USA 1999 · 90 min. · FSK: ab 16 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Lem Dobbs Kamera: Edward Lachman Darsteller: Terence Stamp, Peter Fonda, Lesley Ann Warren, Luis Guzmán u.a. |
Worum geht es in The Limey? Wie bei allen großen Filmen gibt es mindestens zwei Antworten auf diese Frage. Diejenige, die die meisten Leute als erste erwarten, ist die langweilige – diejenige, die die Geschichte beschreibt: Es geht um einen Engländer, der nach 30 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird und sich auf macht nach L.A. um den Mörder seiner Tochter zu finden und sich an ihm zu rächen.
Es ist wahrhaft eine straight story, ebenso schnörkel- wie
kompromißlos. Aber in großen Filmen ist WAS (wenn überhaupt etwas) erzählt wird meist bestenfalls zweitrangig. It’s the singer, not the song – auf das WIE kommt es an.
The Limey ist ein großer Film, und worum es darin wirklich geht beantwortet sich nur, wenn man dem Wie Beachtung schenkt.
Es ist ein Film voller Geisterstimmen, voller akustischer Erinnerungen und Vorahnungen. Stimmen, die sich von den Körpern lösen, die im Kopf der Hauptfigur Wilson (der grandiose Terence Stamp) herumspuken, die sich aber auch durch die Montage von den Bildern abspalten, zu denen sie gehören, die nicht dem Gesetz der braven
Lippensynchronizität gehorchen. (Wie die meisten wichtigen Sachen, von denen hier die Rede sein wird, ist davon in der deutschen Synchronfassung herzlich wenig übriggeblieben, wo man sich bemüht hat, das Ganze wieder so glatt wie möglich zu bügeln.)
Es ist – und das hängt damit eng zusammen – ein Film gegen geradlinige Chronologie. Nicht nur gewöhnliche Zeitsprünge wie beispielsweise Rückblenden gibt es zuhauf: Steven Soderbergh schneidet auch auf Mikroebene
nicht am Zeitpfeil entlang. In Dialogsequenzen wird vor- und zurückgesprungen, verschiedene Szenen werden ineinandergeschnitten, kommunizieren über Ort und Zeit hinweg miteinander. Fragen, die in einem Raum gestellt werden, finden ihre Antwort in einem um Kilometer und Stunden entfernten, der nur durch den Zauber der Montage unmittelbar herangeholt werden kann.
Soderbergh knüpft da offensichtlich an an europäisches Kino der 60er, speziell wohl an Godard – Wilson kommt
nicht umsonst aus Europa und war als Gefängnisinsasse seit Ende der 60er quasi aus der Welt. The Limey ist auch ein Film über das Verhältnis von Amerika zur »Alten Welt«. (Und nachdem Soderbergh für seinen netten, glatten Out of Sight – ein schöner, aber Soderberghs belanglosester Film – mit Jahresbesten-Nominierungen überhäuft wurde, strafte man den
unangepassteren The Limey in den USA mit völliger Mißachtung.)
Ein vielleicht unauffälligeres Spiel mit Kino-Zeit als diese Mikro-Sprünge, das Soderbergh treibt, ist aber noch radikaler: Wenn Wilson/Stamp sich zurückerinnert, dann sehen wir Szenen aus Ken Loachs Poor Cow von 1967 – mit Terence Stamp. Das verletzt nicht nur unsere Erwartung an die Geschlossenheit einer Fiktion, läßt einen fremden Text eindringen, deutet ihn um. Es gibt auch einen ganz unmittelbaren Stich (wer will, darf an Roland Barthes Gedanken zu Fotografie und Tod in »Die helle Kammer« denken), denn das Vergehen von 30 Jahren, das Altern, die Vergänglichkeit wird an diesen Bildern und ihrer Differenz zu den »heutigen« von Terence Stamp erschreckend greifbar.
The Limey ist eine Suche nach der verlorenen Zeit und ein Zwischending aus Essay und Meditation über die Zeit-Kunst Kino. Es geht darum, wie Bilder bleiben und Körper vergehen, darum, wie Tote auf der Leinwand weiterspuken können, darum, wo wir Sterblichen hin sollen mit unserer Trauer in einer Welt solch technischer Unsterblichkeitsapparaturen.
Es geht aber auch ganz konkret (und politisch) darum, was in den letzten 30 Jahren passiert ist. Wo die
Träume von 1968 hin sind, wie wir von dort nach hier gekommen sind. Wilsons Gegenspieler Valentine wird nicht umsonst von der Easy Rider-Ikone Peter Fonda dargestellt.
The Limey ist ein Film zwischen Zorn und Resignation, ein Film über vertane Chancen und die grausame Unmöglichkeit, sie zurückzuholen. Ein Film, der aber auch versucht, einen Weg des Erwachsenwerdens,
des Abfindens mit der Unausweichlichkeit zu zeigen.
Dies alles kann nur Fingerzeig sein, will die Blickrichtung auf Spannendes lenken. Will sagen, worum es bei The Limey geht, um zu den Fragen zu führen, die der Film selbst stellt. Beantwortet sind diese Fragen des Films damit freilich noch nicht und werden es so schnell nicht sein. Ich habe den Film erst einmal gesehen, und das reicht dafür noch nicht. Betrachten Sie diesen Text vielleicht als eine Art kleinen filmischen Reiseführer, der auf Sehenswertes aufmerksam macht, ohne ihm allzusehr auf den Grund zu gehen. Hinfahren und gucken müssen Sie selbst und werden vielleicht noch ganz anderes entdecken oder zu anderen Schlüssen kommen. Auch das gehört eben dazu wenn ich sage: The Limey ist ein großer Film.