20.08.1998

Tykwer spricht

Lola und Manni richten Pistolen auf den Betrachter
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Lola liebt Manni, und Manni braucht Geld.
(Foto: Prokino)

Ein Gespräch mit Regisseur Tom Tykwer über Helmut Kohl, den deutschen Film, Fußball und natürlich seinen Film Lola rennt

Tom Tykwer ist der neue Regie-Star des deutschen Films. Nach Die tödliche Maria und Winter­schläfer ist Lola rennt, der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, und überdies beim Film­fes­tival in Venedig für den Wett­be­werb um den Goldenen Löwen nominiert wurde, Tykwers dritter Spielfilm. Außerdem schrieb Tykwer das Drehbuch für Wolfgang Beckers Das Leben ist eine Baustelle, der im Wett­be­werb auf der 97er Berlinale lief, und den Durch­s­chitt anderer deutscher Filme weit überragte. Tykwer ist schließ­lich Mitgründer (mit Wolfgang Becker, Dani Levy, Stefan Arndt) der Berliner Produk­ti­ons­firma X -Film, die auch Lola rennt produ­ziert hat.

Das Interview mit Tom Tykwer führte Rüdiger Suchsland am 6.8.98 in Berlin.

artechock: Im Pres­se­heft heißt es, Lola rennt sei ein „Über­le­bens­film“. Wie ist das gemeint?

Tom Tykwer: Naja, zu der Zeit, als das Projekt bei mir Konturen annahm, hatten wir bei X-Film gerade die Baustelle und Winter­schläfer abgedreht, und hatten beide Filme finan­ziell überzogen. Wir sind erst langsam in die ökono­mi­sche Verant­wor­tung rein­ge­wachsen. Diese Filme haben wirklich viel Geld gekostet. Wir haben alles rein­ge­steckt, und überzogen, und nochmal und nochmal, um den Film so gut wie möglich zu machen. Und zu dem Zeitpunkt war die Frage: gehen wir jetzt schon wieder zur Bank und erhöhen, versuchen noch einen Kredit aufzu­nehmen, oder über­fallen wir die Bank, oder machen wir einen Film.

artechock: Und dann habt ihr einen Film gemacht, bei dem ein Bankü­ber­fall vorkommt?

Tykwer: Naja, indirekt – genau. Die Idee war aber natürlich schon da. Ich hatte große Lust, nach Winter­schläfer einen Film zu machen, der das, was Winter­schläfer die ganze Zeit thema­ti­siert, nämlich Stagna­tion, Phlegma, diesen Still­stand, der da den Stöpsel rauszieht, und das Ganze loslaufen läßt, und der diesen Ener­gie­schub, auf dem man bei Winter­schläfer die ganze Zeit wartet, und der nicht wirklich kommt, beant­wortet. Das fand ich sehr wichtig. Ich hatte einfach das dringende Bedürfnis etwas zu machen, was nach draußen geht, nach vorne geht. Und trotzdem ist ganz realis­tisch, was Winter­schläfer beschreibt, nämlich so eine Art von Isolation und Zurück­ge­zo­gen­heit unserer Gene­ra­tion. Die führt aber natürlich nicht dazu, daß wir alle nur noch vertrocknet in der Ecke sitzen. Wir haben auch eine Sehnsucht nach Ausdruck und Explo­si­vität. Das sollte mein nächster Film formu­lieren – und das war Lola rennt.

artechock: Würdest Du sagen, daß beide Filme auch in ihrer Unter­schied­lich­keit etwas mit Deiner Gene­ra­tion um die 30 zu tun haben?

Tykwer: Mit unserer Gegenwart auf jeden Fall. Wie soll ich sagen: akut poli­ti­sche Filme zu machen ist wirklich nicht leicht zur Zeit. Alles ist so zerfasert, und jedes Thema ist auf bestimmte Weise so zu Tode demo­kra­ti­siert worden, daß man schon das Gefühl hat: Es ist alles in so ‘nem Brei zusam­men­ge­pappt, Probleme werden immer nur ausge­sessen, aber nicht ausdis­ku­tiert, wir haben keine Streit­kultur, überhaupt keine Diskur­s­kultur mehr, nur intel­lek­tu­elle Wüste – das ist ja alles ein Resultat aus der poli­ti­schen Gegenwart, die da seit inzwi­schen bald 20 Jahren vor sich hindüm­pelt.

Und um sich in dieser Realität zu befreien, ist erst mal wichtig, daß man sie wahrnimmt, daß man sie beschreibt, was wir auch mit der Baustelle versucht haben, und auch in Winter­schläfer. Das sind ja beides Filme, die in einem Jahr entstanden sind, die auf unter­schied­liche Weise unter­schied­liche Schichten zeigen, die aber beide sehr reprä­sen­tativ sind speziell für Deutsch­land, und das deutsche Lebens­ge­fühl dieser Zeit. Das gefällt mir auch rück­bli­ckend. Das macht man natürlich nicht bewußt als Konzept, während der Arbeit, sondern das wird dann rück­bli­ckend deutlich.

artechock: Bei der Baustelle war es doch bestimmt bewußt. Oder?

