USA 2016 · 128 min. · FSK: ab 0 Regie: Damien Chazelle Drehbuch: Damien Chazelle Musik: Justin Hurwitz Kamera: Linus Sandgren Darsteller: Ryan Gosling, Emma Stone, J.K. Simmons, Finn Wittrock, John Legend u.a. |
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Der Wirklichkeit enthoben: Emma Stone und Ryan Gosling |
I can tell you fancy, I can tell you plain
You give something up for everything you gain
Since every pleasure’s got an edge of pain
Pay for your ticket and don’t complain
(Bob Dylan, Silvio)
Die Erwartungshaltungen waren hoch. Nicht nur, weil Damien Chazelle durch seine zweite Regie-Arbeit Whiplash bereits radikal, wuchtig und vor allem moralisch völlig uneindeutig und damit überzeugend gezeigt hatte, welchen Preis man zahlen muss, um seinem Traum zu folgen. Nein, auch deshalb lagen die Erwartungen hoch, weil Chazelle nicht der erste ist, der sich an einer Hommage des Genres Musical versucht hat und es zudem mit einem Serienformat wie GLEE bereits überzeugende und dazu noch die klassischen Gender-Stereotypen im Musical umschiffende Gegenwartsauslegungen gibt.
Die zahlreichen Golden Globes (7) und Oscar-Nominierungen (14), die Chazelle inzwischen für La La Land erhalten hat, scheinen ihm jedoch Recht zu geben. Und das, obwohl La La Land nicht anders als Whiplash den steinigen Weg zur Erfüllung des eigenen Traums beschreibt, dieses Mal allerdings mit – wenn auch gebrochenen – Mitteln der romantischen Komödie und des Musicals. Im Normalfall also kein Stoff für Musicals.
Aber Chazelle lässt sich Zeit, bis er sich zu seiner moralischen Attitüde bekennt. Bis zur Hälfte von La La Land wird gesungen und getanzt, angefangen mit einer großartigen Choreografie auf einem Autobahnzubringer nach Los Angeles und beschlossen mit einem wunderschönen, romantischen Tanz über den Hügeln von L.A. – und hier, in diesem Moment, wenn die verzweifelt um ihren Durchbruch als Schauspielerin ringende Mia (Emma Stone) und der nach dem wahren Jazz suchende Sebastian (Ryan Gosling) zu einer tänzerischen Einheit werden und dann doch jeder für sich tanzen, deutet sich bereits an, was kommen wird. Kein Tanz mehr, aber immerhin noch eine romantische Fahrt in die Sterne und eine in eine alternative Vergangenheit und dann reicht es Chazelle auch schon. Dann verweigert er sich den Erwartungshaltungen, die das Genre Musical bietet und macht klar, dass sowohl in modernen Beziehungen als auch in der modernen Musik Romantik fehl am Platz ist, dass wir für alles einen Preis zahlen.
Der Preis dafür ist auch für den Betrachter von La La Land hoch. Denn in dem Moment, als es zwischen den beiden Hauptprotagonisten zu zündeln beginnt, wird das Feuer auch schon wieder gelöscht und Ryan Gosling die Beziehungsrolle zugewiesen, die ihm mit seinem zwar überzeugenden, aber auch begrenzten Pokerface-Repertoire bislang fast immer zugeschrieben wurde: die des wortkargen, Beziehungsarbeit verweigernden Männermuffels mit tollem Aussehen, also des Totengräbers jeder Beziehung. Emma Stone bietet dazu die fast schon anämisch perfekte Ergänzung. Leidenschaft darf hier nur in den Sternen ausgelebt werden. Oder als verlorener Traum, der für einen noch viel größeren eingetauscht wird, nämlich für den, endlich Erfolg zu haben. Das ist ziemlich hausbackene Amerika- und Familienmoral, die so auch schon in den Hochphasen des Musicals rauf- und runtergetanzt wurde.
