Australien 2002 · 94 min. · FSK: ab 6 Regie: Phillip Noyce Drehbuch: Christine Olsen Kamera: Christopher Doyle Darsteller: Everlyn Sampi, Tianna Sansbury, Laura Monaghan, David Gulpilil u.a. |
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Ein Zaun als Hoffnung |
In der aktuellen Graham Greene Verfilmung Der stille Amerikaner teilt man schnell den Verdacht von Michael Caine als englischem Reporter, bezüglich des von Brendan Fraser gespielten Amerikaners Pyle. Eine stiller bzw. ruhiger Amerikaner war und ist ein offensichtliches Oxymoron, das einen zwangsläufig misstrauisch machen muss. Regie führte bei diesem Film Phillip Noyce, ein »quiet Australian«, der mit der gleichen Unauffälligkeit wie viele seiner Landsleute (etwa Nicole Kidman, Mel Gibson, Sam Neill, Guy Pearce, Cate Blanchett, Russell Crowe, Peter Weir usw.), eine wichtige Stütze des amerikanischen und internationalen Kinos darstellt. An dieser (allen Klischees zum Trotz) zurückhaltenden Art der Australier liegt es wohl auch, dass wir im Grunde sehr wenig über das Land down under und seine Bewohner wissen.
Mit seinem Film Long Walk Home kehrt Phillip Noyce nun in seine Heimat zurück und bringt uns dieses Terra incognita in vielerlei Hinsicht ein gutes Stück näher.
Es ist ein düsteres Kapitel der australischen Geschichte, dessen sich Noyce in Long Walk Home annimmt. Beruhend auf einem in Australien sehr bekannten und viel diskutierten Tatsachenroman, schildert der Film die unglaubliche Flucht dreier Aboriginekinder im Jahre 1931 und die gesellschaftlichen Umstände, die zu ihrer Odyssee führten. In dieser Zeit (und noch bis in die 1970er Jahre hinein) standen die Ureinwohner Australiens unter der Vormundschaft von weißen Bürokraten, die die Aborigines wie eine Sozialhilfebehörde mit dem Lebensnotwendigsten versorgten, zugleich aber auch ganz massiv in deren Familienleben eingriffen. Zu den grausamsten Maßnahmen gehörte es dabei, Mischlingskinder von ihren Eltern zu trennen, um ihnen in speziellen Schulen bzw. Lagern alles »wilde« auszutreiben, um sie der weißen Gesellschaft anzugleichen und ihre Eingliederung, die in einer Assimilation enden sollte, zu erreichen.
Dieses Schicksal erfährt auch die 14jährige Molly, die zusammen mit ihrer kleinen Schwester und ihrer Cousine regelrecht aus den Armen ihrer Mutter, Tante und Großmutter gerissen wird, um in ein solches Umerziehungslager gebracht zu werden. Nicht lange halten es die drei an diesem unfreundlichen Ort aus, weshalb sie flüchten und sich zu Fuß auf den über 1.500 Meilen weiten Heimweg machen. Zum Symbol der Hoffnung wird dabei ausgerechnet (und wohl erstmalig in der Filmgeschichte) ein Zaun. Es ist der längste Zaun der Welt, der ganz Australien durchzieht, um die Landwirtschaft vor der herrschenden Kaninchenplage zu schützen (daher der Originaltitel des Films). Die Mädchen müssen »nur« diesem Zaun, den sie auch aus ihrer Heimat kennen, folgen, um wieder nach Hause zu finden, doch der Weg ist weit, das Land oft lebensfeindlich und die Behörden versuchen alles, um sie wieder einzufangen. Die Mädchen, vor allem Molly, haben dem nur ihre grenzenlose Sehnsucht entgegenzusetzen. Ob das ausreicht, ist die bis zum Schluß spannende Frage des Films.
Auf den ersten Blick meint man es hier mit einem sehr politischen und gesellschaftskritischen Film zu tun zu haben. Doch die Kritik an vergangenen oder noch aktuellen Missständen bleibt meist unentschlossen und zahnlos.
Sicher ist der Film als bittere Anklage gegen die unmenschlichen Praktiken der damaligen Zeit zu verstehen, doch knickt dieser Vorwurf wieder ein, wenn die Verantwortung dafür weitgehend nur einzelnen Menschen oder gar einer einzigen Person, nämlich dem »Chief Protector« der Aborigines, A.O. Neville (mit teuflischer Korrektheit von Kenneth Branagh gespielten), zugeschoben wird.
Während Neville und einige wenige willfährige Helfer ihre verrückten Ideale verfolgen, zeigt Noyce
den Rest der Australier, die »einfachen Leute«, als äußerst sympathische Menschen ohne Ressentiments, die den Mädchen auf ihrer Flucht immer wieder freundlich weiterhelfen.
Möglich, dass sich der Regisseur hier einer historischen Genauigkeit verpflichtet fühlt, doch dem Versuch, eine ernste Diskussion über das unrühmliche Verhalten gegenüber den australischen Ureinwohner anzustoßen, leistet er damit einen Bärendienst.
Bemerkenswert ist immerhin die Darstellung einer sehr untypischen, deswegen aber nicht weniger abstoßenden Form des Rassismus. Während etwa in amerikanischen Filmen die Wurzel des Rassismus in blankem, dumpfen Hass geortet wird, ist es in Long Walk Home eine fehlgeleitet und widersinnige »Nächstenliebe«, die Leute wie Neville im guten Glauben dazu treibt, die Aborigines »vor sich selbst retten« zu wollen. Bedauerlich aber, dass Noyce auch hier manch kritische Note verschenkt, indem er Neville oft am Rand einer Karikatur darstellt und ihn so zur Witzfigur macht.
Das politische Kino war eben noch nie eine Stärke von Phillip Noyce und wenn es einmal Eingang in seine Filme fand, dann meist nur als einfacher Hintergrund für seine eigentliche Domäne, den spannungsgeladenen Thriller (etwa in Das Kartell, Die Stunde der Patrioten, Der stille Amerikaner). Doch sein unbestrittenes Talent für Suspense und Thrill scheint sich Noyce angesichts des sensiblen Themas bei Long Walk Home nicht voll auszuspielen zu trauen, weshalb die grundsätzliche Spannung, die in der dramatischen Flucht der Mädchen steckt, im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleibt.
Wirklich beeindruckend ist Long Walk Home allerdings in der Darstellung einer langen, filmischen Wanderung (weshalb der Verleihtitel für Deutschland ausnahmsweise gar nicht so unpassend ist) durch ein faszinierendes Australien. Immer neue, immer andere, immer pittoreskere Wolkenformationen, Landschaftsformen, Vegetationen und Bodenmuster (die oft wie bizarre Zellstrukturen durch ein Mikroskop wirken) setzt Phillip Noyce und sein großartiger
Kameramann Christopher Doyle, der vor allem im asiatischen Kino schon so manchen Bilderrausch entfacht hat, ins Bild. Die Menschen und ihr Schicksal wirkten darin oft winzig, verloren, nebensächlich.
Zusammen mit Peter Gabriels eindringlicher Musik erreicht der Film in manchen Szene die fast meditative Qualität von Werken wie Koyaanisqatsi.
Long Walk Home ist somit ein (wortwörtlich) sehenswerter Film mit einer packenden und auch nachdenklich stimmenden Geschichte, mit sehr guten Darstellern und einer soliden Inszenierung. Dem (Film)Land Australien, jenseits von Crocodile Dundee und Kangaroo Jack, kann man dadurch wieder ein kleines Stück näher kommen.