Tykwer: Ja, bei Winter­schläfer auch; aber nicht bewußt war, daß beide Filme sich auch noch so gut ergänzen. Das gefällt mir ganz besonders. Mir ist auch ganz wichtig, daß ich nicht so tue, als würde die Welt nur aus Menschen bestehen, wie sie in Winter­schläfer rumlaufen, sondern es gibt eben auch die anderen.

Es gibt ja eine Melan­cholie und eine Verzweif­lung, die dort drin­steckt, aber die ist eben nicht alles. Darin sehe ich jetzt den poli­ti­schen Gehalt und den Gegen­warts­bezug von Lola rennt: Wir sind wirklich an dem Punkt ange­kommen, wo das verstopfte Loch vor uns, um das wir alle drum­rum­sitzen und drauf­glotzen, daß da mal was passiert, wo mal einer den Stöpsel raus­ziehen muß. Und ich wollte den Stöpsel raus­ziehen. Und da ist Lola rennt raus­ge­kommen.

artechock: Wie gesagt, mir gefällt Lola rennt sehr gut. Man könnte aber dem Film zumindest einen Vorwurf machen: In gewissem Sinn ist das eine Flucht in den Aktio­nismus, genau aus dieser Winter­schläfer-Situation: Es muß irgend­etwas passieren, ganz egal was, Haupt­sache: Tempo, Tempo, Tempo.
Und daß zumindest auf der ober­fläch­li­chen Ebene, von der Story her und von den Dialogen her, eine gesell­schaft­liche Reflexion wie in den anderen Filmen überhaupt nicht statt­findet.

Tykwer: Ich finde den Film mindes­tens genauso komplex, wie die Filme, die ich vorher gemacht habe, ich bin nur besonders glücklich und stolz, daß er das nicht die ganze Zeit behaupten muß, es ständig vor sich herträgt, und dann ab und zu irgendein Schild aufstellt: »Achtung, jetzt echt ne inter­es­sante Idee, oder echt wichtiger Hinweis, oder tolles Symbol«, sondern daß er es einfach ist, daß er einfach komplex ist, und zwar auf die lässigste Weise, die ich mir wünsche.

Ich wünsche mir natürlich Filme, die dem Zuschauer nicht die ganze Zeit einbleuen, daß er jetzt echt mal nach­denken soll, sondern die einfach nach­denk­lich stimmen und trotzdem Riesen­spaß machen, unter­haltsam sind und lustig. Das ist für mich eben kein Wider­spruch, und das was mich zum Kino gebracht hat, waren diese Filme, die man während man sie guckt, spannend und aufregend findet, wo man sich iden­ti­fi­ziert und wo man mitgeht, sei es Truffaut, sei’s Hitchcock, sei’s – egal, da kannst Du ja alle nennen, der Meister war natürlich Hitchcock. Es ist Wahnsinn ! Du guckst Dir die Filme an, und sie sind einfach nur spannend, Du bleibst immer wieder hängen, beim zehnten Mal noch, und denkst: das gibt’s ja gar nicht, Du weißt ja sogar, was passiert, und trotzdem: es ist echt spannend. Hitchcock hat null Halb­werts­zeit bis heute. Das Tolle ist eben, daß diese Filme das auch überhaupt nicht vor sich hertragen, aber wenn man nachher darüber redet, merkt man, was für ein riesiger Kosmos dahin­ter­liegt. Gerade bei Hitchcock ist es wirklich phäno­menal, weil der das auf die Spitze getrieben hat. Es geht nur um reine Unter­hal­tung und es sind doch Psycho­gramme, wie sie abgrün­diger kaum sein könnten, und wofür Bergmann sich wirklich die Finger wund gear­beitet hat, tolle Filme gemacht hat, bei denen man aber auch immer weiß: es geht um ganz schön viel, und kommt jetzt ganz schön dicke.

Der Wunsch, den ich habe, ist eben die Fusion von Beidem. Da ist Lola rennt der Film, der das am Besten bisher hinkriegt. Deswegen zu sagen: das ist purer Aktio­nismus, halte ich für ober­fläch­li­chen Schwach­sinn. Wer den Film so wahrnimmt, der hat überhaupt nicht hinge­guckt, und hat sich auch nicht darauf einge­lassen.
Schicksal und Zufall beschäf­tigt uns alle ständig, und auch dieses Problem: man glaubt, man steckt überall in so ner Kausa­li­täts­kette drin und hat eigent­lich gar keine Chance, es ist sowieso alles schon so... jedes Jahr mindes­tens hat man einmal so einen fata­lis­ti­schen Tag, daß man denkt: Was soll das Ganze denn noch? Was kann ich schon dran ändern?
Da ist der Film natürlich ein ganz klares Plädoyer – das finde ich auch ziemlich eindeutig formu­liert, da muß man nicht viel dechif­frieren- dafür, daß sich doch was bewegen läßt.

Ein stati­sches System braucht einfach einen anar­chi­schen Einfluß, der es ausein­an­der­drückt, oder eine Delle reinhaut, die es nen bißchen aus der Bahn wirft. Unsere Kraft liegt immer in der Leiden­schaft. Ich wünsche mir, daß man den Augen­blick zu schätzen lernt, daß jeder Moment eigent­lich gleich wichtig sein kann, und daß man nicht vorher wissen kann, welcher Moment eigent­lich der Entschei­dende ist, daß man einen größeren Respekt vor der Situation hat.