Chazelle verschließt sich allerdings wie auch schon in Whiplash einem eindeutigen Urteil, aber da in Whiplash tatsächlich Blut und Leidenschaft flossen, war das Ende umso bewegender. In La La Land herrscht am Ende stattdessen ein wenig belanglose Ratlosigkeit: Das wars jetzt wirklich schon?
Denn das ist zwar gute Theorie und sehr klug und auch sehr schön und Emma Stones gelbes Kleid über dem blauen Abendhimmel von L.A. und Ryan Goslings trauriges Lächeln und die vielen kleinen, liebevollen ironisch-humorvollen Spitzen dürften als Sehnsuchtsprojektion und Gedankenspiel allemal reichen. Doch sei hinzugefügt, dass in sicherlich jeder zweiten Folge von GLEE besser getanzt, gesungen und Emotionen auf rasantere Achterbahnfahrten geschickt werden und auch noch die Geschlechterverhältnisse immer wieder auf das schönste verdreht werden. Und dass Judd Appatow in seiner Miniserie LOVE, die ebenfalls im Hollywood-Milieu von L.A. spielt, die ernüchternde Melange zwischen Beruf und Beziehung präziser, gnadenloser und komischer skizziert wird. Und auch bezüglich des Hommage-Kriteriums an das Genre Musical würde mit ein bisschen Zeitreise heutzutage ein anderer all die Preise gewinnen, die jetzt La La Land gewinnt, nämlich Herbert Ross‘ PENNIES FROM HEAVEN (1981) mit Steve Martin, Bernadette Peters und Christopher Walken. Aber, und da sind wir ganz bei Chazelle (und Dylan) – man kann im Leben halt nicht alles haben.
»Are the people gonna like it?«
»Fuck them!« –Dialog aus La La Land
So geht es los: »Presented in Cinemascope« erscheint breit auf der Leinwand, drei Takte Tschaikowsky sind zu hören, dann eine Radioansage, die vom Verkehrsstau handelt, und da sieht man schon Hunderte von Autos auf einem Freeway an einem Sommertag in L.A. Kaum ist die Radioansage vorbei, verlässt eine Frau das Auto – und fängt an zu singen. Wow! Ein paar Schrecksekunden dauerte es noch, dann, spätestens als zwei, drei weitere Personen aus den Autos steigen, und mitsingen, dann weiß man: ein Musical. Und ein paar weitere Sekunden später tanzen dann Hunderte von Leuten um ihre Autos herum, in den Autos, auf ihren Dächern. Teilweise synchron im Rhythmus, teilweise sehr individuell. In seiner ganzen Einfachheit und Klarheit, zugleich in seiner Künstlichkeit ist das ganz weit weg von allem Mainstream, von all dieser »Unterhaltung«, mit der man das Publikum auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner herunterverdummt. Das macht großen Spaß, ist unbedingt eskapistisch, aber Unterhaltung ist es gerade darum nicht.
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Und dannn kommt es: Natürlich – Jacques Demy! Daran erinnert nicht nur, das kopiert die atemberaubende Eröffnungsszene ganz offen, aber nicht platt und blöd. Man muss jetzt Les Demoiselles de Rochefort nicht lieben, und Les parapluies de Cherbourg nicht gesehen haben, um diesen Film zu verstehen und wertzuschätzen. Aber wenn man es hat, hilft es, weil man dann gleich die Künstlichkeit und Märchenhaftigkeit und den emotionalen Realismus dieses Films einschätzen kann.
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Zunächst muss man feststellen, dass es in diesem Film eine ganze Weile so weitergeht: Viele Musikszenen, auf die man wartet, weil die Handlung dazwischen völlig belanglos ist. Dass etwa nach der Hälfte diese Musikszenen immer weniger werden, ist daher eine schlechte Nachricht. Solange es sie noch gibt, aber haben sie diesen Demy-Touch: Sie sind modern inszeniert, spielerisch und verspielt (was nicht das gleiche ist) und vor allem: Sie genügen sich selbst. Sie müssen nicht irgendeine
Handlung vorantreiben, eine Psychologie erfüllen, für die sich sowieso niemand interessiert.
