Schweden/DK/D 2009 · 125 min. Regie: Lukas Moodysson Drehbuch: Lukas Moodysson Kamera: Marcel Zyskind Darsteller: Gael García Bernal, Michelle Williams, Marife Necesito, Sophie Nyweide, Run Srinikornchot u.a. |
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Ellen und Leo: Spiegel unser aller Leben |
Ehebruch wird bestraft, Kindervernachlässigung erst recht: Die Weltstars Gael Garcia Bernal und Michelle Williams spielen die Hauptrollen in einem Globalisierungs- und Weltverbesserungsdrama, das lauter gute Menschen zusammentreffen und lauter schlechte Dinge tun lässt. Vor allem Williams Figur Ellen steht im Zentrum: Eine New Yorker Ärztin und Mutter am Rande des Nervenzusammenbuchs.
Ellen läuft und läuft. Sie läuft auf dem Dach jenes New Yorker Hochhauses, in dem sich ihre schicke Appartment-Wohnung befindet. sie läuft nicht im kreis, sondern auf der Stelle auf einem Laufband, und manchmal, wenn man ihr zusieht, hat man den Eindruck, sie laufe von etwas weg. Zugleich erinnert dieses Bild der jungen Frau an einen Hamster in seinem Rad. Ein Mensch im Hamsterrad des Lebens. Und das Laufband zur sportlichen Ertüchtigung wirkt als Sinnbild des hektischen auf-der-Stelle-tretens unserer Kultur, der allgemeinen Erschöpfung des Westens.
Ellen (Michelle Williams) und ihr Mann Leo (Gael Garcia Bernal) leben ein Leben wie viele bei uns und in den Wohlstands-Gesellschaften der Postmoderne – und erst recht ein Leben, wie viele es leben würden, wenn sie nur könnten: Sie sind gut ausgebildet, Doppelverdiener – Leo ist ein begabter Web-Programmierer, Ellen ist Notärztin im Krankenhaus-, sie haben ein schickes großes Appartment in New York, mit der achtjährigen Jackie eine süße Tochter, mit Gloria (!) ein zuverlässiges philippinisches Kindermädchen, die für das Mädchen zur zweiten Mutter geworden ist. Ellen und Leo konsumieren rücksichtsvoll, aber ohne Rücksicht aufs Geld: Ihr Leben ist so übervoll wie der Kühlschrank, angefüllt mit jenen zahlreichen teuren, cool designdeten Gadgets, die das Leben nicht nur leichter, sondern vor allem hübscher machen: iBook, iPod, iPhone, Ich, Ich, Ich. Das Wir besteht aus geteiltem Geschmack. Sie essen zum Beispiel auch überteuertes Biofood, sie machen täglich Sport an teuren Geräten und kümmern sich um ihre Gesundheit, für die sie viel Geld bei der privaten Krankenkasse ausgeben – Musterbeispiele der Yuppies also, in ihrer neuesten Variante, also nicht mehr zynisch, koksend und den Augenblick genießend, sondern wertkonservativ, nachhaltig und »bewußt« lebend, nicht neoliberal, sondern ökologisch. Aber genauso gedankenlos. Genauso oberflächlich und dabei davon überzeugt, zu wissen, was richtig ist, was »man tun« muss und wie man leben soll, und vor allem davon selber alles richtig zu machen. Mammoth, der neue Film des Schweden Lukas Moodysson (Raus aus Åmål, Tillsammans, Lilja 4 Ever), erzählt davon, wie diese Überzeugung erschüttert wird.
Parallel zu diesem New Yorker Haupterzählstrang erzählt der Film zwei weitere Geschichten: Von den beiden Söhnen des Kindermädchens Gloria, die auf den Philippinen bei der Großmutter leben und dort weitgehend sich selbst überlassen sind – der jüngere gerät in die Hände eines Kinderschänders. Und die von der thailändischen Prostituierten Cookie (!) (Run Srinikornchot). Sie lernt Leo kennen, nachdem er sich aus öden Geschäftsverhandlungen in Bangkok davongeschlichen hat und für ein paar Tage an die Küste reist. Sie haben eine Affaire, was man, wie überhaupt alles in diesem Film auch sehr sehr gut verstehen kann, was der Film aber dennoch nicht gutheißt und deshalb sofort bestraft: Mit schlechtem Gewissen, dauernden Hieben mit der guten alten schwedischen Moralkeule, auch Bergman-Hammer genannt, die die Seelen dieser Menschen dann protestantisch geißelt.