Ich finde es immer blöd, wenn Menschen auf die Zukunft hin leben, und sich nicht auf das Nächst­lie­gende konzen­trieren. Gerade in der uns vorher­ge­henden Gene­ra­tion, unserer Eltern­ge­nera­tion, waren wir umzingelt von Menschen, die darüber reden, daß es ihre Kinder mal besser haben sollen – wo ich mir immer denke: was für ein perverses Statement. Man hat schon aufge­geben, daß man selber es noch einmal gut haben könnte, was ja absurd ist, denn das sind ja alles Leute, die leben noch, aber leben auf die Rente hin, sagen: Demnächst wird alles anders, demnächst muß ich mal mein Leben ändern. Diese Haltung ist Wahnsinn, die hat etwas Selbst­zer­stö­re­ri­sches, in der liegt nichts Kreatives und nichts Konstruk­tives.

artechock: Meinst Du nicht, daß wir jüngeren West­deut­schen auch sehr saturiert sind, die Erben der Sicher­heit, daß wir natürlich gar nicht das Bestreben hatten, uns um die Zukunft zu kümmern; wir mußten uns nicht sichern?

Tykwer: Ja, materiell ist natürlich der Vorteil da. Aber die Frage wäre, wie inspi­riert unsere Gene­ra­tion wäre, wenn wir inspi­rier­tere Eltern gehabt hätten? Wenn wir viel­leicht materiell nicht so toll daständen, aber dafür eine größere Offenheit gegenüber einem schöp­fe­ri­schen Leben gehabt hätten. Dann hätten wir viel­leicht auch nicht 16 Jahre lang den selben idio­ti­schen Kanzler gewählt, weil wir früher erkannt hätten, daß der ein absoluter Stagna­ti­ons­fe­ti­schist ist, der das fest­halten will, was da ist, und insofern sogar gegen­warts­be­zogen ist – aber das ist nicht meine Vorstel­lung von Gegen­warts­be­zo­gen­heit.

artechock: Aber wir beide haben ihn ja wahr­schein­lich gar nicht gewählt.

Tykwer: Nein, natürlich nicht. Nach wie vor halte ich das für einen perversen Akt, diesen Mann jemals gewählt zu haben. Ich würde mich im nach­hinein noch schämen dafür, wenn das so wäre, wenn ich das getan hätte. Ich kann das einfach nicht nach­voll­ziehen, wie man das jemals... wie das jemals für jemanden eine Option war, der wirklich länger als 5 Minuten darüber nach­ge­dacht hat.

Das ist wirklich ein Akt der kollek­tiven Besin­nungs­lo­sig­keit gewesen, der über Jahre hinweg ange­halten hat, und der natürlich dadurch beflügelt worden ist, daß man eben in so einer Sattheit dage­sessen ist, und daß wir eben so satt und warm, mit dicker Wampe irgendwo sitzen und das Gefühl haben: Naja, wer weiß wie es anders wäre? Wenigs­tens hab ich einen dicken Bauch und ein Dach überm Kopf.

Was ja auch was wert ist, aber der Bauch könnte auch halb so fett sein. Wir sind so fett wie unser Kanzler, der reprä­sen­tiert uns eben auch körper­lich, das finde ich so faszi­nie­rend an dem, der ist ja sehr mit sich im Reinen. Man kann ja sagen: Das was er vertritt, verkör­pert er mit seiner ganzen Erschei­nung, auch die Sprach­lo­sig­keit, die er hat. Es ist faszi­nie­rend, daß die Menschen so sprachlos geworden ist, daß das intel­lek­tu­elle Niveau Deutsch­lands so niedrig ist. Langsam prescht das wieder nach vorne. Wir sind ja nicht wirklich dümmer geworden, sondern nur einfach stumm. Und diese Stummheit, die dieser Mensch ausdrückt: er ist dick und stumm und träge, und hat das wie einen Virus... – ich will das gar nicht ihm allein in die Schuhe schieben, aber er hat so eine Haltung geprägt. Er symbo­li­siert das.

artechock: Was ist denn Lola für eine Heldin?

Tykwer: Qua Leiden­schaft bewegt sie Raum und Zeit ausein­ander. Sie über­windet eine scheinbar völlig aussichts­lose Situation. Demons­trativ wurde ihr mehrfach vorge­führt: Du hast keine Chance. Und am Ende nutzt sie sie trotzdem. Weil sie einfach bestimmte Grenzen über­windet, weil sie nicht akzep­tiert, daß es diese Grenzen gibt. Ich glaube an diesen anti­prag­ma­ti­schen Ansatz, daß man Sätze wie »Die Welt ist wie sie ist« nicht so stehen lassen muß, sondern daß man an einem bestimmten Punkt auch sagen muß: »Ja warum denn eigent­lich, wer sagt das? Wieso können wir das nicht verändern ?« Und das ist immer der Moment gewesen, an dem die Menschen tatsäch­lich etwas über­wunden haben.

