Deutschland 2018 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Steffen Weinert Drehbuch: Steffen Weinert Kamera: Gabriel Lobos Darsteller: Christoph Bach, Alwara Höfels, André M. Hennicke, Barbara Philipp, Maggie Valentina Salomon u.a. |
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Wann ist man alt genug für den Tod? |
Jede Sekunde zählt. Notarzt und Sanitäter bringen die achtjährige Jana ins Krankenhaus, die verdatterten Eltern fahren hinterher und können es nicht fassen, auch nicht, als sie sich im Besprechungszimmer der Ärztin wiederfinden: Einige Stunden zuvor hatten sie doch unbeschwert miteinander gelacht und gegessen – und jetzt soll ihr Kind so schwer krank sein, dass es dringend ein neues Herz benötigt? Das ist die Ausgangssituation im Spielfilm Das Leben meiner Tochter von Steffen Weinert, der bewusst nur wenig nach dem »Tag der Organspende« am 1. Juni ins Kino kommt.
Die kleine Jana könnte eine der knapp 10.000 Menschen sein, die im vergangenen Jahr hierzulande auf ein Spenderorgan gewartet haben, 3100 Organe wurden bundesweit von 955 Menschen gespendet. Diese dramatische Kluft wird durch weitere Zahlen noch größer: Zwar befürworteten laut Bundesgesundheitsministerium 84 Prozent der Deutschen die Organspende, einen entsprechenden Ausweis habe indes nur jeder Dritte.
Die Gesetzesentwürfe »Widerspruchslösung« versus »Entscheidungslösung«, Hirntod als definitives Entnahmekriterium, diverse Vergabepraktiken ... alle diese und noch zahlreiche weitere Kontroversen rund um das Thema Organspende nehmen besonders jetzt, wo eine Reform der Organspende-Regelung ansteht, wieder mehr Raum in der Öffentlichkeit ein und haben eines gemeinsam: sie alle beschäftigen sich mit der Spenderseite.
Weinert geht in seinem Film einen anderen Weg und richtet den Fokus (ähnlich wie in Katell Quillévérés Die Lebenden reparieren) mal auf die Perspektive der möglichen Empfänger, der Bangenden, der Hoffenden und der Verzweifelten. Zentrale Figur ist dabei Janas Vater Micha (Christoph Bach), dem das Warten auf ein Spenderorgan nach einem dramatischen Zwischenfall zu viel wird. Er kontaktiert eine Agentur im Ausland, die abseits der europäischen Vermittlungsstelle Eurotransplant die Organisation von Spenderherzen inklusive Operation anbietet – schnell, unbürokratisch und in Deutschland strafbar.
Das Leben meiner Tochter lässt sich in zwei Segmente aufteilen. Das erste umfasst ungefähr die ersten 30 Minuten des Films, die aus verschiedenen Gründen aufrüttelnd und wichtig sind. In ihnen ist die Zeit der grausame Taktgeber, der die Betroffenen blitzschnell und ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag herauskatapultiert und dann, quälend langsam und nicht enden wollend, insbesondere den Vater in Bereiche befördert, wo ethische Fragen offenbar nicht mehr so eindeutig beantwortet werden können, wie man es sich vielleicht in anderen, besseren Zeiten noch gedacht haben mag. »Was ist besser – Jana legal sterben sehen oder Jana illegal helfen?«, fragt Micha seine Frau Natalie (großartig dargestellt von Alwara Höfels), für die wiederum klar bleibt: »Es fühlt sich nicht richtig an.«
Weinert geht es nicht darum, Partei zu ergreifen für die eine oder andere Seite, sondern darum, alle Handlungsmotive nachvollziehbar zu machen, was dem Film in seinem ersten Teil absolut gelingt. Auch Janas Beschäftigung mit dem eigenen Tod ist feinfühlig inszeniert und in einen kurzen, aber facettenreichen Schlagabtausch gepackt: Als Papa Jana »Das Kinderbuch vom Tod«, in dem sie liest, kurzerhand wegnimmt mit der Begründung, sie sei »dafür noch nicht alt genug«, pariert
das Mädchen mit einer Frage, die nachklingt: »Wann ist man denn bitte alt genug für den Tod?«
Leider kann der Film die Kraft der Konfrontation seines ersten Teils im weiteren Verlauf nicht aufrechterhalten. Sobald die Entscheidung gefallen ist, die die Handlung vorantreiben soll, wirken die Gesprächssequenzen oft hölzern-gekünstelt, die Geschichte nimmt man als immer konstruierter und unglaubwürdiger wahr, sie gipfelt in einer väterlichen Anagnorisis, einem Moment der
Erkenntnis, der absurd und zusammengereimt erscheint. Die Subtilität, die das Thema Organspende braucht und die eingangs wahrlich vorhanden ist, macht einem televisionären Holzhammer Platz, mit dem sich Das Leben meiner Tochter leider selbst unnötig abwertet.
Kann dieser Spielfilm neue potenzielle Organspender gewinnen? Es wäre ihm zu wünschen. Ganz anders als die oben erwähnte, fulminante emotionale Achterbahn von Die Lebenden reparieren der Französin Katell Quillévéré setzt Das Leben meiner Tochter dafür jedoch nicht auf das Prinzip Hoffnung. Vielmehr riskiert der Film vor allem durch seinen problematischen zweiten Teil, vom Zuschauer als moralischer Zeigefinger wahrgenommen zu werden, der potenzielle Nichtspender mitverantwortlich macht an der Not, die brave Bürger in die dunkle Welt des strafbaren Organhandels treiben könnte. Es sollte ihm genügen, dass jeder von uns eine bewusste, höchstpersönliche Entscheidung trifft – sei sie für oder gegen Organspende.