Marry Me – Verheiratet auf den ersten Blick

Marry Me

USA 2020 · 112 min. · FSK: ab 0
Regie: Kat Coiro
Drehbuch: , ,
Kamera: Florian Ballhaus
Darsteller: Jennifer Lopez, Utkarsh Ambudkar, Owen Wilson, Sarah Silverman, Maluma u.a.
Filmszene »Marry Me - Verheiratet auf den ersten Blick«
Inszenierung der Inszenierung und das Versprechen, dass auch für die Generation Ü50 noch rosige Zeiten möglich sind
(Foto: Universal)

Gebetskranz der Liebe

Kat Coir erfindet mit Jennifer Lopez die romantische Komödie nicht neu, bricht aber mit nervigen Geschlechterklischees und regt auch sonst zum Nachdenken nicht nur über dieses altehrwürdige Genre an

»No, you can’t always get what you want
You can’t always get what you want
You can’t always get what you want
But if you try sometime you’ll find
You get what you need«

– The Rolling Stones, You Can’t Always Get What You Want

Manchmal fügt sich Fiktion erstaun­lich nahtlos in die Realität ein. So wie in diesem Fall: vor ein paar Tagen, am 8. Februar 2022, erschienen die Ergeb­nisse der Fort­füh­rung der 2017 erstmals in Deutsch­land veröf­fent­lichten Analyse zu Geschlech­ter­dar­stel­lungen in Film und TV. Die aktuellen Ergeb­nisse der Malisa-Stiftung, schon 2017 ernüch­ternd, haben sich nur marginal zu Gunsten der Frauen verschoben; im fiktio­nalen Fernsehen für Frauen über 50 sind sie in den Darstel­lungs­werten etwa von 34 auf 44 Prozent geklet­tert, was immer noch nicht gut ist, bei Frauen über 60 sieht es dann jedoch ganz düster aus, was Silke Burmester in der Zeit dann auch zu einer flam­menden Wutrede animiert hat.

Dass Statis­tiken jedoch nicht alles sind, dass es seit einem Alte-Frau-im Film-Klassiker wie Hal Ashbys Harold und Maude aus dem Jahr 1971 gerade in den letzten Jahren über­ra­schende Beset­zungen gab und ein Vorbote auf die Zukunft sein dürfte, zeigt gerade das so gern geschol­tene Block­buster-Kino. Sei es Linda Hamilton im letzten Termi­nator, die neben Arnold Schwar­zen­egger mehr ihre Frau steht als er seinen Mann oder die Mitt­fünf­zi­gerin Carrie-Anne Moss, die erst vor ein paar Wochen in Matrix Resur­rec­tions ihr Alter wegspielt, als sei das nichts als ein virtu­eller Feind aus der Matrix. Oder die israe­li­sche Ausnahme­serie Hamishim, die das Thema Frau über 50 gleich doppelt und dreifach seziert und dekon­stru­iert und wie die erwähnten Block­buster-Filme die fehlenden Prozent­punkte zur Gleich­stel­lung locker weck­ma­chen dürften.

Dabei helfen dürfte nun auch die roman­ti­sche Komödie Marry Me – Verhei­ratet auf den ersten Blick, die nicht nur von der Mitt­fünf­zi­gerin, Sängerin und Schau­spie­lerin Jennifer Lopez in der Haupt­rolle besetzt ist, sondern auch von ihr produ­ziert wurde. Lopez hat einschlä­gige Erfah­rungen mit roman­ti­schen Komödien, sie hat nicht nur neben George Clooney in Steven Soder­berghs Out of Sight (1998) ihre Frau gestanden, sondern auch in Peter Chelsoms Darf ich bitten? (2004) neben Richard Gere zu Tränen gerührt.

Das ist lange her, so wie auch die Taktung an roman­ti­schen Komödien in den letzten Jahren deutlich nach­ge­lassen hat. Die ganz großen Klassiker wie Body Guard oder Notting Hill liegen lange zurück und Romcoms, die in den letzten Jahren versucht haben, neues Terrain zu erschließen wie Liebe bringt alles ins Rollen (Liebe und Behin­de­rung), Book Club – Das Beste kommt noch (Liebe und hohes Alter), oder ein kleines Meis­ter­werk wie Celeste & Jesse, in dem Lee Toland Krieger und Rashida Jones das Unge­ling­bare gelingt: nämlich die „Roman­ti­sche Komödie“ den realen Verhält­nissen anzu­passen. Aber das sind die Ausnahmen. Es scheint fast so, als sei die Romcom so etwas wie die Tages­zei­tung geworden, die auch nur noch von Menschen über 50 gelesen wird und im Aussterben begriffen ist.

