USA 1999 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Joel Schumacher Drehbuch: Joel Schumacher Kamera: Declan Quinn Darsteller: Robert De Niro, Philip Seymour Hoffman, Barry Miller, Wanda De Jesus u.a. |
Es ist auch auf gar nichts mehr Verlass: Jahrelang war der Name Joel Schumacher Garant für Filme, die die Welt nicht braucht. Zynische, bunte Auftragstaten für’s Sommerkino, sei’s der »Nach dem Tod kommt MTV«-Horror von Flatbrainers, äääh, tschuldigung, -Liners, der grenzfaschistoide Falling Down und die ebensolche Grisham-Adaptation A Time to Kill, oder die Demontage der unter Tim Burtons Händen so genial begonnenen Batman-Serie mit den Beliebigkeits-Feuerwerken Batman Forever und Batman & Robin.
Und dann macht der Mann 8 MM und alle ist anders. Düster und ausgeblasen, ohne jede Empathie für seinen »Helden« (der selbstverständlich genau das ist, was er zu jagen vorgibt), konsequent gegen alle Thriller-Erwartungen inszeniert. Mithin so großartig, dass ihn fast niemand mochte. Und alle,
die bei Falling Down und Time to Kill noch geklatscht haben plötzlich schreien: »Aber das ist ja böse Selbstjustiz!« Wo’s nur die DARSTELLUNG böser Selbstjustiz war und da aber ausnahmsweise eben OHNE Identifikationsaufforderung – was seltsamerweise den meisten größere Probleme
bereitet als mit. Oder wann haben Sie zuletzt einen Hollywood-Thriller gesehen, wo der Mörder brav festgenommen wird, einen fairen Prozess bekommt und eine angemessene Haftstrafe? Und wann hat sich darüber sonst je jemand aufgeregt?
Jedenfalls kam 8 MM gerade noch rechtzeitig, um meinen Schwur zu revidieren, nie wieder meine Zeit mit Ansehen eines Joel Schumacher-Films zu vergeuden. Und das
war gut so. Denn siehe: Mit Flawless legt der Mann jetzt schon den zweiten guten Film in Folge hin. Und siehe: Denn will endgültig keiner mehr sehen.
Was wirklich schade ist. Klar ist die Moral von »Mehr Toleranz, bitteschön« in die Story schon überdeutlich eingestrickt: Ex-Cop und (zumindest ehemals) harter Typ mit sehr traditionellem Verständnis von Männlichkeit (Robert DeNiro) lebt in heruntergekommenem Appartmenthaus und zofft sich dauernd mit der Transe von gegenüber (Philip Seymour Hoffman). Nächtlicher Überfall von Drogendealern, Ex-Cop greift zur Waffe und will für Ordnung sorgen, kriegt Schlaganfall. Die Reha
will nicht recht vorwärtskommen, Pfelger empfiehlt Gesangstherapie. Die lässt sich Ex-Cop asugerechnet erteilen von... – richtig, der Transe von gegenüber. Gegenseitiger Respekt und Verständnis bricht aus (wenn auch langsam), und am Ende werden die Drogendealer erledigt.
Klar ist das mit den Bildern von »Was ist ein echter Mann« alles sehr offensichtlich, inklusive Pistole als Phallussymbol und der erträumte Frauenkörper als mit Geld ausgestopfte Puppe. Klar war Robert
DeNiro schon mal besser als hier, wo ihm sein Method-Acting eher in die Quere zu kommen scheint und er dauernd sichtlich damit zu kämpfen hat, zwar so zu sprechen wie ein Schlaganfall-Patient, aber auch so, dass das Publikum noch was versteht. (Philip Seymour Hoffman freilich sieht man auch hier wieder gerne.)
Klar gibt es Szenen (speziell die Gesangsstunden...), die am Rande zu nicht unerheblicher Peinlichkeit schweben – und auch mal jenseits des Rands.
Aber das ist alles
nicht wichtig. Denn Flawless hat, was andere Joel Schumacher-Filme nicht hatten: Herz. Zum ersten Mal merkt man hier wirklich: Das ist ein Film, den WOLLTE er machen. Kein Wunder, das Drehbuch ist von ihm, und es ist unschwer als ein sehr persönliches erkennbar. Der Mann hat ja, auch wenn man bei seinen Batmans nie drauf käme, eine sehr bewegte und interessante Biografie, von der größere Teile ziemlich abseits vom Mainstream verliefen. Der
weiß, wovon er spricht, wenn’s um den Kampf von Randgruppen um Akzeptanz geht.
Und so ist die Naivität, mit der Flawless oft zu Werke zu gehen scheint, mehr als Ehrlichkeit zu lesen. Als ein Karten-auf-den-Tisch-Legen. Hier versteckt sich Schumacher mal nicht hinter Ironie, Zynismus, Studio-Handlangertum. Wie bei jedem Sich-Offenbaren ist damit freilich das Risiko viel größer, dass was danebengeht, dass man verletzbare Stellen zeigt.
Flawless ist wohl nominell eine Komödie – oder wollte es irgendwann einmal sein – aber das Verhältnis des Films zum Genre ist wie das von 8 MM zum Thriller: Das, was das Genre üblicherweise ausmacht, interessiert gar nicht. Vereinzelt zeigen sich noch Überbleibsel – die zwei kauzigen alten Damen im Rollstuhl, die in dem Appartmenthaus leben, sind nicht
anders erklärbar, als dass sie einst als Gag-Lieferanten gedacht waren, aber Schumacher lässt ihre Pointen-Momente versanden. Die bösen Drogendealer teilen mit den Standard-Pappkameraden aus dem Krimi-Komödien Repertoire die Eigenschaft, bewußt ausschließlich funktional und eindimensional angelegt zu sein – aber im Unterschied tut die Gewalt, die sie ausüben, richtig weh, sind sie eine unangenehme und spürbare Bedrohung. (So richtig lustig freilich ist Schumachers
Portrait einer Gruppe von »Gay Republicans«, politisch und äußerlich konservativen Schwulen-Aktivisten, die der Regisseur gnadenlos durch den Kakao zieht.)
Wenn man auch nur annähernd bereit ist, sich drauf einzulassen, dann schafft es Flawless dank seiner Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit mehr als einmal, wirklich zu berühren. Mit den Stellen, die selbiges gelegentlich peinlich tun, ist es wie mit einem der Mieter (ein Möchtegern-Musiker) im Film, dem gerade die Freundin abgehauen ist. Der hockt am Boden und schrammt auf seiner Gitarre immer die selben Grundakkorde dahin und spricht dazu mehr als er singt seine
Wut und Verzweiflung ganz direkt und ohne jegliche formale oder stilistische Veredelung heraus. Das ist gewiss nicht, wie große Kunst funktionieren mag, und es hat durchaus etwas Lächerliches. Aber das nimmt dem zunächst nichts, dass es dem Mann um etwas (zumindest für ihn) Wichtiges geht, und dass man sich nichts nimmt, wenn man sich’s erstmal anhört, bevor man den Schutzwall der Kritik und Ironie hochfährt.
Diese Szene ist ganz ruhig und behutsam gefilmt (inmiten eines
Films, der zwar zurückgenommener ist als die meisten anderen Schumachers, der aber den virtuosen Techniker und Stil-Eklektiker nicht verleugnet), ist fast schon verschämt durch den halboffenen Türrahmen beobachtet, als hätte auch Schumacher Scheu vor der Verletzlichkeit, die sich da offenbart. Und für einen Moment wie diesen allein würde ich für Flawless schon getrost alle seine Sommer-Blockbuster gemeinsam eintauschen.