Georgien/D/F/CZ/KZ/H 2014 · 101 min. · FSK: ab 0 Regie: George Ovashvili Drehbuch: Roelof Jan Minneboo, George Ovashvili, Nugzar Shataidze Kamera: Elemér Ragályi Darsteller: Ilyas Salman, Mariam Buturishvili, Irakli Samushia, Tamer Levent u.a. |
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Ein Bett im Maisfeld |
Als George Ovashvilis Die Maisinsel Ende 2014 auf dem Filmfest in Tiflis gezeigt wurde, beunruhigte nicht nur der Film selbst, sondern auch die beklemmende Stille, die nach dem Film herrschte. Das übliche Getuschel und Lachen wie nach anderen georgischen Produktionen gab es hier nicht. Das lag nicht nur daran, dass Ovashvilis Film brilliant fotografiert, schauspielerisch exzellent besetzt und dramaturgisch zutiefst fasziniert und berührt, sondern, dass Ovashvili sich mit einem äußerst brisanten politischen Thema befasst – den gesellschaftlichen Auswirkungen der durch Russland unterstützten Abspaltung des ehemals georgischen Landesteils Abchasien. Eine Abspaltung, die im Zusammenspiel mit den aktuellen Ereignissen in der Ukraine die Angst heraufbeschwört, dass Georgien der nächste Dominostein sein könnte, der Russland zufällt.
Ovashvilis Die Maisinsel nähert sich diesem Konflikt, indem er die Geschichte der jährlichen, saisonalen Bepflanzung einer kleinen Insel in einem abchasischen Fluss erzählt, die nach der Ernte wieder überschwemmt werden wird. Ohne nennenswerte Handlungselemente werden ein alter Mann (İlyas Salman) und seine Enkelin (Mariam Buturishvili) bei ihrer Arbeit auf der Insel porträtiert. Beim Bau einer provisorischen Hütte, beim Pflanzen des Maises, bei ihren Bootsfahrten von und zur Insel. Erst durch ferne Gewehrschüsse, dann durch sporadische Besuche von Soldaten dringt die militärische Auseinandersetzung auch in diese archaische Nische eines Lebensalltags ein und fordert spätestens dann eine Stellungnahme, als ein bedrohter Soldat (Tamer Levent) auf der Insel Zuflucht sucht.
Ovashvili setzt diese wenigen Handlungselemente äußerst dezent ein, erzählt dabei dennoch eine mehrebnige, spannende Geschichte. Er verfolgt nicht nur akribisch genau die erwachende Neugier des an der Schwelle zur Pubertät stehenden Mädchens, sondern kontrastiert sie faszinierend pragmatisch und poetisch zugleich mit der Lebenserfahrung ihres Großvaters und seinem Wissen darum, wie Krieg und Feindschaft und Loyalität zu begegnen ist. Dass Ovashvili es gelingt, diese Kontraste über wortlose Dialoge transparent werden zu lassen, ist an sich schon bewundernswert. Doch er transponiert auch die wenigen Worte auf eine neue Ebene, denn die spärlichen Dialoge erzielen durch ihre politisch motivierte Mehrsprachigkeit der Protagonisten (Georgisch, Abchasisch, Russisch) eine subtile Aussage, die sich jeglicher politischen Vereinnahmung dezidiert entzieht. Ovashvili spiegelt damit auch das Dilemma des georgischen Unwohlseins gegenüber Russland: man kann sich in einem Tifliser Restaurant lautstark über Russland und seine Expansionsgelüste ärgern, doch kaum stimmt eine lokale Band alte russische Liebeslieder an, singt jeder genauso leidenschaftlich mit wie er vorher laut geflucht hat.
Ovashvilis Die Maisinsel ist jedoch nicht nur brillante Reflexion der gegenwärtigen politische Situation in Osteuropa, sondern auch ein würdiger Nachfolger georgischer Filmtradition. Gerade mit seinem hybriden Ansatz, Politik und Poesie zu vermischen und sich subtil gegen eine Großmacht aufzulehnen, erinnert Ovashvili auch an die erste große Blüte des georgischen Films, die gerade dadurch überraschte, dass sie sich immer wieder kreativ den Dogmen Moskau widersetzte: sei es z.B. mit Konstantin Mikaberidses Meine Großmutter (1929), einer komödiantische Satire auf die sowjetische Bürokratie oder Nikolos Schengelajas Eliso (1928), der aufbegehrend von der 1864er-Deportation der Tschetschenen erzählte.