USA 2020 · 109 min. Regie: Michael Matthews Drehbuch: Brian Duffield, Matthew Robinson Kamera: Lachlan Milne Darsteller: Dylan O'Brien, Jessica Henwick, Michael Rooker, Dan Ewing, Ariana Greenblatt u.a. |
||
Momente unaussprechlicher Schönheit | ||
(Foto: Netflix) |
»Schmeißt die Luken auf. Atmet die frische Luft ein. Zieht raus und lebt euer Leben!« – Joel in Love and Monsters
Was geht? Nicht mehr viel. Denn nach der Zerstörung eines auf die Erde zusteuernden Asteroiden durch Raketen bewirkt der chemische Fallout, dass alle Kaltblüter zu Mega-Monstern mutieren. Doch es kommt noch schlimmer: im Kampf der Mutanten gegen die menschlichen Armeen wird ein Großteil der Menschheit zerstört. Die, die sich retten können, versuchen in unterirdischen Bunkerkolonien zu überleben. Auch Joel (Dylan O’Brien) lebt in einem dieser provisorischen Patchwork-Familien-Verstecke. Doch als Mittzwanziger ohne Freundin ist er irgendwann so genervt vom Rumgevögel seiner Mitbewohner, die in ihm nur das Kind, den Koch und Funkgeräte-Freak sehen, dass er sich trotz aller Gefahren auf den Weg zu Aimee (Jessica Henwick) macht, deren Verbleib er nach fast siebenjähriger Funkstille endlich herausgefunden hat.
Und so geht Joel seinen Weg. Trifft auf andere Menschen, auf Mutanten, einen Hund und Kulissen eines anderen Zeitalters, also schwer-dystopische Landschaften, so wie wir sie kürzlich auch in Tribes of Europa gesehen haben. Doch von Politik und dem düsteren Homo homini Lupus der deutschen Serie ist die US-amerikanische Produktion weit entfernt. Menschen töten sich hier (von Ausnahmen abgesehen und dann auch nicht aus ideologischen Gründen) eben gerade nicht, sondern helfen einander und im Fall von Joel geben sie ihm auch ein wenig Bildungsroman, also Coming-of-Age mit auf den Weg, darf sich Joel vom gewalt-gehemmten spätpubertären Jugendlichen zum Mann mit neuen Qualitäten entwickeln, ohne dabei jedoch seine Selbstironie und Tollpatschigkeit zu verlieren.
Das macht Joel zu einem sympathischen und vor allem historisch tief verwurzelten Hybrid, der bei älteren und/oder filmhistorisch interessierten Betrachtern eine wahre Achterbahnfahrt an Assoziationen auslösen dürfte. Von Arthur Dent aus Per Anhalter durch die Galaxis über Indiana Jones, Back to the Future und Stand by Me scheint alles dabei zu sein. Aber auch die heutigen Referenzen auf die Literatur und das Post-New-Hollywood-Kino der 1980er feiern ihre Wiederauferstehung. Sei es der Jumanji-Reboot, das letzte Planet der Affen-Installment oder der Serien-Erfolg Stranger Things – ein wenig »Heimat« findet hier jeder, egal wie »fremd« und zugleich vorhersehbar das alles ist.
Doch anders als Tribes auf Europa gelingt dem Team um den südafrikanischen Regisseur Michael Matthews (Five Fingers for Marseilles), Produzent Shawn Levy (u.a. Stranger Things, Arrival) und Drehbuchautor Brian Duffield (Jane got a Gun) aus Love and Monsters mehr als nur ein lebloses Zitatsammelsurium. Das liegt auch daran, dass das Katastrophenkino des Kalten Krieges, und im Besonderen die Big-Bug-Movies wie Tarantula (1955) oder Beginning Of The End (1957) nicht nur zitiert werden, sondern der liebevollen Grundierung des ganzen Films dienen und dabei zu etwas ganz Neuem mutieren, was sich zu den multiplen Mutationen im Film dann auch besonders gut ausnimmt. Mehr noch als es Monster-Mutanten sind, die wie ein Tribut an den legendären Ray Harryhausen wirken und von den Oscar-nominierten VFX- und Animation Teams von Mr. X in kongenialer Zusammenarbeit mit Produktionsdesigner Dan Hennah so liebevoll ausgestattet wurden, dass jeder Todesfall immer auch ein aufrichtiges Bedauern nach sich zieht.
Aber zum Glück – und ganz im Sinn des heutigen Monsterdiskurses (siehe z.B. A Monster Calls) – sterben nicht alle Monster, sondern klärt Love and Monsters auch darüber auf, dass nicht alle Monster Monster sind, dass sie sowohl symbolisch für die Abgründe unserer Psyche stehen können als auch für etwas so banales wie unsere gegenwärtige Corona-Pandemie, dass es auch gutes Grauen gibt, dass Überleben auch immer heißt, das Gute im Schlechten zu erkennen, es zu liebkosen und zu knuddeln. Und dass in jeder Apokalypse sogar Momente unaussprechlicher Schönheit schlummern, so wie etwa jener Moment, als Joel, sein Hund und ein humanoider Roboter zu den Klängen Ben E. Kings Stand by Me auf einem Sofa sitzen und draußen auf den versehrten Straßen Riesenquallen durch die Lüfte schweben.
Spätestens mit dieser so poetischen Sequenz wird Joel und allen Betrachtern klar, dass es für Menschen immer ein Leben danach gibt, dass die Rache der Natur immer auch Rache des Menschen an sich selbst ist. Und dass irgendwann die Zeit kommt, »wiedergeboren« zu werden und ans Tageslicht zu treten, mit neuen Visionen und neuem Mut.
Ein besseres post-pandemisches Credo ist derweil kaum zu haben.
Love and Monsters ist seit 14. April auf Netflix abrufbar.