Die Musik eröffnet eine andere Seite neben der Wirklichkeit: »This could never be«, singt einer, da sagt die Musik uns schon, dass es längst der Fall ist.
Ryan Gosling und Emma Stone spielen die Hauptrollen, völlig chemielos übrigens, und das einzige woran ich mich wirklich erinnere, ist dass ich Stone eine Weile nicht erkannt habe, und fand, dass beide noch magerer aussehen. Stone richtig ungesund.
Manches ist etwas billig, aber in seiner Billigkeit bereits wieder lustig: Stone wohnt mit drei Freundinnen zusammen und die sind in Haar- und Hautfarbe derart getypecastet, dann noch im roten, gelben, blauen Kleid, dass es wirkte wie
Steinzeit-Privatfernsehen: Tutti frutti.
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Musicals sind Filme mit Musik, in denen Menschen singen und tanzen, wo sie realistischerweise eigentlich gehen und reden sollten. Kino-Opern, besser Kino-Operetten. Die Künstlichkeit der Oberfläche ist ihnen eingeschrieben. Sie ist das Prinzip des Ganzen, und diese Künstlichkeit liegt nie allein in der Tatsache, dass die Leute singen. Es gibt, wenn ein Musical nicht komplett missglückt ist, immer Momente, da hebt der Film ab. Aber es gibt ganz unterschiedliche Arten, damit umzugehen. Bei Busby Berkeley in den frühen dreißiger Jahren ging es um das Gesamtbild. Es zählte die Geometrie, die Übertragung des Eindrucks der Tanzrevuen auf der Bühne auf den Film. Siegfried Kracauer beschrieb diesen Eindruck des Geometrischen in einem berühmten Essay als »Ornament der Masse« und es lohnt, darüber nachzudenken, wie viel solche Erscheinungen der Unterhaltungsindustrie mit dem Fordismus der Fließbandarbeit seit den 20er Jahren, mit totalitären Tendenzen der Gleichschaltung, der Entindividualisierung und der Massenpsychologie und Massenpropaganda der gleichen Epoche zu tun haben.
Andere amerikanische Musicals, vor allem spätere, zeigen individuellere Charaktere. Auch unter den Statisten ist die Chorus-Line nicht starr, sondern aufgebrochen, die Figuren sind als Einzelne erkennbar und die Kunst liegt darin, dass in all dieser Diversität nie der Eindruck des Chaos aufkommt.
Die in den 30er und 40 Jahren in der NS-Diktatur unter Verantwortung von »Filmminister« Joseph Goebbels entstandenen deutschen Revuefilme und Kino-Operetten – besonders mit Marika Rökk und/oder Johannes Heesters besetzt – machen wieder etwas anderes: Sie zeigen die Uniformierung und Gleichschaltung, die man vom faschistischen »Ornament der Masse« erwartet, kombinieren diese aber mit einem Star »in front«, der der Masse hinter sich, dem Chor, den Takt vorgibt, ihn führt, und vor ihm tanzt – und oft auch individuell. Man muss sich nur mal Eine Nacht im Mai oder Die Frau meiner Träume ansehen – das lohnt sich sowieso! – um zu erkennen, dass Marika Rökk auf den Filmbühnen im Prinzip das Gleiche tut, wie Adolf Hitler in Riefenstahls Reichsparteitagsfilmen.
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Jacques Demy hat etwas anderes gemacht: Er hat die in der Regel relativ starre Musical-Kamera mobilisiert, mit komplexen Kränen, Schienenkonstruktionen und anderem in Bewegung gebracht, und zugleich auf schnelle Schnittfolgen verzichtet – zugunsten langer Einstellungen. Das schafft mehr Intensität, das subjektiviert den Zuschauerblick.