Entschei­dend ist daß Lola an einem bestimmten Punkt natürlich nicht weiter weiß, es scheint alles geschei­tert zu sein – aber gerade das ist ihre Chance, im Moment der großen Verzweif­lung kommt die Leiden­schaft. Das anar­chi­sche Element, das Systeme sprengen kann, das Grenzen über­windet, und den Blick wieder neu öffnet für andere Horizonte, die wir immer wieder aus den Augen verlieren in der Norma­lität, auch in der Unüber­wind­bar­keit dieser Norma­lität, dieser elenden Konstanten, die uns ständig umgeben. Die natürlich primär diktiert werden durch die Zeit. Die Zeit ist das andere große Thema des Films.

artechock: Aller Deiner Filme.

Tykwer: Ja eigent­lich schon. Schicksal und Zufall übrigens auch, aber das ist ja schön, dann erkennt man mich wenigs­tens wieder. Die Zeit ist ein Faktor, der mich total faszi­niert, natürlich weil ich Filme mache, weil Film ja diese märchen­hafte Möglich­keit bietet, daß man mit Zeit machen kann, was man will, daß man Zeit dehnen oder strecken oder zusam­men­drü­cken kann, wie es im Leben ja nie geht, und wie wir es uns ganz oft wünschen, wie wir es ande­rer­seits auch oft wahr­nehmen. Zeit ist für mich etwas extrem Subjek­tives, und die Subjek­ti­vität ist für mich das erzäh­le­ri­sche Prinzip aller meiner Filme. Es inter­es­siert mich nie, nach objek­tiven Notwen­dig­keiten zu entscheiden, sondern nach subjek­tiven. Das ist für mich Film. Das struk­tu­riert Filme die mich inter­es­sieren.

Und das ist auch so bei Hitchcock natürlich, oder Scorsese, Fellini oder Lars von Trier. Wo man sich fragt: nanu, warum wird jetzt das so wichtig genommen, und im nach­hinein wird einem klar, daß natürlich nur durch einen Moment, der scheinbar in sich gar nicht drama­tur­gisch oder emotional Notwen­diges trans­por­tiert, eigent­lich die Essenz des Films mitge­prägt wird.

Bei Lola rennt wird besonders stark darauf focus­siert, daß es 1000 Entschei­dungen und Momente gibt, aber ganz selten welche, wo wir sagen würden, daß wir das vorher schon gewußt haben: Das ist es jetzt, das ist der Moment, an dem sich mein Leben anders entwi­ckeln wird. Die großen Augen­blicke, die wir als so pathe­tisch bedeutend empfinden, verblassen nach drei Tagen, und haben eigent­lich gar keine Bedeutung mehr für unser Leben. Sie sind zwar objektiv wichtig gewesen, aber subjektiv haften sie gar nicht lange, während dann irgendein Kaffee­trinken nach 20 Jahren noch ein unheim­lich bedeu­tender Augen­blick ist, und sei es dadurch: Weil Du den Kaffee getrunken hast, hast Du dann den Zug verpaßt, der 2 Stunden später entgleist ist, und Du wärst tot gewesen.

artechock: Wir haben gerade über die Gene­ra­tion gespro­chen, die mit Kohl aufge­wachsen ist, die Kohl-Kinder. Wie siehst Du Dich denn selber ? Du scheinst ja anders zu sein, als viele; man sieht das ja auch an Deinen Filmen, daß Du andere Filme machst, als andere Deiner Gene­ra­tion, des jungen Neuen Deutschen Films. Glaubst Du, daß Du typisch bist für Deine Gene­ra­tion, oder ist das sogar schon ein Schritt weiter?

Tykwer: Ich sehe mich schon als Teil einer ganzen Bewegung, die jetzt viel­leicht weniger darum kämpfen muß, sich aus diesem Phlegma zu befreien, weil es eine generelle Tendenz dazu gibt, daß man keinen Bock mehr hat, besin­nungslos vor sich hinzu­düm­peln. Und das wird jetzt dafür sorgen, daß dieje­nigen, die noch 10 Jahre jünger sind, schneller zu dem Punkt kommen, für den ich viel­leicht ein bißchen länger gebraucht habe.

Ich sehe mich überhaupt nicht als einzelner Vorkämpfer. Wenn man sich das nächste halbe Jahr anguckt, da werden wir überrollt von einer Welle von wirklich guten Filmen: Bin ich schön? von Doris Dörrie ist ein sehr starker Film, der unheim­lich viel riskiert, eine große Leinwand verträgt, ein großes Publikum will, und hoffent­lich bekommen wird. Der ist zerrissen und fordert einen heraus: unheim­lich viele mensch­liche Aufs und Abs und Du gehst raus und mußt drüber reden.

Solche Filme will ich haben: Filme, die Dich erst mal verstri­cken und auch verführen, und die nachher dafür sorgen, daß Du wirklich über den Film reden mußt. Ich hoffe auch, daß Lola rennt so was auslöst, und daß das ein Film ist, der einen stimu­liert, und wach­rüt­telt.
Dann kommt 23 von Hans-Christian Schmid, hast Du den gesehen?

artechock: Ja hab ich, der ist nicht schlecht, aber ich fand ihn auch nicht so gut, aber es ist natürlich auch etwas Neues.

