GB/F 2019 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Marjane Satrapi Drehbuch: Lauren Redniss, Jack Thorne Kamera: Anthony Dod Mantle Darsteller: Rosamund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard, Anya Taylor-Joy, Simon Russell Beale u.a. |
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Symbiotische Laborleidenschaft: Pierre & Marie Curie | ||
(Foto: Studiocanal) |
Marie Curie also. Die für ihre dunkle Punk-Erzählung Persepolis gefeierte Marjane Satrapi, Meisterin der Graphic Novel, legt nun mit Radioactive nach fünfjähriger Leinwand-Abwesenheit einen neuen Film vor. Verfilmt hat sie die gleichnamige Graphic Novel der amerikanischen Künstlerin Lauren Redniss. Nur leider merkt man das nicht. Marie Curie – Elemente des Lebens, wie der deutsche Verleihtitel heißt, ist eine ausbuchstabierte Nacherzählung ihres Lebens.
Als könne man gar nicht anders über die berühmte zweifache Nobelpreisträgerin erzählen, ähnelt Satrapis Marie-Curie-Film auf fast schon unheimliche Weise dem Biopic Marie Curie von Marie Noëlle, das vor vier Jahren im Kino zu sehen war. Kostüme, Ausstattung und Schauplätze, so das Pariser Labor von Pierre und Marie Curie, wurden in beiden Filmen akkurat recherchiert und reinszeniert. Beide Filme erzählen die wichtigen Lebensstationen von Liebe, Geburt der Kinder, den Entdeckungen und Versuchen, dem Nobelpreis, dem tödlichen Zusammenstoß von Pierre mit einer Pferdedroschke, sogar das freizügige Baden in einem See inmitten der abgeschiedenen Natur. Kennt man den einen Film, so kennt man auch den anderen, oder fast. Nur die Graphic Novel von Lauren Redniss, die kennt man nicht, hat man Satrapis Film gesehen.
Expressionistisch hat die amerikanische Künstlerin das Nobelpreis-Ehepaar in wenigen Strichen auf Schemen heruntergebrochen, denen etwas Geisterhaft-Gespenstisches anhaftet. Die erzählten Lebensstationen werden lakonisch kommentiert, bei Redniss darf Marie Curie skizzenhaft und unbestimmt bleiben, die nur monochromatisch kolorierten Figurenandeutungen tragen in sich die Leerstellen des Nichtwissens. Während bei Satrapi jedes Detail der Ausstattung, jede Nuance der Psychologisierung, die der Curie mit dem frühen Tod der Mutter ein Kindheitstrauma anheftet, purer Naturalismus ist, der sich von der Ästhetik der Vorlage nicht hat inspirieren lassen.
Gut, hat also der Film wenig mit dem Buch zu tun. Und es gibt zum großen Glück Ausbrüche aus dem Biopic-Gefängnis, die den Reiz des Films ausmachen. An ihnen können sich all jene entlanghangeln, denen brave Reinszenierungen eines bekannten Lebens im Kino nichts mehr sagen wollen. Zuallererst sind da die magischen Momente, in denen Marie Curie in die Welt der Wissenschaftsesoterik eintaucht, die zur Zeit des Fin de Siècle, also Ende des 19. Jahrhunderts, groß in Mode war. Da war der Mesmerismus, dem Balzac in seinen realistischen Romanen ein Denkmal gesetzt hat. Die somnambulen Hellseher und Geisterbeschwörer fanden ihre Berechtigung in dem Glauben der geheimen animalischen Anziehungkräfte. Auch Marie Curie hat, initiiert durch Pierre, solche esoterischen Séancen besucht. Ein tolles Zeitbild, das die experimentelle Wissenschaft einmal ganz anders einsortiert.
Auch Loïe Fuller ist so eine widerständige Kraft. Mit ihrem Feuertanz zeigt die Pionierin des Modern Dance reine ondulierende Bewegung, man sieht, wie Marie Curie eine Aufführung besucht. Später wird Fuller – das spart der Film aus – den »Radium Dance« erfinden, für den sie mit Marie Curie kollaborierte, die ihr ein fluoreszierendes Kleid entwarf. Es wäre also noch anderes zu erzählen gewesen außer »verliebt, verlobt, verheiratet, gestorben, aber Großes vollbracht«. Immerhin ergeben sich in diesen Ausflügen in die Esoterik emotionale Verdichtungen und vielschichtige Unbestimmtheit, der gegenüber das akkurat ausgestattete Set nur gähnende Uninspiriertheit verströmt.
Und dann gibt es noch Fluchtlinien, hinein in die Welt der Physik, meist untermalt von Philip Glass’ Minimal Sound, die uns recht anschaulich die Faszination der Elementarteilchen vermitteln wollen. Nicht weniger didaktisch verhält es sich mit den visionären Vignetten in die Zukunft hinein, nach Hiroshima, in die Atomwüste von Nevada, nach Tschernobyl, die uns erzählen, dass die Erfindung von Marie Curie doch auch fürchterlich todesbringend ist, selbst wenn Radioaktivität den Krebs schrumpfen lässt, wie Curie entdeckt hat. Das Gute und das Böse von Erfindungen, die nur nicht in falsche Hände geraten dürfen, ja, diese bittere Pille muss man jetzt tapfer schlucken.
Und schließlich, leider, tappt Satrapi auch noch in die selbst gestellte Falle eines falsch verstandenen Feminismus. »Ich bewundere diese kompromisslose Frau«, sagt Satrapi im Interview, »und wollte eine epische Geschichte über eine Frau machen, die noch andere Ziele hat, als hübsch auszusehen, einen Ehemann und Kinder zu haben.«
Ja, aber muss denn ständig betont werden, dass Marie Curie zugleich leidenschaftliche Liebhaberin wie sachliche Wissenschaftlerin war, mit demselben Mann? Und: Wie würde man umgekehrt über einen männlichen Wissenschaftler erzählen? Ist die Pionierin allein darstellbar durch den fliegenden Wechsel zwischen Labor und Zuhause, zwischen Kindern und Versuchskolben? Hätte der Wissenschaftlerin Marie Curie, die so sehr um ihre Sache gekämpft hat, gefallen, wie ihre analytische Arbeit doch nur schmückendes Beiwerk einer aufwühlenden Erzählung über eine leidenschaftliche Frau wird? Wie könnte ein wirklich feministischer Film über Marie Curie eigentlich aussehen? Eine neue Nuance der Marie Curie und einen mutigeren Film hätte Satrapi schaffen können, hätte sie auf die Ästhetik der Andeutung vertraut. Stattdessen hat sie brav ausgemalt.