Majestät brauchen Sonne

D/NL 2000 · 105 min. · FSK: ab 0
Regie: Peter Schamoni
Drehbuch:
Kamera: Mike Bartlett
Stimme: Mario Adorf, Donald Arthur, Arthur Brauss, Otto Sander

Wilhelm Zwo – eine Medi­en­kar­riere

...immer wieder Märsche: Peter Schamoni portrai­tiert den letzten deutschen Kaiser

In der Frühzeit der Cine­ma­to­gra­phie war helles Tages­licht unent­behr­lich. Schon ein paar Wolken am Himmel ließen die Außen­auf­nahmen konturlos und verwa­schen erscheinen, die Pioniere des frühen Films brauchten die Sonne. Sie waren nicht die einzigen.

»Nie zuvor hat so voll­kommen ein sinn­bild­li­cher Mensch sich in der Epoche, eine Epoche sich im Menschen gespie­gelt.« Bereits kurz nach dem Sturz des letzten deutschen Kaisers zog Walther Rathenau Bilanz. Seine Schrift »Der Kaiser« und ihr Fazit »Nicht einen Tag lang hätte in Deutsch­land regiert werden können, wie regiert worden ist, ohne die Zustim­mung des Volkes« steht am Beginn einer Diskus­sion, die von mora­li­sie­render Kritik an der Person des Kaisers und Vorwürfen indi­vi­du­eller Verant­wor­tung für die Entfes­se­lung des Ersten Welt­kriegs nicht weniger geprägt ist, als von ästhe­ti­scher Irri­ta­tion: Die Uniform­manie Wilhelms, sein schlechter Kunst­ge­schmack und selbst­herr­li­ches Auftreten werden als Argumente ebenso ins Feld geführt, wie indi­vi­dual­psy­cho­lo­gi­sche Vermu­tungen »Neurosen«, »Sadismus«, »latente Homo­se­xua­lität« (so der einfluss­reichste Kaiser-Biograph, der Brite John C.G.Röhl) und allge­mei­nere Betrach­tungen über preußi­schen Mili­ta­rismus und Rück­wärts­ge­wandt­heit wie Demo­kra­tie­de­fizit des Kaiser­reichs.

Einige wenige Vertei­diger gibt es auch: Etwa den Kultur­so­zio­logen Nicolaus Sombart. In einem umfang­rei­chen biogra­phi­schen Aufsatz (»Wilhelm II. Sünden­bock und Herr der Mitte«) wehrt sich Sombart dagegen, dem Kaiser »immer nur den Prozeß« zu machen. »Es gibt keinen Herrscher der neueren Geschichte, dem soviel Unrecht geschehen ist.« Sombarts Buch war eine der wich­tigsten Inspi­ra­ti­ons­quellen auch für Majestät brauchen Sonne.

Doch der neue Film Peter Schamonis ist keine Apologie. Der Münchner Filme­ma­cher, der sich nach Jahren als Spiel­film­re­gis­seur (Früh­lings­sin­fonie) zuletzt mit Filmen über Max Ernst und Niki de Saint-Phalle erfolg­reich der Künst­ler­do­ku­men­ta­tion zugewandt hatte, stellt vielmehr das Rätsel­hafte, mitunter Bizarre dieses Herr­schers ins Zentrum. Weder Zeit­ana­lyse, noch Biogra­phie im engeren Sinn ist Majestät brauchen Sonne, sondern ein eigen­wil­liger Filmessay, der Wilhelm II. als nervös Getrie­benen und bis zur Lächer­lich­keit Eitlen ebenso zeigt wie als neugie­rigen Moder­nisten und fehl­ge­lei­teten Künstler. So wird das eindi­men­sio­nale Bild um viele Facetten berei­chert. Man erlebt den Hohen­zol­lern­herr­scher als ruhelosen »Reise­kaiser«, als »Wilhelm der Plötz­liche«, für den Präsenz allzuoft Selbst­zweck zu sein schien, aber auch als verson­nenen Antike-Roman­tiker, der sich mona­te­lang in Korfu vom Regie­rungs­alltag erholte. »Ich verstehe mich nicht als Ober­lehrer« beschreibt Schamoni seine Absicht, »aber ich möchte dieser inter­es­santen Figur ohne Vorur­teile gerecht werden.« Wie Nietzsche oder Richard Strauß erscheint Wilhelm II. Schamoni als typischer Reprä­sen­tant seiner Zeit und eines Deutsch­land, das Moder­nität und Rück­wärts­ge­wand­heit verbindet.