Tykwer: Ja es geht jetzt auch gar nicht darum, wie er uns persön­lich gefällt, sondern das Entschei­dende ist, daß man merkt: da ist ein Entwurf, da ist auf jeden Fall eine Vision. Es ist auch ein kompli­ziertes Thema, wie willst Du da einen sinn­li­chen Film machen?
Es geht ja eh nur darum, das man fragt: was steht uns bevor? Wir sehen jetzt in Locarno und Venedig je drei deutsche Filme im offi­zi­ellen Programm drin. Da ist eine unüber­seh­bare Präsenz da. Das Ausland übersieht’s nicht, also sollten wir das auch nicht übersehen.

artechock: Dein Film ist aus meiner Sicht ja der erste seit Jahren, von dem vorstellbar ist, daß er auch eine Chance in Paris, London, New York bekommt, und dort sein Publikum findet.

Tykwer: Es geht schon los, wir haben den Film schon nach Italien verkauft, was wir noch nie hatten. Super­schweres Land für deutsche Filme. Weißt Du deutsche Filme – uäääh! Deutsche Filme sind im Ausland immer noch tierisch out. Das was wir jetzt so langsam erreicht haben, dank auch vieler Komödien und der Filme die eben da waren, daß da überhaupt wieder eine Akzeptanz gegenüber deutschen Schau­plätzen da ist, daß wir einfach wieder eine kleine Auswahl von Stars haben.
Jetzt brauchst Du univer­sel­lere Stoffe, natürlich, aber alle Länder haben ein sehr klares lokales Standbein.

Bei den Italie­nern siehst Du unter den Top-ten immer Titel, die kommen überhaupt nicht nach Deutsch­land, das sind italie­ni­sche Komiker, die da unheim­liche Erfolgs­komö­dien machen; Frank­reich: Les visiteurs, 13 Millionen Zuschauer hat der gehabt, das kommt bei uns jetzt unter ferner liefen raus. Aber das ist ein ganz normaler Prozeß. Der sorgt dafür, daß in so einem Land wie Frank­reich die Industrie dann noch eine Kraft und Potenz hat, und die brauchen wir halt genau so. Es geht nicht, daß alle nur noch so Filme machen wie Bin ich schön? und Lola rennt und Zugvögel ... einmal nach Inari. Wir brauchen auch Baller­mann 6.

artechock: Wofür brauchen wir Baller­mann 6???

Tykwer: Das Spektrum ist wichtig. Der Film ist blöde, aber die Leute lachen sich einfach schlapp, das mußt Du akzep­tieren.

artechock: Meinst Du, daß Leuten, die in Bin ich schön? oder Lola rennt gehen, das wirklich gut gefällt?

Tykwer: Natürlich nicht. Aber das ist ja normal. Es gibt halt für jeden Film ein unter­schied­li­ches Publikum. Aber das ist ja das Entschei­dende: Das wir dieje­nigen Leute wieder ins Kino zurück­holen, die dem deutschen Film verloren gegangen sind. Darum funk­tio­nieren die Amis, weil sie diesen indus­tri­ellen Komplex haben, in dem Filme wie Baller­mann 6 ihren Platz bekommen. Das Spektrum geht von da bis da. Bei Baller­mann 6, das ist für mich ein echter Punkt: Das ist kein zynischer Film. Sondern es ist ein Jim Carrey-Film, und Jim Carrey-Filme find ich auch grau­en­haft, ich guck mir das auch nicht an, weil ich’s nicht ertrage. Aber er selber steht zu dem, was er macht, und er ist sehr gut darin: Tom Gerhard ist unser Jim Carrey, der findet das auch selber wirklich lustig. Das macht den Film nicht-zynisch.

Es gibt Filme, die sind wirklich zynisch. Weil Du merkst: Jeder findet das eigent­lich Scheiße, was er hier macht, und glaubt da nicht dran: Die Frau Rettich zum Beispiel. Dem siehst Du an: Niemand hat daran geglaubt von den Leuten, die ihn gemacht haben, alle fanden eigent­lich blöd, was sie da machen, aber alle haben ordent­lich Geld verdient, und haben gedacht: Naja, iss ja 'ne Komödie, wird schon gehen. Das ist verlogen. Da stehe ich dann auch auf der anderen Seite und sage: Euch brauchen wir nicht. Aber die Filme, die ein Genre aus einer bestimmten Über­zeu­gung heraus bedienen, die sollen auch da bleiben.

artechock: Also Authen­ti­zität und Leiden­schaft sind sie Kriterien?

Tykwer: Genau. Und das gilt auch für Hollywood. Deswegen nervt Lost World oder es nervt Godzilla, weil es pures Konzept und Rezept-geschissen ist. Aber ich bin völlig einver­standen mit Indiana Jones. Verstehst Du, der Spielberg findet das selber Super, diese Energie steckt dann auch in dem Film drin, das inspi­riert dann auch obwohl es nur Achter­bahn­fahren ist. Ich gehe genauso gerne auf die Kirmes. Wir gehen halt gerne auf die Kirmes, aber doch nicht jeden Tag. Und wir müssen jetzt gucken, das wir Platz auch für andere Filme schaffen.

artechock: Abgesehen davon, daß man viel­leicht Amerika und Europa nicht so gut verglei­chen kann, habe ich den Eindruck, daß beispiels­weise in Frank­reich und in England es gelingt, das Publikum ein bißchen zu erziehen, auf ein etwas höheres Niveau, als in Deutsch­land.

