Großbritannien/D/EST 2023 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Tanel Toom Drehbuch: Malachi Smyth Kamera: Mart Ratassepp Darsteller: Kate Bosworth, Lucien Laviscount, Martin McCann, Thomas Kretschmann, Ben Pullen u.a. |
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Fremder Freund, freundliche Fremde... | ||
(Foto: Weltkino Filmverleih) |
Man braucht nach den weltweiten Hitzeperioden dieses Sommers nicht viel Fantasie, um die reale Möglichkeit von Tanel Tooms dystopischer Inszenierung über die Welt nach der Klimakatastrophe anzuerkennen. Wir befinden uns im Jahr 2063 und der ungebremste Klimawandel hat zu einem katastrophalen Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels geführt. Nur zwei miteinander konkurrierende und verfeindete Kontinentfragmente sind verblieben. Und ein paar militärische Stützpunkte auf Plattformen im Meer, weit von der Heimat entfernt.
Wer glaubt, dass Tanel Toom, der für seinen Kurzfilm The Confession (2010) eine Oscar-Nominierung erhielt und dessen Verfilmung der Roman-Pentalogie Truth and Justice von Anton Hansen Tammsaare als estnischer Beitrag für die Oscarverleihung 2020 in der Kategorie Bester internationaler Film ausgewählt wurde, daraus einen Action-lastigen Film wie Kevin Reynolds Waterworld (1995) mit Kevin Costner machen würde, dürfte enttäuscht werden.
Denn Toom entscheidet sich für ein zurückgenommenes, klammes Kammerspiel über drei Soldaten und eine Soldatin, die auf einer der Plattformen auf ihre Ablösung warten. Als die jedoch monatelang ausbleibt, beginnt das Team daran zu zweifeln, an sich selbst und auch an der Möglichkeit, dass es außerhalb ihrer Station überhaupt noch Überlebende auf dem Planeten gibt.
Toom variiert dafür Genre-Elemente aus Science-Fiction, Mystery und Thriller, hinterfragt souverän die Gruppenhierarchien und Persönlichkeiten, deckt vorsichtig Leerstellen in den Lebenslinien des soldatischen Personals auf. Dabei hilft ihm sein hervorragend aufgestelltes Ensemble, allen voran Thomas Kretschmann als Sergeant Hendrichs, der sich hier nahe an der Rolle von Marlon Brandos Colonel Kurtz aus Francis Ford Coppolas Apocalypse Now orientiert. Doch der Krieg ist hier nur mehr eine große Stille, eine Stille, die eher an die versehrte Erde und ihre Menschheit in John Hillcoats Verfilmung von Cormac McCarthy The Road erinnert. So wie in Hillcoats Film und McCarthys Buch ist auch hier die Arithmetik der Selbstzerstörung der Welt auf eine furchteinflößende Mikroebene gedrillt, und ist es vor allem das Vertrauen der Menschen untereinander, das unwiderruflich verloren gegangen zu sein scheint und eine Zukunft der Menschheit im Kleinen wie im Großen unwahrscheinlich erscheinen lässt. Denn sowohl Corporal Cassidy (Kate Bosworth), Sullivan (Lucien Laviscount) und Baines (Martin McCann) als auch ihrem Vorgesetzten Sergeant Hendrichs kommt in der Isolation und den nagenden Zweifeln an dem Gegenüber, und der völlig fehlenden Transparenz innerhalb der Gruppe, sogar der menschliche Selbsterhaltungstrieb abhanden, umso mehr als das vermeintliche Gute alles andere als glaubwürdig ist.
Diese Konstellation einer kleinen Gruppe Überlebender könnte kein besserer Zerrspiegel für die Situation unserer politischen Gegenwart sein, in der Gier, Misstrauen und fehlende Transparenz schon seit langem den eigentlich manifest geglaubten Selbsterhaltungstrieb des Menschen ausgehebelt bzw. überschrieben haben. Toom zeigt in intensiven, psychologisch akkuraten Momenten und sogar noch einem überraschenden Plot-Twist, wie es dazu kommen kann und konnte und dass die Hoffnung dann doch nicht das ist, was zuletzt stirbt.