie ihre Macht gebrauchen muss, um auch zu bekommen, was sie will. Der dritte im Bund ist Herrings Antagonist: ein schmuddeliger verschwitzter Proletarier griechischer Herkunft namens Gust Avrakotos, der allerdings beim CIA arbeitet, dort wegen unflätigen Benehmens schon abgeschrieben ist, aber intelligent genug, um den Apparat für seinen eigenen kleinen Krieg zu nutzen. Philip Seymour Hoffman spielt ihn einmal mehr oscarverdächtig, und wenn es nur einen Grund gäbe sich diesen Film – in der unsynchronisierten Originalfassung selbstverständlich – anzugucken, dann jene herrliche Marx-Brothers-Szene der ersten Begegnung zwischen Avrakotos und Wilson. Alle drei zusammen bilden das unwahrscheinlichste Team, das in der Politik auf den ersten Blick denkbar scheint, eine unheilige Dreieinigkeit subversiver antibürokratischer Politik und eben eine, wie man so sagt, »uramerikanische Geschichte«: Ein einzelner Mensch »can make a change«, kann die Weltgeschichte verändern – vorausgesetzt jedenfalls, man ist im US-Kongress, beim CIA oder wenigstens die sechstreichste Frau von Texas.
In kurzen, virtuos inszenierten Szenen, die in ihrer gelegentlichen Albernheit an Robert Altmans M*A*S*H (1970), in ihrer Genauigkeit an Otto Premingers Advise and Consent (1962) erinnern, skizziert Nichols diese Geschichte eines Privatkrieg gegen die UdSSR. Sie wird aus mehreren Gründen hochbrisant: Zunächst und vor allem beruht sie größtenteils auf Tatsachen: Es gibt Charlie Wilson, den von Tom Hanks gespielten Titelhelden wirklich. Mit knapp 40 Jahren kam der 1933 geborene Texaner 1973 in den US-Kongress und blieb dort kontinuierlich bis zu seinem Rücktritt 1996. Wilson war Mitglied der Demokraten, historisch wurde sein Wirken im Hintergrund zunächst als Lobbyist für die Somoza-Drogenmafiadiktatur in Nicaragua, nach deren Sturz dann bald für Pakistan und die Militärdiktatur des Zia Ul-Haq, und als solcher bald einer der wichtigsten politischen Verbindungsmänner der USA zum islamistischen Widerstand gegen die russischen Invasoren. Die Fakten, die dem Film zugrunde liegen, sind historisch korrekt: Insgesamt organisierte Wilson seit den frühen 80ern direkte wie indirekte Kriegsunterstützung in Milliardenhöhe. Heute lebt Wilson mit seiner 30 Jahre jüngeren Ehefrau und einem 2007 eingepflanzten Herzen in Texas – und besuchte kürzlich äußert gut gelaunt die Premiere des Films. Sein Wirken, insbesondere in Zentralasien, ist inzwischen Gegenstand mehrerer Sachbücher sowie einer zweistündigen TV-Dokumentation des US-Fernsehens.
Brisant ist auch die Enthüllung jenes Bündnisses zwischen Israel, Pakistan und Saudi-Arabien – und man wüsste gern, ob nicht alle drei, insbesondere die Israelis, sich im Nachhinein wünschten, sie hätten die Russen damals siegen lassen?
Der Krieg des Charlie Wilson ist auch ein Film über die Verquickung von Politik, Kapital und Lobbyismus, über das Milieu und die Unmoral der Akteure in Washington. Auch ein Film, der die ganze Absurdität und Zufälligkeit des historischen Geschehens bloßlegt.
Ein Film, der durchaus für Interventionismus plädiert, allerdings nur für polit-technisch kompetenten. Das macht ihn angreifbar, besonders unter Europäern. das macht ihn aber auch sympathisch,
denn es ist im doppelten Sinne ehrlich: weil er es sich nicht einfach macht, die Ideen Interventionismus und Antikommunismus, ernst nimmt. Und weil er damit unausgesprochen im Nukleus vielleicht auch die persönliche, biographische Erfahrung des Mike Nichols enthält, dass Interventionismus auch unter Umständen gut sein kann, zum Beispiel seit 1941 im Kampf gegen den Faschismus.
Und ein Film, der zeigt, wie die USA zum Geburtshelfer des islamistischen Terrors unter dem Vorwand antikommunistischen Widerstands wurden – wie man seinen heutigen Feind an der eigenen Brust nährte, solange es opportun schien. Der unter der Hand klar macht, dass nicht der Kommunismus böse war um 1980, sondern, wie heute, die Großmachtpolitik. Schließlich und vor allem ein hervorragend gemachtes, brillant geschriebenes Stück Hollywood-Kino. Nicht gerade subversiv, sondern konventionell in der Machart und konservativ in seiner politischen Moral. Aber einfach sehr gut.
Ganz und gar nicht konservativ ist die kulturelle Botschaft dieses Films gegen das Politik-Kino der Moralisten von links wie rechts, das Kino der Nichtraucher, Gesundheits- und Sicherheitsfanatiker und Antikorruptionsmoralapostel. Ein Film nicht für die Fastenzeit, sondern für den Karneval, ein Loblied auf jenen Pragmatismus und Liberalismus, den man einmal für typisch amerikanisch hielt, der aber längst aus dem Land, in dem »Liberal« heute ein Schimpfwort ist, verschwunden ist.
Spaß, Freiheit und Zen-Buddhismus – so ließe sich das zusammenfassen. Oder in der Geschichte vom Zen-Meister, die Gust Avrakotos erzählt:
»A boy is given a horse on his 14th birthday. Everyone in the village says, 'Oh how wonderful.' But a Zen master who lives in the village says, 'We shall see.' The boy falls off the horse and breaks his foot. Everyone in the village says, 'Oh how awful.' The Zen master says, 'We shall see.' The village is thrown into war and all the young men have to go to war. But, because of the broken foot, the boy stays behind. Everyone says, 'Oh, how wonderful.' The Zen master says, 'We shall see.'«
Eine Komödie also, die zeigt, dass Antikommunismus auch Spaß machen und hedonistisch sein kann: Es wird geraucht, gesoffen, gehurt, und nebenbei werden noch ein paar Russen getötet. Politik als Party. Unnötig hinzuzufügen, dass das alles im Sinne unserer zeitgenössischen asketischen Politprediger von rechts wie links zutiefst unmoralisch ist. Ja und?