Tykwer: Das ist ja der Ansatz. Ich will ja nicht sowas wie Baller­mann machen. Ich meine nur, wenn man zumindest in kleinem Rahmen wieder diesen indus­tri­ellen Anspruch hat, ist es einfach dämlich, zu sagen: Sowas ist tabu.
Inte­grität voraus­ge­setzt, ist erstmal alles erlaubt. Das gilt so für mich. Natürlich ist das nichts, was mich inter­es­siert. Aber in Blick auf das, was wir innerhalb unserer Kino­land­schaft erreichen wollen, müssen wir aufhören, Graben­kriege zu führen. Wir müssen uns konstruktiv mitein­ander ausein­an­der­setzen, und auch streiten. Für den Diskurs bin ich total, und ich würde Tom Gerhard sagen, was ich denke, was er viel­leicht noch besser machen kann, weil ich finde: man kann solche Filme auch noch ein bißchen besser machen. Ich find ihn dann an manchen Stellen doch ein bißchen zu dämlich. Es ist schon ein bißchen schwierig, Baller­mann irgendwas abzu­ge­winnen.

Es geht ums Prinzip. Es geht um die Haltung. Ich werde auch dauernd gefragt: Was halten Sie von Sönke Wortmann? Ich finde Sönke Wortmann einen extrem talen­tierten Filme­ma­cher, der mal einen guten und mal einen schlechen Film macht. So ist es nun mal. Ich habe bisher Glück. Aber mir wird auch einer unter­kommen, der einfach voll dane­ben­geht. Und dann erwarte ich auch nicht, daß man dann sofort sagt: siehste, ham wir doch immer gewußt, daß er eigent­lich Scheiße ist. Das nervt mich total.

Abgesehen davon, daß ichs wichtig finde, daß man ihm seine Filme um die Ohren haut, die Scheiße sind, und das erwarte ich auch umgekehrt, daß man das bei mir macht, ich will, daß man gnadenlos ist, aber im konstruk­tiven Sinne gnadenlos, das ist wichtig. Deswegen kann ich diese ganzen Grabes­ge­sänge auf den deutschen Film nicht ertragen. Das Kücken hat gerade mal raus­ge­guckt. Das dauert, das dauert noch zwei, drei Jahre bis wir dieses neue Level wirklich etabliert haben, und auch in den Köpfen drin haben.

Man darf auch nicht verzwei­felt sein, wenn jetzt so ein Film wie Lola rennt noch immer nicht die tieri­schen Zahlen macht. Wenn das Wetter 40 Grad im Schatten ist, dann kannst Du nichts machen, dann ist drei Wochen später Godzilla da, und dann ist Lola platt­ge­stampft. Natürlich sehe ich, daß der Film die Chance hat, und ich glaube auch, daß er sie nutzen wird. Alle Vorfüh­rungen, die wir hatten, sind toll gelaufen. Wir hatten Szenen­ap­plaus und so etwas. So was hab ich nie gehabt, ich bin da auch unver­wöhnt. Bei Winter­schläfer, da sitzen die Leute stumm da, und Du hoffst dann, daß die konzen­triert sind, und nicht einge­ratzt.

artechock: Hast Du denn Angst vor dem Hype, der jetzt kommt, davor, daß die Erwar­tungs­hal­tung bei dem nächsten Projekt, das Du machst, zu hoch ist? Macht Dir die Einladung zum Festival nach Venedig Angst, oder bist Du gottfroh?

Tykwer: Nein, da wollte ich doch hin. Ich wäre ja blöd. Also Angst, nein, überhaupt nicht. Wenn ich jetzt denken würde: Das ist alles voll­kommen unan­ge­messen, denn der Film ist doch gar nicht so gut, der wird jetzt irgendwie künstlich gepushed, das wäre was anderes. Aber das ist nicht künstlich, er kommt gut an, und dadurch entwi­ckelt er sich so, wie er sich entwi­ckelt. Das hat nur mit seiner Qualität zu tun, und das macht mich natürlich erstmal stark.

Den Druck...?! Also ich seh den Druck schon. Was mir nicht gefällt, ist, wenn man den Tag vor dem Abend lobt. Er wird schon so gehandelt, als wärs ein Hit, dabei ist es noch keiner. Er muß sich jetzt erstmal im Kino durch­setzen. Wir werden schon irgendwie mehr Zuschauer machen, als mit Winter­schläfer. Aber wenn Du über die Dörfer fährst, und in die Buden rein­guckst, dann willst Du, daß auch die jetzt den Film angucken. Das ist ja das Verrückte: Du weißt, die hätten Spaß dabei. Sie müssen irgendwie den Weg finden, und einmal nicht Arma­geddon gucken, für den sie 27.000mal mehr Werbung gesehen haben, wo sie einfach so zuge­bal­lert wurden, daß das der einzige Film ist, der denen jetzt einfällt.
Aber was soll man machen, man kann halt nur hoffen.

Und man kann alles dafür tun. Ich hab viel dafür getan, viel am Sound­track gebastelt, der eine ganz eigen­s­tän­dige Pop-Platte geworden ist, die richtig gut ist, und nicht so ein Merchan­di­sing-Ding. Das ist ja eigent­lich das wahre Merchan­di­sing, wenn Du was hast, was wirklich Klasse ist, eigen­s­tändig, und nicht so ein Appendix.

