Deutschland/Nordkorea 2016 · 113 min. · FSK: ab 0 Regie: Sung-Hyung Cho Drehbuch: Sung-Hyung Cho Kamera: Thomas Schneider, Julia Daschner Schnitt: Fabian Oberhem |
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Man muss zwischen den Zeilen lesen |
Als internationales Schreckgespenst geistert Nordkorea durch die Medien, als Land der Aufrüstung, Hungersnöte und Militärparaden, abgeschottet vom Rest der Welt und beherrscht von einem selbstbezogenen, abgöttisch verehrten Staatsführer. Der inzwischen in Frankfurt lebenden Südkoreanerin Sung-Hyung Cho war daran gelegen, hinter die Fassade ihres ehemaligen Nachbarlandes zu schauen. Als Kind wurde sie im Glauben aufgezogen, jenseits der Grenze residieren Monster, was ebenfalls auf die Vorurteile der verfeindeten Nachbarn zutrifft. Aufgrund ihres deutschen Passes war es Sung–Hyung Cho möglich, diese gegenseitige Propaganda zu hinterfragen. Um nicht bei der Rückkehr als Spionin verhaftet zu werden, musste sie jedoch zuvor auf ihre südkoreanische Staatsbürgerschaft verzichten.
Auf ihrer Reise durch Nordkorea besuchten die Filmemacherin und ihr Team Bauern, Näherinnen, Propagandamaler, eine junge Soldatin und ihren Bruder, Aufsichtsbeamter eines Wasservergnügungsparks in Pjöngjang. Häufig standen Frauen und ihre Position im sozialistischen System im Fokus. Zwar wurden die Interviewpartner vom Regime ausgewählt, doch Chos Gegenüber reagierten häufig relativ aufrichtig auf die gestellten Fragen. Allerdings spielte der Rahmen, sei es ein privates Gespräch in den eigenen vier Wänden oder ein offizieller Rundgang durch die Arbeitsstätte, durchaus eine Rolle. Für die Regisseurin war es von Vorteil, dass sie die Interviews schon bald ohne offizielle „Aufpasser“ aufzeichnen konnte. Als roter Faden schält sich der umgreifenden Wunsch nach der Wiedervereinigung der beiden Koreas heraus. Mancher Gesprächspartner reagierte auf Sung-Hyung Cho, als sei sie eine offizielle Abgesandte des Nachbarlandes, worin die stete Hoffnung auf Veränderung mitschwang.
Nahtlos fügt sich ihr fünfter Dokumentarfilm Meine Brüder und Schwestern im Norden in ihr filmisches Oeuvre ein, das Themen wie Identität, Culture-Clash, Generationskonflikte und kulturelle oder soziale Bindungen thematisiert. Filme wie Endstation der Sehnsüchte oder Verliebt, verlobt, verloren drehen sich um Reibungspunkte aus deutsch-(nord)koreanischen Ehen, der erzwungen Zerstörung dieser Beziehungen oder der Suche nach Heimat. Ihr aktuelles Werk erweist sich als sehr persönliche Spurensuche, weshalb Sung-Hyung Cho oft selbst im Bild erscheint, mitunter gar etwas zu häufig.
Vorgeworfen wurde ihr eine Idealisierung der tatsächlichen Lage und die Instrumentalisierung durch das Regime. Jedoch wird von den Zuschauern durchaus verlangt, zwischen den Zeilen zu lesen. Allmählich schälen sich tägliche Restriktionen und die Einimpfung der nationalen Ideologie von Kindesbeinen an deutlich heraus. Diese Aussage wird nicht mit dem Holzhammer eingetrichtert, wie in Seth Rogens derber Satire The Interview. Teils lassen sich durchaus Parallelen zur umstrittenen US-Komödie erkennen, wenn Sung-Hyung Cho etwa bei ihrer Ankunft in der ärmlichen Provinz Sariwon auf den Kontrast zur Hauptstadt Pjöngjang hinweist. Schon allein für westliche Touristen wird dort das alternierende Bild eines wohlhabenden, zufriedenen Nordkoreas aufrecht gehalten.
Eher liegt das Problem in einigen zerdehnten Passagen. Meine Brüder und Schwestern im Norden, bei dem die Ex-Cutterin zum zweiten Mal nicht mehr selbst für den Schnitt verantwortlich war, durchlief mehrere Fassungen, in denen die Regisseurin auf einige lieb gewonnene Sequenzen verzichten musste. So mögen etwa die Ausführungen eines Bauern des Musterkollektivs von Sariwon Erhellendes zu seiner Lebenssituation beitragen, doch im Gesamtbild wirkt dies letztlich zu ausführlich. Für einen differenzierten Blick hinter die Propagandagespinste des sozialistischen Landes trägt Sung-Hyungs Reisechronik jedoch durchaus bei.