Was den Betrachter zunächst über­rascht und gefan­gen­nimmt, sind die Bilder. In lang­wie­riger Archiv­ar­beit hat der Regisseur zahl­reiche unge­se­hene Aufnahmen zuta­ge­ge­för­dert. Am faszi­nie­rendsten sind dabei die aller­ersten bekannten Farb­auf­nahmen, entstanden 1913 bei der Hochzeit der Kaiser­tochter. Beklem­mend nah rückt einem dieses bunte, bald 100 Jahre alte Berlin.

Was die Fülle dieser Filme und ihre für das monar­chi­sche Objekt scho­nungs­lose Zusam­men­stel­lung erkennen lässt, ist, dass Wilhelm noch mehr als ein Reise­kaiser ein Medi­en­kaiser war, »der erste deutsche Filmstar«. Früh erkannte der Kaiser die Möglich­keiten des neuen Mediums und ließ von nun an fast jeden seiner Auftritte von Kameras doku­men­tieren. Darauf bezieht sich der Filmtitel; denn nur bei »Kaiser­wetter« wollte Wilhelm auftreten, sonst sagte er alle Termine ab. So steht auch Schamoni vor dem Problem, dass schon andere Film­bio­gra­phen – man denke an Joachim Fests »Hitler – eine Karriere« – hatten: Die aller­meisten Bilder, die überhaupt exis­tieren, sind offi­zi­elle, entstanden, um ein positives Bild zu konstru­ieren. Umgekehrt bietet einem gerade dies einen Einblick in das, was vor kaum 90 Jahren als »würdevoll« und »schön« empfunden wurde. Ein heutiger Zuschauer reagiert oft nur befremdet. Zu den inter­es­san­testen Aufnahmen gehören dabei jene, die Blößen zeigen oder »Privates« doku­men­tieren: Wenn der voll­uni­for­mierte Kaiser per Leiter aufs Pferd steigt, erschien das auch um 1910 schon lächer­lich. Geradezu abgründig wirkt heute die männer­bün­di­sche Ausge­las­sen­heit beim Oste­rei­er­su­chen auf der Kaise­r­yacht oder das Mann­schafts­baden in Frau­en­klei­dern.

Kluger­weise hütet sich Schamoni vor jeder Versu­chung, bei reiner Bilder­lust stehen­zu­bleiben, und staunend undis­zi­pli­niert Aufnahmen über­ein­ander zu häufen. Vielmehr verwendet er zahl­reiche Verfrem­dungs­mittel, die den Film nebenbei für heutige Zuschauer leichter zugäng­lich machen. Von »Docu­tain­ment« spricht der Regisseur. Schwarz­weiß­bilder werden coloriert, Stumm­filme mit Ton versehen. Die prägnanten Stimmen von Mario Adorf und Otto Sander bringen den Kaiser zum Sprechen, oder äffen das unhörbare Geplapper der vielen Münder in seiner Umgebung nach. Auch mit Musik spart Schamoni nicht. Mal Wagner, mal Strauß, und unun­ter­bro­chen Märsche – so klang es viel­leicht tatsäch­lich im Kaiser­reich.

Man hätte sich manche wichtige Themen die Kriegs­schuld­frage, die Regie­rungs­rea­lität zwischen insti­tu­tio­nellen Zwängen und »persön­li­chem Regiment« gründ­li­cher behandelt gewünscht. Insgesamt aber überzeugt das Resultat. Mit Leich­tig­keit, stel­len­weise Humor und genügend Distanz gelang Schamoni eines der origi­nellsten Doku­men­ta­ti­ons­pro­jekte der letzten Jahre. Zum Pop-Star, wie eine Boule­vard­zei­tung schrieb, wird Wilhelm Zwo damit zwar noch lange nicht. Es entsteht aber eine neue Gelas­sen­heit in der Betrach­tung eines merk­wür­digen Menschen, über den schon Golo Mann schrieb: »Er war kein böser Mensch.«