USA 2013 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Richard LaGravenese Kamera: Steven Soderbergh Darsteller: Michael Douglas, Matt Damon, Scott Bakula, Eric Zuckerman, Eddie Jemison, Randy Lowell u.a. |
||
Mehr Versteck ist nicht: Liberace hinter dem großen Leuchter |
Er zieht ihn schon in seine Welt, bevor sie sich begegnen. Begleitet von »I feel love« gehören die Nächte des jungen Hundetrainers Scott den Bars, den Flirts in der Disco. Bald schon und völlig unerwartet soll er den Komponisten von Donna Summers Verführ-Arie kennenlernen: Es ist der Klaviervirtuose und Las Vegas' Megastar Liberace, der sich sofort in Scott verliebt und ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnt – Genau wie viele andere, die das Leben des jungen Mannes komplett verändern werden.
Liberace von Steven Soderbergh heißt im Original Behind the Candelabra, benannt nach und basierend auf der Autobiographie von Scott Thorson über seine Beziehung zu dem exzentrischen Pianisten und Bühnenberserker Liberace. Hinter so einem Lüster auf dem Flügel, den er zu einem seiner vielen Markenzeichen machte, blieb nicht viel Platz für Verstecke. Schon gar nicht, wenn der Exzess alle Lebensbereiche erfasst. Da ist großes Selbstbewusstsein und Einfallsreichtum gefragt, beides hatte Wladziu Valentino Liberace, der sich von der Welt mit seinem Nachnamen bejubeln und von Freunden mit Lee anreden ließ. Auf kluge Weise fächert Soderbergh die enorme Schaffenskraft dieses Egos auf, das genauso rücksichtlos vernichten konnte.
Er zeigt Liberace in doppelter Hinsicht als gemachten Mann: Getreu des Lebensmottos der sympathischen Drag-Queen La Agrado aus Pedro Almodóvars Alles über meine Mutter (»Man ist umso identischer, desto mehr man an das herankommt, was man sich von sich selbst erträumt hat«) erfand sich der technisch perfekte Pianist einst als eitle, zugleich umwerfend charmante Bühnenfigur mitsamt ihrem opulenten Kosmos aus Palästen, Juwelen, Pelzen und unglaublichen Shows, die nicht am Bühnenrand Halt machten. Bei so viel Perfektion war die Frage nach der sexuellen Orientierung nicht nur Tabu, sondern für seine ergebenen Fans stets gänzlich abwegig. Wer einen so gut unterhält, den hinterfragt man nicht.
Doch Liberace, wie Soderbergh ihn sieht und Douglas in beängstigender Treffsicherheit darstellt, ist nicht nur schwerreicher generöser Selbstinszenierer und -erschaffer. Als Scott in sein Leben tritt, erkennt man in ihm den »Herrn K.« von Bertolt Brecht, der einen Entwurf von dem Menschen macht, den er liebt und dafür sorgt, dass er ihm ähnelt – der Mensch dem Entwurf wohlgemerkt, nicht umgekehrt. Hier beginnt das tolldreiste Spiel beider Kräfte: Fasziniert sieht man Damon bei der Metamorphose seiner Figur zu, vom naiven, Jahrzehnte jüngeren Boy zum Geliebten, zum Angestellten, zum Ebenbild und noch Vielem und Schlimmeren mehr, während Herr K. Liberace stets derselbe bleibt, die Regeln vorgibt und mit immer neuen Entwürfen zur Identitätsstiftung daherkommt. Das ist skurril, bizarr und ganz schön unheimlich. Doch weil Soderbergh und seine beiden Hauptdarsteller ihre Figuren in ihren Gefühlen, Wünschen, Sehnsüchten und Widersprüchen ernst nehmen, ist Liberace weder alberne Freakshow noch düsterer Herr-und-Sklave-Psychothriller, sondern ein amüsantes, bittersüßes und herzerwärmendes Stationendrama, das nicht eine Sekunde langweilt. Das liegt, neben der dynamisch-grandiosen Leistung von Douglas und Damon vor allem an der herrlichen Situationskomik und Ironie, die in Rob Lowes Darstellung des Schönheitschirurgen Dr. Startz gipfelt. Überhaupt die Besetzung der Nebenrollen: Wie die 24-Karäter an Liberaces Finger funkeln (einstige) Stars wie Debbie Reynolds, einst Partnerin von Gene Kelly in Du sollst mein Glückstern sein, als Liberaces Mutter und Dan Aykroyd als sein rigoroser Manager. So ist man in den 118 Minuten derart mit Lachen, Staunen und Empfindungen beschäftigt, dass man sich danach so beschwingt fühlt, als hätte man den ganzen Champagner alleine ausgetrunken – ohne lästigen Kater hinterher.
