Finnland/Deutschland 2014 · 84 min. · FSK: ab 0 Regie: Tonislav Hristov Drehbuch: Tonislav Hristov Kamera: Peter Flinckenberg Schnitt: Nikolai Hartmann |
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Liebe als rational zu erfassendes Phänomen |
Wer hätte vor 30 Jahren geglaubt, dass eines Tages Computer-Nerds wie Steve Jobs zu Popstars und zu Livestyle-Trendsettern avancieren würden? Anfang der 80er dachte man bei Nerds und Geeks an verpickelte und schlecht frisierte Buben mit zentimeterdicken Brillengläsern, so wie sie erst jüngst der Film Computer Chess (2013) zeigte. Die Spezies der Computer-Nerds galt als Inbegriff der Uncoolness und war höchstens als stereotype Witzfigur für mittelprächtige Komödien zu gebrauchen. Viel hat sich seither verändert, nur eines nicht: Dem Nerd sind Computerchips und Netzwerke wesentlich verständlicher als das System Frau. Auch gehören Informatiker und Ingenieure nach wie vor nicht zu den Berufsgruppen, denen ein erhöhter Sex-Appeal nachgesagt wird.
Was liegt also näher, als die Nerds in Liebesdingen gezielt zu coachen und dabei genau die Sprache zu verwenden, welche diese Meister der elektronischen Zirkulation am besten verstehen? Tonislav Hrstovs Dokumentation Love & Engineering begleitet vier junge Computerfreaks in Helsinki bei einem sich über zwei Jahre hinziehenden Coaching zu der Frage, wie Mann sich gezielt in das System Frau einhackt. Todor, Tuomas, Marcus und Andon haben nichts zu verlieren und lauschen gebannt den knackigen Thesen ihres Liebes-Mentors Atanas. Dessen Qualifikation besteht darin, dass er trotz eines gleich doppelten Handicaps – er ist nicht bloß Informatiker, sondern zudem ein starker Stotterer – bereits seit zwei Jahren glücklich verheiratet ist.
Er erklärt seinen Schülern auf logisch schlüssige Weise, wie man einen „Request“ (Flirt) derart souverän startet, dass man geschickt die „Firewall“ der Frau umgeht, um sich direkt in ihr System einzuhacken. Atanas zufolge ist es zudem nur fair, wenn die Männer zu allerlei zielführenden Tricks greifen, um die begehrte Frau zu ergattern. Schließlich arbeiten jene selbst völlig schamlos mit so ausgefeilten Männer-Hack-Techniken wie Push-up-Bhs, Eyeliner und kurzen Röcken...
In unserer heutigen weitestgehend enttabuisierten Spaßgesellschaft ist es zum neuen Tabu geworden, an dem durch die Medien suggerierten großen wilden Treiben keinen Anteil zu haben. Wer heute um die 30 Jahre alt ist und noch nie in seinem Leben Sex hatte, der verkriecht sich entweder in ein dunkles Loch oder macht ganz offensiv einen Film über sein persönliches Dilemma, wie der Münchner Filmemacher Wolfram Huke mit seiner schonungslosen Nabelschau Love Alien (2012).
Zudem ist die Idee, dass auch die Liebe ein rational leicht zu erfassendes Phänomen sei, gerade stark in Mode. In den letzten zehn Jahren ist es zum Normalfall geworden, seinen Partner über ein Dating-Portal im Internet kennenzulernen. Viele dieser neuen Liebesvermittler machen eine eigene Wissenschaft daraus, wie ihre speziell entwickelten Algorithmen die Bekanntschaft mit dem Traumpartner fürs Leben garantieren. Dabei erfolgt die Auswahl oft weniger anhand diffuser Gefühlskategorien, als aufgrund handfester Merkmale wie Körpermaße, sozialem Status und dem Einkommen.
Atan übernimmt von dieser rein materiellen Ideologie die Ansicht, dass die körperliche Attraktivität der Frau das entscheidende Kriterium für eine glückliche Partnerschaft ist. Dabei weist er seine Lehrlinge darauf hin, dass für sie zwar keine Claudia Schiffer drin sei (warum eigentlich nicht?), aber immerhin „eine Frau, um ein gutes Leben haben zu können“ (sprich eine ausreichend attraktive Dame). Bei soviel Naivität stehen dem Zuschauer schnell die Haare zu Berge.
Aber sehr ernsthaft und recht selbstbewusst macht Atan deutlich, dass seine ausgefeilten Techniken zum Frauen-Hacken wesentlich weitergehen, als die Anwendung schnöder Matching-Algorithmen. Dem stark stotternden Hohepriester des Frauen-Hacken zufolge ist Liebe fast eine Art pawlowscher Reflex, der automatisch eintritt, sobald der kompetente Frauen-Hacker nur die richtigen Signale aussendet. Wie dies im Detail aussieht, ist recht amüsant anzusehen. Nicht umsonst haben Fernsehshows, die der freiwilligen Selbstentblößung ihrer Kandidaten frönen, gerade Hochkonjunktur.
Der Erkenntnisgewinn für den Zuschauer bleibt bei Love & Engineering minimal. Immerhin teilt er dieses Schicksal mit den fleißigen Liebes-Lehrlingen. Innerhalb der zwei intensiven Lehrjahre hatte nur einer von ihnen eine Beziehung. Diese ist jedoch längst gescheitert...