F/D/CH/J 2023 · 92 min. · FSK: ab 0 Regie: Élise Girard Drehbuch: Élise Girard, Maud Ameline, Sophie Fillières Kamera: Céline Bozon Darsteller: Isabelle Huppert, Tsuyoshi Ihara, August Diehl, Yuko Hitomi, Aurore Catala u.a. |
Japan als exotistischer Sehnsuchtsort ist natürlich naheliegend. Bei Regisseuren wie Wim Wenders etwa, weil er bislang alles, was in seinen Augen fremd war, zu einem Teil seiner Ästhetik geformt hat, zuletzt in dem grenzwertigen, aber überaus erfolgreichen Perfect Days, in dem Toilettenreiniger und Penner ein Leben wie Joseph von Eichendorffs Taugenichts führen. Aber es geht natürlich auch anders, wie bei Doris Dörrie, deren letzter Japanfilm Kirschblüten & Dämonen die Geister und Dämonen, die wir ja auch aus Ghibli-Filmen kennen, nicht einfach instrumentalisierte, sondern mit ganz eigenen, deutschen Geistern amalgamierte. Und gleichzeitig schöne Verweise auf die große japanische Filmkultur lieferte, man denke nur an die Abschlussszene, die Dörrie, in eben jenem Ryokan spielen lässt, in das sich Ozu Yasujirō immer wieder zum Schreiben zurückzog – und Hiro Kore-Eda (Shoplifters, Unsere kleine Schwester) das bis heute tut.
Von einer derartigen Tiefenbohrung sehen wir in Élise Girards Madame Sidonie leider überhaupt nichts. Zwar ist auch hier die Hauptperson auf der Suche nach Geistern. Oder um genauer zu sein, auf der Suche nach zwei Geistern. Denn Madame Sidonie (Isabelle Huppert), eine Schriftstellerin auf Lesereise in Japan, begegnet zum einen ihrem eigenen Gespenst, der Autorin aus jungen Jahren. Denn sie liest in Japan aus ihrem ersten Roman, der schon vor Jahrzehnten erschienen ist. Der zweite Geist ist der ihres verstorbenen Ehemanns (August Diehl), über dessen Tod sie nie hinweggekommen ist und mit dem sie sich nun in Japan, im Land der Geister, jeden Abend und später auch öfter, auf ein Stelldichein treffen darf.
Damit lernt Sidonie endlich Abschiednehmen. Von ihrem Ehemann ebenso wie von ihrem alten Ich. Das hat sie allerdings auch dringend nötig, denn Sidonie schreibt keine Bücher mehr und sie liest auch keine Bücher mehr. So wie Menschen safer Sex haben, um sich nicht mit einer tödlicher Krankheit zu infizieren, will Sidonie nichts mehr mit Büchern zu tun haben, um nicht noch mehr leiden zu müssen. Deshalb tut Japan ihr dann auch unendlich gut.
Wie gut es ihr tut, dafür findet Élise Girard immer wieder neue, aufgesetzt dämlich und überhaupt nicht poetische Momente, auch wenn das der Film immer wieder behauptet. Wie in Ryūsuke Hamaguchis wunderbarem Drive My Car fährt auch Sidonie meist mit dem Auto, aber auch mit dem Zug durch Japan und wird von ihrem wortkargen Verleger begleitet und wie sich das auf japanisch auch gehört: unerkannt und schüchtern verehrt und geliebt. Tokio und überhaupt Japan sieht hier so aseptisch aus wie bei Wenders oder das touristische Paris in Woody Allens Ein Glücksfall: Schöne Hotels, elegische Landschaften, gepflegte Gesprächsrunden mit Toten und Lebenden. Und das war es dann auch schon.
Was hier gesprochen wird, ist genauso wenig von Belang wie das, was uns die Bilder zeigen. Die völlig groteske Anfangsszene, als ein japanischer Grenzbeamter Fragen stellt, die nie ein Grenzbeamter stellen würde und Madame Sidonie sich immer wieder verbeugt, als wäre das der einzig mögliche Running Gag in einem Land wie Japan, zeigen schon sehr schnell, dass es sich hier nicht um einen großen, traurigen Film des flanierenden Abschiednehmens handelt – die es ja auch gibt, man denke nur an Paulo Sorrentinos tiefsinnigen und wunderschönen La grande bellezza – sondern um den leichten Tagtraum des japanischen Fremdenverkehrsbüros, das es endlich einmal ein wenig anders und subtiler, stiller als sonst versuchen wollte. So, wie die Japaner und ihre Kultur halt sind.