Das Buch ist auch kein „Buch zum Film“, irgend so ein beknackter Roman, den man aus dem Film raus­de­stil­liert hat, was ich auch hasse, das Du nie liest, und Dir nur hinstellst, weil Du halt den Film gut fandest. Was völlig blöd ist. Es ist viel schöner, wenn es ne eigene Qualität hat.

artechock: Wie hast Du die Musik gemacht?

Tykwer: Beim Film hatte ich bestimmte Sachen vor Augen. Und dann während des Schnitts sind wir mit dem Rohschnitt ins Studio gegangen, haben da eine erste Musik-Version gemacht, und dann mehrmals hin und her. Weil ich wirklich eine absolute Symbiose wollte von Film und Musik und Ton; ich will das man sich überhaupt nicht mehr vorstellen kann, wie das eine ohne das andere wäre.

Ich liebe diese Kombi­na­tion von verschie­denen Elementen, das Du alles machst. Ich bin kein Regisseur im tradi­tio­nellen Sinn. Ich bin Filme­ma­cher. Weil ich von der ersten Idee bis zur letzten Seri­en­kopie alles persön­lich überwache. Weil ich jeden Bereich unheim­lich mag. Ich mag auch die Post-Produk­tion. Wenn das Material gut ist, ist das toll, das wächst dann zusammen, 1000 einzelne Fragmente rücken immer mehr an das heran, was Du Dir gewünscht und erträumt hast. Und Du erlebst natürlich auch immer wieder Über­ra­schungen, weil die Sachen dann anders werden.

artechock: Kannst Du noch einmal beschreiben, was Lola für eine Figur ist? Ist das überhaupt eine Heldin?

Tykwer: Eine Heldin des Alltags. Trotz aller Stili­sie­rung, die der Film auch wagt, war wichtig, daß das eine ist, die trotz aller Poten­tiale über sich hinaus­zu­wachsen, ganz dies­seitig bleibt, die man versteht, und wo man sich vorstellen kann: ich würde genau dasselbe machen, wenn ich in der Situation wäre. Die nie etwas macht, was obercool, posig ist, nur weil der Film ein lässiges Statement abgeben will, sondern aus einer Verzweif­lung und aus dieser Leiden­schaft heraus, mit der wir uns, glaube ich, alle iden­ti­fi­zieren können, schier Unglaub­li­ches tut, aber immer im Rahmen dessen, was man denken kann.

Diese Power kennt man: das ist die Energie, die aus der Verliebt­heit kommt, und die eine ziemlich anar­chi­sche Potenz hat. Und die Potente hat halt diese Potenz, das utopische Prinzip: ich kann die Welt aus den Angeln heben. Sie hat diese Energie, ohne Tank Girl oder eine Comic-Figur zu werden, da hatte ich nie Bock drauf. Dann ist es zu abstrakt und unin­ter­es­sant, weil es unrea­lis­tisch ist. Ich wollte immer einen Film der sich ganz konkret zur Realität bekennt.

artechock: Hast Du eigent­lich einen philo­so­phi­schen Back­ground?

Tykwer: Ich habe Philo­so­phie studiert, aber nur kurz, 3 Semester. Aber ich habe dadurch einen philo­so­phi­schen Back­ground, daß ich 11 Jahre mit einer Philo­so­phin zusammen war. Das hat mich extrem geprägt. Philo­so­phie ist etwas, für das ich immer offen war, was mich inter­es­siert hat. Ich finde es schön, wenn Filme philo­so­phi­sche Thema­tiken entwi­ckeln und entfalten können, ohne natürlich zu akade­misch zu werden. Ich inter­es­siere mich überhaupt nicht für akade­mi­sches Kino, sondern für Filme, die auf andere Art eine Philo­so­phie vermit­teln, ohne das es irgendwie vorder­gründig wäre.

artechock: Hast Du an irgend­etwas bestimmtes gedacht? Die tria­di­sche Struktur hat ja Ähnlich­keiten zu Hegel: These-Antithese-Sythese – ist so etwas gemeint?

Tykwer: Das ist natürlich in dieser Drei­ak­tig­keit mit drin. Aber es gibt ja keine richtige Antithese oder Synthese. Es gibt drei Akte. Das ist ein drama­tur­gi­sches Konzept: Eine Reise mit vielen Wider­s­tänden, am Ende gibt es eine Erlösung. Es ist nicht nur ein Expe­ri­men­tal­film, der immer wieder zurück­springt. Ganz wichtig war mir, daß man ihn als eine durch­ge­hende Reise wahrnimmt, daß man am Ende das alles durch­ge­macht hat, das Lola –und Franka spielt das ja auch so- erst selbst gestorben ist, dann ist er gestorben; sie hat alles durch­ge­macht, was man sich vorstellen kann, und endlich, endlich hat sie es geschafft. Nicht, daß sie erst seit 20 Minuten wieder rennt, sondern sie rennt eigent­lich seit Ewig­keiten durch Raum und Zeit.

