Deutschland 1998 · 79 min. · FSK: ab 12 Regie: Tom Tykwer Drehbuch: Tom Tykwer Kamera: Frank Griebe Darsteller: Franka Potente, Moritz Bleibtreu, Armin Rohde, Nina Petri u.a. |
»Eine rennende Frau, die seitliche Halbnahe von einer rennenden Frau« – mit diesem Bild im Kopf begann für Tom Tykwer die Genese von Lola rennt. Und so hat auch Kino einmal angefangen: Mit der puren Freude an der Bewegung. Mit dem Staunen darüber, daß da auf der Leinwand Licht und Schatten plötzlich zu Körpern werden – und daß tausende tote Momente gefrorenen Lichts magisch zu flackerndem Leben erwachen.
Eine Kino-Story, durch und durch: Lola muß in 20 Minuten DM 100.000 Mark auftreiben, um ihrem Freund Manni das Leben zu retten – Liebe und Geld, Zeit und Tod. Archaische Themen in genialer Verdichtung; ein Großstadt-Märchen, das, weil es sich um vordergründigen »Realismus« nicht schert, zu den tieferen Wahrheiten des Kinos findet. Und das uns – weil das Kino die Zeit überwinden kann – davon träumen läßt, daß die Liebe siegt über den Tod.
Die Faszination, die Begeisterung für sein Medium spürt man Lola rennt in jeder Sekunde an. Virtuos spielt Tom Tykwer mit allen Mitteln, die ihm Film bietet, ohne daß er sich je diese erfrischende Freiheit durch künstlerische Beliebigkeit erkaufen müßte.
Alles steht im Dienst der Handlung, alles dient dem Puls des Films. Der Rhythmus der Bilder, der Rhythmus der Musik: es ist jener atemlose Rhythmus, mit dem Franka Potente als athletischer
Hauptstadt-Pumuckl über die Leinwand fegt. Selbst das Philosophieren über Kino, Bewegung, Zeit und das Leben schlechthin gelingt dem Film sozusagen on the run – ganz straight auf der Ebene des unmittelbar Sichtbaren und ohne jeglichen Tempoverlust.
Was aber Lola rennt – mehr noch als Virtuosität, Orginalität oder Tempo – zum hinreißenden Erlebnis macht (und die vereinzelten Schönheitsfehler völlig unbedeutend erscheinen läßt),
ist seine ansteckende, unbändige Energie. Eine Energie, die von der Liebe und Hingabe aller Beteiligten zeugt. Die den Film im Jetzt, in unserem hier und heute, lebendig macht. Und die ihm das Schwierigste und Wichtigste von allem erlaubt: Pure Freude zu bereiten.
P.S.: Lola rennt ist – fast hätte ich’s vergessen – ein deutscher Film. Und das gibt Hoffnung, daß wir auch in diesem Land bald wieder richtiges Kino haben werden.
Eine junge Frau rennt. Sie rennt durch Berlin. Was sie treibt, ist die Liebe. Und die Angst. Lola rennt, der dritte Film des Berliners Tom Tykwer ist eine Lektion für das Kino. Was es kann, sieht man hier. Und wie es sein sollte, auch.
Die Story könnte simpler nicht sein: Manni (Moritz Bleibtreu) braucht Geld, viel Geld, und seine Freundin Lola (Franka Potente) hat 20 Minuten Zeit, es zu besorgen. Das ist alles. Das ist sehr viel. Denn Tykwer dehnt die 20 Minuten auf über 80 und zeigt sie von mehreren Seiten. Die alte Frage »Was wäre, wenn...?« scheint auf, der Sinn für das Mögliche und die Relativität alles Irdischen wird geweckt – nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Ein tiefer, in manchem geradezu
philosophischer Film, der doch leichter kaum sein könnte. Denn nicht behaupteter Tiefsinn dominiert, sondern der Verzicht auf alles Überflüssige.
Lola rennt entdeckt die Schnelligkeit. Die durchgehende Dynamik, die den Film beherrscht, ist nicht zu verwechseln mit Ratlosigkeit. Immer wieder gibt es augenblicke, der Ruhe und des Innehaltens, erst sie machen das Timing perfekt.
Tykwer schrieb auch das Drehbuch und den hervorragenden Soundtrack. Ein
Autorenfilm und deutscher Trainspotting ist entstanden, der verspielt beweist, daß im Kino vieles möglich und alles erlaubt ist. In perfektem Styling wird hier ganz auf der Höhe der Zeit Wirklichkeit pur eingefangen und dem Schicksal bei der Arbeit zugesehen. Gegen diesen Film sieht alles andere, was in den letzten Jahren produziert wurde, klein aus. Eine neue Generation tritt auf den Plan und
setzt einen Kontrapunkt zu allem, was am deutschen Film des vergangenen Jahrzehnts ärgerte, und zu all den Wortmanns, deren Kino verstaubt, langweilig, altbacken und ideenlos wirkt.
Lola rennt ist ein kleines großes Kinowunder. Vor dieser Leistung staunt man mit Ehrfurcht. Dabei erfüllt sich nicht alles restlos, was Film sein kann. Aber sehr wohl beginnt man zu ahnen, wie das Kino der Zukunft aussehen könnte.
PS:
Manchmal gibt es Filme, die einen einfach nur glücklich machen. Lola rennt ist nach langer, langer, langer Zeit der erste deutsche Film, dem das (bei mir) gelingt.
Insofern geht es mir ähnlich, wie den beiden anderen Rezensenten auf dieser Seite. Schade eigentlich, daß wir uns so verdammt einig sind, und keine Gegenargumente formuliert werden.