Cookie denkt übrigens in Wahrheit auch vor allem an ihr Kind, das ebenfalls getrennt von der Mutter weit entfernt lebt – drei Mütter, dreimal unglückliche Mutterliebe, drei Lebenslagen von Frauen stehen also im Focus des Films, und die Lebenslagen ihrer Kinder. Diese Frauen haben gleichzeitig eine unmögliche Anzahl von Rollen zu erfüllen: die der hingebungsvollen Mutter, der Geliebten, und der Familienernährerin. Die Kinder erscheinen vor allem als Opfer. Sie leiden, sie sind Objekte selbstsüchtiger Erwachsener. Das gilt noch für den Jungen, der mit fünf Messerstichen im Bauch auf dem Operationstisch von Ellen liegt, und auf den die Ärztin ihr ganzes schlechtes Gewissen projeziert.
Wenn in China ein Sack Reis umfällt..., wen kümmert das schon, so sagt man gern. Aber wir kennen ja andererseits auch den »Schmetterlingseffekt«: Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Tornado auslösen. In der globalisierten Welt hängt bekanntlich alles mit allem zusammen. Domino-Theorie des Alltags. Und so ist Mammoth auch in etwa die filmische Illustration dieses Schmetterlingseffekts.
Stilistisch ist das im Stil von Short Cuts und Babel erzählt: Die verschiedenen Handlungsebenen werden parallelisiert, und im Wechselspiel miteinander konfrontiert – episodisches Erzählen ist in Zeiten der Globalisierung in, um die Distanzen zu überbrücken, und zu zeigen, dass die Welt am Ende eine ist. Wie ein Anruf auf dem Mobiltelefon oder ein Click im Internet überbrückt auch der Filmschnitt binnen Sekunden Kontinente.
Mitunter hieß es in den Kritiken zur Berlinale-Premiere, Mammoth sei der schlechtere Babel. Aber Babel war gar nicht so gut, Babel ist
überschätzt. Mammoth ist unterschätzt. Was aber wirklich stört, ist dass hier alles nach Schema-F abläuft, sind die Klischees. Nehmen wir nochmals Cookie, die thailändische Nutte. Sie ist ganz nett, sehr hübsch, aber auch sehr sehr doof, denn als sie von Leo teuren Schmuck bekommt, lässt sich dafür mit einer Handvoll Dollars abspeisen.
Auch nicht intelligenter ist, dass das Leben der New Yorker Yuppies dann doch mit schlechtem Gewissen und Schlafmangel möbliert
ist. Der Zuschauer darf sie nicht hassen, sagt der Film, denn sie sind wie er, und außerdem hassen sie sich selbst viel mehr, als er das je könnte.
Mammoth zeigt anhand seiner gar nicht so heimlichen Hauptfigur Ellen, die als Ärztin wie als Mutter am Rande des Nervenzusammenbuchs existiert und in ihrer Selbstsicherheit erschüttert wird, ein moralisches Burn-Out-Syndrom und erzählt davon, dass auch Moral, dass auch Schuld und Sühne unteilbar sind. Moodysson erzählt vom Überdruß der Menschen im reichen Westen, und von ihren geheimen Schuldkomplexen. Von ihrem schlechten Gewissen. Von ihrer Schuld: Sie sind, so die These des Films, schuldig gegenüber ihren Kindern, den ach so unschuldigen, grundguten Gottesgeschöpfen, die immer recht haben.
Vor allem aber sagt dieser Film: Mütter geht nicht arbeiten; kümmert Euch um Eure Kinder. Denn die Kinderbetreuung misslingt, wo Mütter arbeiten und die Menschen sind im Grunde todtraurig. Eva Herrmann lässt grüßen. Darum sind am Schluß wieder alle im Kokoon, Mütter bei ihren Kindern im eigenen Land, Migration ist doof, der Westen reich, der Rest der Welt halt arm.
Manchmal wirkt dieser Film einfach wie ein Werbespot der Evangelikalen. Es wimmelt von Christusstatuen, Gebeten und
Gottesdienstbesuchen. Sünden werden sofort bestraft. Vergessen wir nicht, dass in Lilja 4-ever die Hauptfigur plötzlich als Engel auftrat. Vielleicht war das kein Tagtraum, keine Metapher, sondern einfach ganz wörtlich gemeint?
Ob Ellen am Ende etwas gelernt hat, ob sich ihr Leben ändert? Ist vielleicht gar nicht so wichtig. Das Schlussbild ist unbedingt zwiespältig: Da sieht man nach Leo’s Rückkehr Vater, Mutter, Kind auf dem Sofa sitzend. Die heilige Familie, wieder vereint. Sie haben unschöne Dinge erlebt, sie haben eine moralische Katharsis durchlitten. Aber am Ende werden sie vor allem ein neues Kindermädchen brauchen.
Ein Happy End? Vielleicht doch eher eine weitere Etappe des Westens auf dem Weg in den Abgrund.
Literaturhinweis:
Barbara Ehrenreich: »Global Woman: Nannies, Maids and Sex Workers in the New Economy«; Verlag Granta Books 2003