Dass das nicht so sein muss, dass es noch einen Funken Hoffnung gibt, zeigt Kat Coiro mit Marry Me, einer einer­seits sehr klas­si­schen, aber dann auch wieder über­ra­schend gegen­wär­tigen roman­ti­schen Komödie, die auf dem Webcomic »Marry Me« von Bobby Crosby basiert. Gegen­wärtig ist vor allem der Einstieg, sind die ersten 45 Minuten, in denen das von Social Media-Akzeptanz gesteu­erte Leben der Superstar-Sängerin Kat Valdez (Jennifer Lopez) gezeigt wird, die kurz davor steht ihren zwanzig Jahre jüngeren Kollegen Bastian (Malum) auf der Bühne und zu dem gemeinsam geschrie­benen Song „Marry Me“ zu heiraten. Doch kurz vor ihrem gemein­samen Auftritt erfährt sie über gnaden­lose Social Media-Postings, dass Bastian fremd­ge­gangen ist. Weshalb sie auf psycho­lo­gi­schen »Autopilot« schaltet, ihre Show mit einem Augen­auf­schlag umdis­po­niert, die Hochzeit mit Bastian annul­liert und sich kurzer­hand den gleich­alt­rigen und völlig unin­ter­es­santen Mathe-Lehrer Charlie (Owen Wilson) aus dem Publikum greift, um ihn auf der Bühne zu heiraten. Dabei ist Charlie nur zufällig wegen einer Kollegin und seiner Tochter auf dem Konzert und von der digitalen Gegenwart völlig abge­hangen und weiß deshalb natürlich nicht, wie und was ihm da tatsäch­lich passiert.

Diese unter­schied­li­chen Lebens- und Erfah­rungs­welten werden nach dieser schnellen, rasanten und angenehm über­ra­schenden Einlei­tung konse­quent gegen­ein­ander ausge­spielt. Das ist zum Einen sehr vorher­sehbar, befinden wir uns doch schon sehr bald im üblichen Romcom-Schema der über­ra­schenden Nähe, gefolgt von ernüch­ternder Entfrem­dung und abschließend glück­se­liger Über­win­dung des Problems. Aber Marry Me versucht auch, dieses Schema immer wieder erfri­schend aufzu­bre­chen. Sei es durch die hier prominent in Szene gesetzte starke Frau, die es nicht mehr nötig hat, auf einen Heirats­an­trag zu warten, sondern sich nimmt, was sie will und es auch bekommt, die beim Yoga auch demons­trativ ihre Falten, die Zeichen des Alters, zur Schau stellt, die von ihren größten Ängsten auf der Bühne spricht und auch die Einsam­keit des Super­stars thema­ti­siert, der sich nur mehr über soziale Medien und die gegen­sei­tige Rück­kopp­lung als „lebendig“ zu defi­nieren vermag.

Diese Szenen sind wohl auch deshalb so über­zeu­gend, weil sie Teil von Jennifer Lopez‘ Alltag als Sängerin sind und man sich schon schnell fragt, ob es bei all diesen immer wieder uner­trä­g­li­chen Selbst­in­sze­nie­rungen irgend­wann auch ein Ende der Insze­nie­rung der Insze­nie­rung der Insze­nie­rung usw. gibt. Also einen wirk­li­chen, authen­ti­schen, auto­chthonen Kern der Persön­lich­keit. Diese Möglich­keit wird zwar bestätigt, doch was dieser Kern genau sein könnte, wie er aussieht, das bleibt Marry Me allen Charak­teren schuldig, bleibt Kats Biografie nicht mehr als eine Ahnung und auch der Schul­alltag Charlies, der vom Meister des ameri­ka­ni­schen Durch­schnitts­cha­rak­ters, Owen Wilson, wunderbar über­zeu­gend verkör­pert wird, bleibt eher eine Stereo­ty­pen­du­delei, die keine Über­ra­schung oder tiefe Hinter­gründe zu Tage fördert, und die wohl auch nur ein weiterer Subplot ermö­g­licht und dem Film damit auch zu mehr Tiefen­schärfe verholfen hätte.

Aber für solche komplexen Szenarien ist die Romcom natürlich auch nicht unbedingt gemacht, denn sie ist ja viel eher so etwas wie der Gebets­kranz, die Bibel der Liebe und der Klein­fa­milie, die jeden Zweifel an ihrer Gültig­keit und ihren Wert ausmerzen und den Glauben an sie erneuern soll. Und das gelingt Marry Me zwei­fellos, mehr noch, als Marry Me zeigt, dass es auch für die Genera­tion der Ü50 noch eine Bezie­hungs­zu­kunft gibt, ja, dass sogar über die gerade in den USA so neur­al­gi­schen Gräben wie unter­schied­liche Migra­ti­ons­hin­ter­gründe (hier Latino/Caucasian), Reich und Arm, „Digital Native“ und „Digital Abge­hangen“, wenn auch sonst nichts, aber immerhin die Liebe noch eine Brücke bauen kann.