Um ein Haar hätte die Borniertheit amerikanischer Produktionsfirmen das internationale Kinopublikum um diese Bereicherung gebracht: Mit der Idee, einen Film über die Beziehung von Liberace und Thorson zu machen, ging Steven Soderbergh seit über einem Jahrzehnt schwanger. Seine Schauspielerfreunde Douglas und Damon waren schnell zu begeistern. Doch keine Produktionsfirma zeigte Interesse – außer der Pay-TV Kanal HBO, der das Potenzial erkannte, Liberace ausstrahlte, in Cannes als Fernsehfilm präsentierte und ihn als den großen Gewinner bei den diesjährigen Emmy-Awards feiern konnte. Sollte Liberace tatsächlich das mehrmals angekündigte, vorläufige Regie-Ende von Steven Soderbergh werden, gibt es kein grandioseres, weil rundum gelungenes, Finale.
Da thront er auf dem Klavier, der goldene, mit echten Kerzen besetzte Kandelaber, Titelgeber der englischen Version »Behind the Candelabra« und, zusammen mit dem Klavier, Markenzeichen von Władziu Valentino Liberace (1919 – 1987), genannt Liberace, einem amerikanischen Pianisten und Entertainer. So wie der Kerzenleuchter golden strahlt, glänzt und blinkt im ersten Moment alles im neuen Film von Steven Soderbergh, tritt man aber dahinter, schließt sich der Vorhang, dann bemerkt man wie viel in Liberaces Leben Kulisse war. Dieser Liberace war ein kleiner Märchenkönig, ein exzentrischer Lebemann, der den Übergang von Bühne zum Leben so fließend machte, dass es sowohl ihm als auch seinem Publikum manchmal schwer gefallen sein dürfte, den Unterschied zu bemerken. Liberace war gewissermaßen der nicht-geoutete Elton John der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre, der in seiner Fernseh- und besonders in seiner glamourösen Las-Vegas-Show bewiesen hat, was es heißt, Talent mit Pomp zu überdecken und das eigene Leben von dem Konstrukt auf der Bühne. Liberace war ein Wunderkind am Klavier. In den fünfziger Jahren gewann er gleich siebenmal den Preis für den schnellsten Klassikpianisten, das klingt für europäische Bildungsbürger obszön, spricht aber für Liberaces Spiel mit Ernsthaftigkeit und Entertainment, Schwere und Leichtigkeit, Bühne und Leben, der zwar den Mut aufbrachte in einem bernsteinbesetzten Hermelinmantel auf die Bühne zu kommen, aber Zeit seines Lebens seine Homosexualität verleugnete. Das hängt sicher auch mit seinem Drang zusammen geliebt zu werden und das eben nicht nur von einer Person, sondern vom Publikum, der Durchschnitts-Masse, und für diese war die Liebe zwischen Männern immer noch ein großes Tabu. 1987 starb Liberace, an Aids, das konnte er nicht geheim halten, obwohl er es tatsächlich versuchte. Den Tod konnte er nicht kontrollieren.