Damien Chazelle kopiert dies, hat eine herausragende Kamera, und ähnlich wie Demy traut er sich was: So friert er ein paarmal die Menschen ein, nur Stone und Gosling bewegen sich in einer Welt des Stillstehens. Irgendwann landet das Paar im Zentrum im berühmten Griffith-Observatorium, nachdem sie im Kino den James-Dean-Film Rebel Without a Cause gesehen haben, wo dieser Ort eine Hauptschauplatz ist, und turteln unterm künstlichen Sternenhimmel – und heben ab, fliegen im Raum umher. Auch das funktioniert überraschenderweise – prachtvoller Eskapismus.
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Dennoch hat der Film massive Probleme. Sie liegen vor allem daran, dass der Film zu dem Romantizismus und der Nostalgie, die er aufbaut, nicht steht, nicht stehen möchte, sondern sie stattdessen benutzt, um sie gegen sich selbst zu wenden, um Nostalgie und Romantik zu delegitimieren.
Goslings Charakter, der als Jazzfan eingeführt wird, erklärt erstmal dem Publikum, was Jazz heißt: »It’s not relaxing, you can’t hear it, you have to see it. It’s conflict, compromise, never easy.« Dann sagt ihm einer: »Du willst Jazz retten? Wie willst du Jazz retten, wenn niemand zuhört?« Und da haben wir die amerikanische Ideologie des Konsumismus – die Leute haben immer recht. Als er darauf hört und sich verkauft, macht Gosling Karriere. »Why do you say romantic like it’s a dirty word?«, hatte er noch gefragt.
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Auch Emma Stones erfolglose Schauspielerin muss im Grunde lernen, dass die Sehnsucht nach Liebe und Glück den Erfolg nur behindert. Und der Film nimmt ganz klar Partei für den Erfolg, gegen die Liebe. Das geht hier nicht zusammen. Denn der Film enttäuscht alle Erwartungen nach einem Happy End. Dieses Happy End wäre aber nicht die ideologische Ausflucht, sondern eine Utopie. Ideologisch ist hingegen die Parteinahme für den Verzicht aufs private Glück. Der Film will zeigen, wie
schnell die Idealisten kippen, wie sie mit dem Erfolg plötzlich brainwashed werden, dass die Idealisten kippen müssen. Es scheint diese Botschaft zur Handschrift von Chazelle zu werden, denn auch in Whiplash ging es darum, dass ein junger Typ seine Flausen aufgeben und einem autoritären Führer sich bedingungslos – darauf kam es an, nicht um kurzfristige Belohnung, sondern um des Schmerzens der Unterwerfung Willen – unterwerfen sollte. Zen-Buddhismus für die Generation
Praktikum.
Das alles ist sehr sehr amerikanisch, und in seiner Härte gar nicht romantisch. Die Amerikanisierung des Genres siegt über Demy. In der letzten Stunde des Films wird nicht mehr gesungen. Und Stone wird zur kalten, schrillen, reichen Ami-Bitch – der Film zeigt fortwährend, was man nicht sehen will. Das Ende der Romantik.
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Nur eine Traumebene soll es am Ende noch richten. Sie zeigt, verbunden mit einem letzten Blick der beiden Exlover, das mögliche Leben. Wir alle kennen das: Was wäre, wenn? Wenn wir damals in den Zug gestiegen oder nicht gestiegen wären, den Job angenommen oder abgelehnt hätten, den Menschen geküsst hätten, oder den anderen.
Mag man auch glücklich sich fühlen, die verpassten Chancen sind immer schmerzhafter als noch das gelungenste Leben für sie entschädigen könnte. In diesem Schmerz
trauern wir um uns selbst, um die verlorenen Utopien des Ich. Und auf diesem Schmerz, den wir alle kennen, beharrt der Film.