Deutschland/Ö 2016 · 113 min. · FSK: ab 6 Regie: Cordula Kablitz-Post Drehbuch: Cordula Kablitz-Post, Susanne Hertel Kamera: Matthias Schellenberg Darsteller: Katharina Lorenz, Nicole Heesters, Liv Lisa Fries, Helena Pieske, Katharina Schüttler u.a. |
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Eine ernsthafte junge Frau: Lou Andreas-Salomé |
»Lou ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe« – immerhin der Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb diese Zeilen über Lou Andreas-Salomé. Die Begegnung mit ihr wurde für den Denker zu einem Schlüsselerlebnis. Andreas-Salomé war eine der bemerkenswertesten, ungewöhnlichsten Frauen des 19., frühen 20. Jahrhunderts.
Ein Freigeist, eine Rebellin, eine Abenteurerin des Geistes: 1861 geboren, als Tochter eines russischen Generals in St. Petersburg aufgewachsen, wollte schon die junge Lou Andreas-Salomé alles wissen, alles machen: Sie war viel zu intelligent für die meisten ihrer Zeitgenossen. Gegen den Willen ihrer Mutter beschäftigte sie sich mit Philosophie, schrieb Gedichte und versuchte, voller Wissenshunger, Eingang in die – für Frauen fast unzugänglichen –
intellektuellen Kreise ihrer Zeit zu bekommen.
Zugleich beschloss sie sehr bewusst, auf körperliche Liebe zu verzichten. Denn sie verstand: Um in der von Männern bestimmten Welt des 19. Jahrhunderts eine Chance zu haben, um als gleichwertig und selbstbestimmt akzeptiert zu werden, vielleicht gar als Männern ebenbürtig angesehen werden, könnte sie weder Ehefrau noch Geliebte sein. Zeitlebens kämpfte Lou Andreas-Salomé um ihre Freiheit – als Denkerin wie als Frau. Das eine
ließ sich in der Männerwelt ihres Zeitalters nicht voneinander trennen.
In ihrem assoziativen, in Zeitsprüngen erzählten Film-Portrait schildert die Berliner Regisseurin Cordula Kablitz-Post das Erwachsenenleben dieser ungewöhnlichen Frau. Es ist der erste Spielfilm der Regisseurin, die eine erfahrene Dokumentarfilmerin ist, Portraits über unter anderem Mickey Rourke, Helmut Berger und Nina Hagen drehte, und einige Jahre mit Christoph Schlingensief zusammenarbeitete
und daher mit echten wie vermeintlichen Genies einschlägige Erfahrungen besitzt.
Nun dieser Lebensgeschichte zu folgen, heißt in den schillerndsten Farben von der Freiheit zu erzählen, die sich Lou Andreas-Salomé nahm.
Lou ging zunächst zum Studieren nach Rom. Dort lernte sie die Philosophen Paul Rée und Friedrich Nietzsche kennen. Beide Freunde waren von dieser klugen Frau fasziniert, beide machten ihr einen Heiratsantrag, beide wurden abgelehnt.
Doch dann traf sie Rainer Maria Rilke, der damals noch ein junger, unbekannter Autor war. Der Dichter umwarb sie mit seinen Texten und sie verliebte sie sich Hals über Kopf in diesen poetischen Mann. Sie wurde Rilkes Ratgeberin und Förderin. Endlich ließ sie sich auf eine Liebesaffaire ein, so frei und ungebunden, wie sie auch in ihrem Denken war. So folgten weitere Liebschaften. Später lernte sie Sigmund Freud kennen und entdeckte die Psychoanalyse für sich.
Die Regisseurin hat vieles ausgespart und weniges dazuerfunden, um die Erzählung geschmeidiger zu machen. Ihr Film ist kein Namedropping und kein Historienausstattungskino.
Dafür arbeitet sie mit dezenten Animationen, in denen alte Postkartenansichten belebt werden. Gleich drei Darstellerinnen verkörpern die Hauptfigur in unterschiedlichen Lebensphasen – von der jungen Liv Lisa Fries über Katharina Lorenz bis hin zu Nicole Heesters sind das hervorragende,
mitunter faszinierende Auftritte.
1933, als die Nazi-Diktatur begann, lebte Andreas-Salomé als alte Frau in Göttingen, die zwar eine Studentenstadt war, aber auch zu den frühen Nazihochburgen gehörte. Hier lässt sie, während auf der Straße die ersten Bücherverbrennungen der Nazis stattfinden, ihr bewegtes Leben Revue passieren – dabei begegnet das Publikum einer der unabhängigsten Frauen ihrer Zeit, die doch auch als Gefährtin und Muse großer Männer bekannt wurde. Die Psychoanalyse einer berühmten Frau.