Ich habe mich auch mit Kausa­li­täts­theo­re­ti­kern beschäf­tigt. Ich habe einen relativ unver­krampften Umgang mit Philo­so­phie, dadurch, daß das für mich auch Alltag war. Am Anfang liest Du ein Zitat von T.S.Eliot und dann von Sepp Herberger. Beides ist wichtig. Herberger ist der Philosoph des Alltags.
Das heißt: Ich gucke eben genauso gern einen Film von Rivette wie von Spielberg. Damit meine ich: beides bringt uns weiter. Ich will Filme, die beides schaffen.

Es gibt eine Menge an Philo­so­phen, die ich bewundere. Meine Ex-Freundin war Ernst Tugendhat-Schülerin. Der ist ein gutes Beispiel: Man kann die komple­xesten ethischen Fragen behandeln, und schreibt ein Buch, das liest Du runter. Der fragt ganz einfach, und versucht dann nach­voll­zieh­bare Antworten zu geben. Und man wird dann in eine Kette von Fragen verstrickt, und merkt erst gar nicht: Das ist wahn­sinnig komplex.

Nicht wie Hegel und Heidegger, wo es gleich zur Sache geht. Aber auch das ist inter­es­sant. Heidegger hat diesen Strudel, dieses Manische, dieses Wahn­sin­nige, dieses Besessene, dieses Teuf­li­sche – wo man das Gefühl hat, Du bist Satan auf der Spur. Seine Texte sind wie Beschwörungs­for­meln. Das beein­druckt einen natürlich. Da wird dann in mir wahr­schein­lich der Katholik wach, der ich auch bin. Und der gern auch mit dem Diffusen hantiert, was ja Heid­eg­gers Sache war. Solche Meta­phy­siker sind mir nicht völlig fremd. Ich halte zwar ein Plädoyer für die Aufklärer, aber bin auch Meta­phy­siker – ich will beides. Gleich­zeitig. Und wenn das ein Wider­spruch ist, ist mir das eigent­lich egal. Es gibt ja Autoren, die beides tun. Natürlich hat der analy­ti­sche, rationale Philosoph das letzte Wort.

artechock: Du hast Herberger genannt, der eine Bedeutung für Deinen Film hat. Wie ist Dein Verhältnis zum Fußball?

Tykwer: Fußball inter­es­siert mich sehr. Ich bin Dortmund-Fan, etwas unglück­lich zur Zeit, und auch der WSV, Wupper­taler SV, weil ich aus Wuppertal komme, die sind in der Regio­nal­liga und arbeiten dran, haben eine Chance. Aber der BVB ist eine sehr wichtige Mann­schaft für mich, wobei ich über den augen­blick­li­chen Stand sehr unglück­lich bin, da muß man sehen, was daraus wird.

artechock: Welchen Trainer hättest Du Dir gewünscht?

Tykwer: Naja, ich finde das ganz gut mit dem jungen Skibbe. Ich bin sehr neugierig, und halte das für richtig, jetzt nicht wieder einen blöden Bonzen einzu­kaufen, der mit seinen Super­stars ein bißchen Ballett fabri­ziert, nichts Neues formt. Ich bin so abgetörnt von Möller, aber er ist in Dortmund immer viel besser gewesen, als in der Natio­nal­mann­schaft. Ich gehe viel mit Joachim Krol ins Stadion, Dortmund ist sein Gott, das ist wirklich anstren­gend, wenn Dortmund verliert, ist echt der Tag gelaufen, Du gehst natürlich Bier trinken, aber er hat wirklich schlechte Laune, ganz im Ernst. Aber das West­fa­len­sta­dion ist das beste. Ich hab viel mit Fußball zu tun, ich hab schon unver­gess­liche Abende im Stadion verbracht. Als Kind war der WSV sehr wichtig, die waren ja mal zweiter der Bundes­liga, und wären fast Vize­meister geworden.

artechock: Was macht einen guten Regisseur aus? Was ist die Qualität eines Film­re­gis­seurs?

Tykwer: Sich von seinen Vorbil­dern abzu­na­beln. Daß man aufhört, Remakes zu drehen, was die meisten ihr Leben lang tun, und sich auf die Suche macht zu dem, was man wirklich selber zu sagen hat. Denn das ist immer das Aufre­gendste: Wenn ein Film eine wirkliche Persön­lich­keit offenbart. Und der zweite Punkt ist, daß man die Gabe hat, die richtigen Leute für den richtigen Stoff zusam­men­zu­bringen, und sie auch zu halten.

Aber der erste Schritt ist der inhalt­liche. Daß man diesen Quan­ten­sprung macht, und selber denkt. Das ist wie der Moment, wo man als Philosoph zum ersten Mal einen dialek­ti­schen Gedanken kapiert hat, wo dieser riesige Groschen kracht. Das ging mir so, als ich mit 17 Marx und später dann Hegels „Phäno­me­no­logie des Geistes“ gelesen habe. Dieser Moment, wo sich der Horizont öffnet. Und so will ich –und kann es auch- als Filme­ma­cher eine Kommu­ni­ka­tion, einen Diskurs mit dem Publikum herstellen. Damit da etwas Sinn­volles rauskommt. Das muß das Ziel sein, um als Filme­ma­cher eine Legi­ti­ma­tion zu haben.