Ich bin auch der Ansicht, daß Lola rennt allen Ruhm verdient hat, der zur Zeit auf
den Film einprasselt. Daß er so viele Stärken hat, daß jede Kritik in deren Angesicht zur Krittelei wird.
Lassen wir das also.
Was mich aber -nach dem Film ist vor dem Film- interessieren würde, zumal das hier keiner von uns angesprochen hat, ist, wie die Besucher sich den Film danach deuten (Tom Tykwer will, daß Ihr redet und denkt ! (vgl.Interview)). Antworten willkommen ! Für Interessierte seien hier 3 mögliche Modelle kurz skizziert:
1. Die naheliegende Parallelmontage. Gezeigt werden 3 Varianten einer Geschichte, die gleichrangig nebeneinander stehen.
2. Die Traumdeutung: der erste Teil ist die Realität, Lola träumt im Sterben zwei Rettungsmöglichkeiten. Wer Ambrose Bierce' Story »Die Brücke am Elk Creek« kennt, weiß, wie ich das meine. Darum das Rot, darum der Schrei, darum die fliegende Tasche auch vor dem dritten Teil.
3. Die religiöse Variante: Am Anfang ist das Wort, und das Wort ist bei Gott =
Hans Paetsch. Zwei Modelle des Scheiterns der Liebe werden in den ersten beiden Teilen präsentiert: Jeweils die Person, die zur Waffe greift, wird mit dem Tod des/der Geliebten bestraft. Im dritten Teil (Trinität) greift niemand zur Waffe, Lola betet, heilt madonnengleich einen Todkranken im Notarztwagen, wird von den Engeln des Herrn zur Spielbank gelenkt, vertraut dort auf Gott – und gewinnt in jeder Hinsicht. Die Wette Pascals.
PPS:
Noch eine Frage, ihr klugen Kinogucker: Warum setzt sie auf die 20 ??
Mittags im Park. Eine Weggabelung. Jetzt nach links oder rechts? Im Zweifel immer links! Nach einigen Sekunden laufe ich Lola in die Arme, die ich nie hier vermutet hätte und weiß, daß die Entscheidung an der Gabelung goldrichtig war. Bloß: was wäre passiert, wenn ich den rechten Weg genommen hätte? Drehen wir den Film doch noch einmal ein paar Meter zurück...
Lola rennt und rennt und rennt. Und auch der Film wird sicherlich ein Renner. Und zwar, das sei vorweg genommen, zu recht!
Das Erleben und Empfinden von schnell verstreichender Zeit ist in diesem Film meisterlich in eine interessante Bildersprache umgesetzt worden. Das trifft den Nerv der Zeit, denn es zitiert die Bildästhetik der MTV-Musikvideos. Schnelle Schnitte, sichtbar gemachte Beats. Inzwischen sind alle durch den alltäglichen Umgang mit elektronischen Medien und deren sichtbarer Schnelligkeit daran gewöhnt. Gerade im Fernsehen gilt: alles, was nicht schnell ist, ist alt und schlecht. So gesehen ist Lola rennt neu und gut. Denn hier werden die Zuschauer bereits vom ersten Takt des Vorspanns an in den Bann gezogen. Thomas D. von den Fantastischen Vier hat am Soundtrack maßgeblich mitgewirkt und Franka Potente ist dabei zu hören.
Bereits die ersten Minuten machen deutlich, daß hier nicht einfach nur die Realität abgebildet wird, sondern viel, viel mehr. Einblendungen von Dias, Super 8- Schnipseln, Comics usw. machen das deutlich und bieten uns sekundenschnelle Assoziationen an. Zu Beginn sehen wir eine Bahn von Dominosteinchen, eine nur bedingt originelle, aber dennoch gut gewählte Metapher, denn in Lola rennt geht es um die Chancen, die sich jedem bieten und um die Kettenreaktionen, die jeder unweigerlich auslöst.
Doch hier den Inhalt des Films zu erzählen hieße, dem Sehvergnügen die Spannung zu nehmen. Es geht um zwanzig entscheidende Minuten im Leben von Lola (Franka Potente) und Manni (Moritz Bleibtreu), die glauben, daß ihre Liebe alles bewirken kann. Doch kann sie auch 100000 DM herbei schaffen? Kann sie über den Streß mit den Eltern erhaben machen? Kann sie unbesiegbar machen? Kann sie die Zeit besiegen? Verraten sei an dieser Stelle, daß die beiden im Verlauf des Thrillers eine der intelligentesten Bettszenen dieses Kinosommers liefern. Und daß Joachim Krol, der eine kleinere Rolle bekleidet, seine Idealfrisur gefunden hat. Doch was ist nun mit den 100000 DM? Nach dem ersten Teil des Films scheint das Spiel für unsere Helden verloren zu sein, doch spätestens seit dem Vorspann wissen die Zuschauer, daß ein Spiel 90 Minuten dauert.
Nach Ende des ersten Teils (von dreien) fühlt man sich kurz an Groundhog Day (Und täglich grüßt das Murmeltier) erinnert, denn die Idee der verschobenen Realität hinter diesem Film ist ähnlich wie bei Lola rennt. Doch die filmische Umsetzung dieses Gedankenspiels ist wieder etwas anders, wird jedoch wie gesagt nicht verraten.
Lola rennt verbindet Spannung, Tempo, Witz und Tragik zu einem äußerst gelungenen Film mit neuer Bildästhetik, der durchaus die Klasse und Innovation bietet, um international erfolgreich zu sein! Also: unbedingt den Besuch eines Kinos in ihrer Nähe einplanen!