Deutschland/F 2008 · 94 min. Regie: Oskar Roehler Drehbuch: Oskar Roehler Kamera: Wedigo von Schultzendorff Darsteller: Jennifer Decker, Ray Fearon, Katrin Saß, Rolf Zacher u.a. |
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Genial entlarvender 50er-Jahre-Mief |
»Ich war Bomberpilot, was soll ich denn machen?« Das ist so einer jener Sätze, für die man Oskar Roehler liebt. Kleine kurze böse Witze dieser Art finden sich zuhauf in Lulu & Jimi.
Eigentlich ist alles ganz einfach: Boy meets Girl, Junge trifft Mädchen. Beide verlieben sich, und wollen glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage. Es sind die 50er-Jahre, in der westdeutschen Bundesrepublik wird der Wohlstand mehrheitsfähig, der Muff der kurzen tausend Jahre und der langen Restauration danach bröckelt allmählich, und die Luft ist durchzogen von Freiheit, Aufbruch und Abenteuer.
Aber es ist dann doch alles andere als einfach, die Epoche ist in vielem noch
unfrei, vor allem die Familien sind repressiv, und da das Mädchen eine obsessiv behütete Bürgerstochter ist und der Junge ein Neger, wie man damals sagte, besteht keine Chance für das Liebesglück. Oder doch?
Oskar Roehler erzählt diese Romeo-und-Julia-Geschichte aus der frühen Bundesrepublik als Märchen für Erwachsene: Unrettbar romantisch und im besten Sinne naiv, dabei kristallklar in der visuellen Analyse und Durchdringung der Verhältnisse.
Ästhetisch ist Lulu & Jimi ein Pastiche, die Übermalung einer Vorlage, durch die jene noch hindurch schimmert. Diese Vorlage heißt David Lynch, genauer, dessen Film Wild at Heart von 1991. Schon im Vorspann macht Roehler daraus kein Hehl, bekennt vielmehr seine Bewunderung für den Kollegen offen, in dem er seinem Film ein »gewidmet David L.« voranstellt. Zitiert wird
hier auch aus Mulholland Drive, aus Lost Highway, aus Twin Peaks. Was bedeutete es, im Kino solche Filme auf die bundesrepublikanische Verhältnisse herunterzubuchstabieren. Das Beziehungsgeflecht ist in diesem
Fall aber noch um einiges komplizierter. Denn schon Wild at Heart war ein Spiel mit ganz bestimmten Referenzen und Zitaten der Filmgeschichte: Mit dem halbstarken Rebellen-Kino der Rock'n'Roll-Ära, mit Marlon Brandos Rolle als »Mann mit der Schlangenlederjacke«, mit Cinderella-Märchen, Minellis Musical The
Wizard of Oz, mit Roadmovies und Orson Welles' Touch of Evil. Auch wenn man das alles nicht vorher weiß, wird es einem auffallen, immer wieder ahnt, spürt oder erkennt man, dass einem hier irgendetwas von irgendwoher bekannt vorkommt.
Aus zweiter Hand ist Lulu & Jimi damit keineswegs, vielmehr ist der Film von einer geradezu altmodischen Bewunderung für die
Klassiker und alten Meister des eigenen Mediums durchzogen, durch Achtung und viel Traditionsbewußtsein, freilich auch durch das souveräne Spiel mit Verweisen, die zusammen erst die Voraussetzung eigener künstlerischer Größe bilden.
Und groß ist Roehler – auf alle Fälle in diesem Film: Seit Fassbinder niemand mehr derart präzis die Abgründigkeit des Bürgertums auf die deutsche Leinwand gebracht. Es ist eine massive, bösartig sarkastische und erschreckend treffende
Kritik an den Mythen der deutschen Bürgerlichkeit. Hier ist die Familie wieder ganz ursprünglich blossgelegt als der Terrorzusammenhang, der sie immer war. Und der wahnsinnige Professor Mabuse sitzt im Wohnzimmer. Oder am Schminkspiegel. Oder in der Arztpraxis.
Der die Mad Scientists der Filmgeschichte gab es wirklich in Deutschland. Mabuse hat seine Nachfolger in den Nazi-KZ-Ärzten mit ihren perversen Experimenten am lebenden Objekt. Und auch die deutsche Gesellschaft
ist bei Roehler ein solcher Terrorzusammenhang aus Stalingradkämpfern und Bomberpiloten, Mördern und Vergewaltigern, Kannibalen und Perverslingen. Lulu und Jimi sind demgegenüber wie Hänsel und Gretel: Unschuldig gehen sie Hand in Hand durch den dunklen deutschen bitterkalten Wald. »Dreamin' Searchin'« klingt ein Evergreen, »Stand by me« ein anderer. Sie stehen zueinander, durch alles hindurch.
Die Stimme der Freiheit erklingt in diesem Fall, zu dieser Zeit wie die Stimme
Amerikas. Und darum ist die Geschichte des wilden leidenschaftlichen Negers Jimi, der an kleine oberfränkische Nazis Kaugummi verteilt, und ein bisschen Lässigkeit in der starren grauen nivellierten Mittelstandsgesellschaft verbreitet natürlich auch eine Geschichte der Amerikanisierung in Westdeutschland.
Zugleich ist das hochgradig unterhaltsam. Dazu tragen wunderbare Darstellerauftritte vieles bei: Newcomerin Jennifer Decker als Lulu ist ein großartiges, intensives Zentrum des Films, und sieht nebenbei aus, wie Roehlers Antwort auf Penelope Cruz. Flankiert wird sie von einer ungemein beeindruckenden Kathrin Saß als saufender hexenhafter Übermutter mit böser Reibeisentimme, Roten Krallen, Lana-Turner Frisur – eine denkbar abgefuckte Existenz. Kaum schlechter, aber ergreifender dann Rolf Zacher als traurig-liebevollem Untervater und in Nebenrollen von Udo Kier, Hans-Michael Rehberg, Bastian Pastewka und ein wahnsinnig guter Böser Ulrich Thomsen, der im Film Harry Hass heißt, und zeigt, dass die Nazis Monster waren, keine Menschen. Einzige Schwachstelle: Ray Fearon als Jimo bleibt blaß, verstärkt darin aber immerhin noch die Wirkung von Lulu. Der Film ist elegant choreographiert, mit viel Sinn für Rhythmus und Musik – Kino das von der ersten Minute an Spaß macht!
Roehler beweist hier auch, dass man auch in Deutschland Filme machen kann, die sich in ihrem Aussehen, in Professionalität und Machart hinter Hollywood nicht verstecken müssen – ohne dass sie ihm deshalb nachlaufen. Der Film ist ein Teil, von dem was er erzählt, er sieht amerikanisch aus, und beweist damit, dass es nicht um Geld geht, sondern um Geist, wenn solche Filme bei uns sonst nicht gemacht werden. Die Einstellung ist die Einstellung!
Lulu &
Jimi beweist nach der herzlosen Auftragsarbeit Elementarteilchen, wieviele Stärken Roehler vereint. In dieser Woche wird er 50 Jahre alt, und man kann sicher sein: Er ist einer der allerbesten lebenden Regisseure unseres Landes.