Neben dem Erfolg, den ringbesetzten über die Tasten wirbelnden Fingern, all der barocken Exaltiertheit seiner selbstkreierten Umgebung, geht es in dem Film um die Beziehung von Liberace (Michael Douglas) und dem über dreißig Jahre jüngeren Scott Thornton (Matt Damon), auf dessen Memoiren der Film basiert. Scott jung, unerfahren und in wechselnden Pflegefamilien aufgewachsen, erliegt der Verführungskunst von Liberace und dem ihm damit gebotenen, königlichen Leben, in dem er aber, laut offiziellem Protokoll niemals eine Rolle spielen durfte. Liberace wird so zu Scotts aufrichtigem Father, Lover, Brother and best Friend, gleichzeitig aber steckt er Scott in ein kleines, glitzerndes Gefängnis, in dem er sich kaum bewegen kann. Scott, der junge blonde Geliebte, wird zum Haushündchen des Pianisten, mit dem dieser Popcorn-essend abends vor dem Fernseher entspannt. Ihre Krönung findet diese Beziehung in den Schönheitsoperationen – zu diesem Zeitpunkt in Hollywood noch recht unüblich, also fast innovativ – in deren Zuge sich Scott dem Äußeren eines jungen Liberace annährte und zudem tablettenabhängig wird – soviel zur Vater-Sohn-Beziehung – und Liberace im Schlaf vor lauter gestraffter Gesichtshaut die Augen nicht mehr schließen kann. Diese letzte Konsequenz, die Umgestaltung der eigenen Oberfläche, ist einerseits erschütternd, andererseits erstaunlich amüsant: Mit Kinngrübchen oder ohne, faltenlos Grimassieren oder Lächeln? Na, Hauptsache man sieht gut! Natürlich geht das auf Dauer nicht gut. So handelt der Film leider auch weniger vom Kampf nach Anerkennung homosexueller Liebe als eher um eine Beziehung, die hinter der Show vertrocknet. Der Film bleibt dabei ganz unaufgeregt, ja manchmal könnte er etwas träge wirken, denn die ganze Opulenz ist auf Dauer ein wenig ermüdend, wenn da nicht das Spiel von Douglas und Damon wäre, denen es gelingt, in all dem Glitzerbrimborium das sensible und berührende Kammerspiel zweier Liebender zu geben. Douglas kommt dabei dem echten Liberace mit seinem aufgesetzten Bühnenlächeln, den süffisanten Geschichten und Anekdoten, seinen Bewegungen, dem Ton in der Stimme so nahe, dass er dafür mit dem Emmy geehrt wurde. Insgesamt hat Liberace elf Emmys bekommen, drei davon in den Hauptkategorien: für Douglas als Besten Hauptdarsteller, für Soderbergh für die Beste Regie und den Besten Film. In den USA lief Liberace als Fernsehfilm, da er vom Sender HBO finanziert wurde, HBO ist u.a. verantwortlich für innovative Serien wie »The Wire« (2002-2008) oder »Die Sopranos« (1999-2007). Liberace war dort einer der erfolgreichsten Fernsehfilme der letzten Jahre. Zwar hat sich Soderbergh um eine Finanzierung durch verschiedene Filmstudios bemüht, doch nur Absagen erhalten. Offenbar war ihnen das Thema des Films zu »schwul« – was auch immer das bedeuten mag – und deshalb nicht massentauglich genug.
Soderberghs Abneigung gegenüber den großen Hollywoodstudios wurde dadurch sicher verstärkt, kein Wunder also, das er sich vor einem Jahr davon verabschiedet hat, weitere Kinofilme zu machen. Merkwürdig ist nur dies ausgerechnet von einem Mann zu hören, der in den letzten Jahren ganz gut zu wissen schien wie er mit dem System umgehen musste: Einerseits hat er gute, aber auch massentauglich Filme gemacht, wie den Oscar-Gewinner Traffic – Die Macht des Kartells (2000) oder die Ocean’s-Filme, andererseits aber – und das sicher nur mit Hilfe der so gewonnenen Reputation –, anspruchsvollere, aber finanziell weniger erfolgreiche Filme wie The Good German (2006) oder Che (2008). Unabhängig aber von der Person Soderberghs stellt sich einmal mehr die Frage: Warum sind amerikanische TV-Serien so viel innovativer, spannender und einfach besser, als die meisten aktuellen Hollywood-Produktionen? Warum stößt Hollywood seine Regisseure mit Forderungen nach simpler Handlung und dümmlichen Charakteren vor den Kopf, wenn das stetig wachsende Fernsehpublikum, also das potentielle Kinopublikum, doch beweist, dass es etwas Anspruchsvolleres will? Für Soderbergh spielt das keine Rolle, er will Filme machen und davon wird ihn auch Hollywood nicht abhalten.