The Lost King

Großbritannien 2022 · 108 min. · FSK: ab 6
Regie: Stephen Frears
Drehbuch: ,
Kamera: Zac Nicholson
Darsteller: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd, Benjamin Scanlan, Adam Robb u.a.
Filmszene »The Lost King«
Intensive Dialoge mit einer überragenden Sally Hawkins...
(Foto: X Verleih)

Die inszenierte Wahrheit

Altmeister Stephen Frears inszeniert den Kampf einer Hobby-Archäologin gegen das universitäre und familiäre Establishment auch als Parabel über die Macht von Fake News

Sir Stephen Frears hat sich seit seinem großen ersten Erfolg mit Mein wunder­barer Wasch­salon (1985) so ziemlich jedes Genre und Thema zu eigen gemacht und war damit meist sehr erfolg­reich. Das gilt auch für seine Fern­seh­ar­beiten und Serien, letztlich erst die mit Nick Hornby entwi­ckelte, sehr aufre­gende Serie State of the Union (2019-22), in der ein Paar sich jede Woche vor der gemein­samen Paar­the­rapie-Session trifft, um über das gemein­same Leben und was Liebe und was Trennung ausmacht, unterhält.

Auch in Frears neuer Arbeit, die auf einer realen Geschichte basiert, steht erst einmal ein Paar im Zentrum. Philippa Langley (Sally Hawkins) leidet an dem im Film leider fälsch­lich darge­stellten chro­ni­schen Erschöp­fungs­syn­drom ME/CFS (*). Wohl auch deshalb hat sich ihr Mann (Steve Coogan) von ihr getrennt und lebt mit einer neuen Frau zusammen, unter­s­tützt Philippa und ihre beiden Kinder jedoch regel­mäßig im Haushalt. Dennoch ist die Beziehung ange­spannt, findet Philippa weder vor ihrem Mann noch auf ihrer Arbeits­stelle die Aner­ken­nung, die sie sich wünscht.

Frears überführt seine Geschichte dann sehr schnell und schmucklos – der Film könnte auch für das Fernsehen produ­ziert worden sein – zum eigent­li­chen Hand­lungs­schwer­punkt, Philippas zufällig erwa­chendes Interesse für Englands König Richard III., dessen Grab nie gefunden wurde und der durch Shake­speares gleich­na­miges Stück einen eher schlechten Ruf hat. Philippa verbeißt sich zunehmend in die Reha­bi­li­tie­rung von Richards Leben und Wirken und beginnt auch durch die Unter­s­tüt­zung der auch in ihrer Heimat­stadt Edinburgh wirkenden Richard III.-Society nach Richards Grab zu suchen und schließ­lich Gelder für eine Exhu­mie­rung des verschol­lenen Königs zu sammeln.

Dabei stößt sie nicht nur auf das Entsetzen ihres fami­liären Umfelds, sondern zunehmend auch auf den Wider­stand etablierter Insti­tu­tionen wie die Univer­sity of Leicester, die die Hobby-Archäo­login mit offener Arroganz blockiert.

Frears schildert diesen Prozess mit inten­siven Dialogen und einer über­ra­genden Sally Hawkins und schafft es, aus einem drögen histo­ri­schen Thema einen packenden Krimi zu insze­nieren. Dazu gehört zwar im zentralen Drama das späte »Coming-of-Age« einer unter­schätzten Frau, doch Frears dekon­stru­iert ebenso genüss­lich die korrupten Struk­turen eine Bildungs­elite, die sich in Krisen­zeiten sogar selbst kanni­ba­li­siert und weit davon entfernt ist, dem eigenen propa­gierten Ethos zu genügen. Ein wenig befremd­lich wirkt in diesem ja an sich sehr ratio­nalen Drama allein Frears ganz und gar irra­tio­nale, man könnte auch sagen »poetische« Idee, seine Heldin in eine magische bzw. wahnhafte Korre­spon­denz mit Richard (Harry Lloyd) treten zu lassen, die den spitzen Plott immer wieder ein wenig abstumpft.

Frears’ Film, der es immerhin auf die Liste der besten Filme des Jahres 2022 der Guardian-Leser schaffte und eine heftige Debatte in der briti­schen akade­mi­schen Welt auslöste, über­rascht dann jedoch mit einer weiteren Zutat sehr positiv, die die Gespens­ter­ge­schichte fast vergessen lässt. Denn mit dem Lauf der Handlung arbeitet Frears nicht nur die mensch­li­chen Miseren zugkräftig aus, sondern unter­füt­tert die Geschichte sehr pointiert mit genug histo­ri­schen Fakten, um deutlich zu machen, dass sich die Zeiten seit dem 15. Jahr­hun­dert in einigen Belangen kaum geändert haben – schon damals Fake News, in diesem Fall aus dem Hause Tudor, die die Nachfolge Richards III. antraten, so wirk­mächtig waren, dass nicht nur ein Autor wie Shake­speare darauf herein­fiel, sondern Gene­ra­tionen von Autoren und Histo­ri­kern nach ihm.

Diese gelungene Kombi­na­tion aus persön­li­chem, insti­tu­tio­nellem und histo­ri­schem Drama macht The Lost King zwar nicht gleich zu einem der großen Filme von Frears – wie etwa Gefähr­liche Lieb­schaften (1988) oder The Queen (2006) – aber nichts­des­to­trotz zu einem wichtigen Film, der auch im Schul­un­ter­richt eine wichtige Rolle spielen sollte – um vor allem ein Gespür dafür entwi­ckeln zu lernen, dass histo­ri­sche Wahrheit immer auch insze­nierte Wahrheit sein kann.

* Weder die im Film darge­stellten Medi­ka­mente exis­tieren noch ist der soge­nannte »Crash« korrekt darge­stellt, liegen die Erkrankten nach einer Über­las­tung oft tagelang mit Schmerzen im Dunkeln.