Frankreich 2018 · 106 min. · FSK: ab 16 Regie: Yann Gonzalez Drehbuch: Yann Gonzalez, Cristiano Mangione Kamera: Simon Beaufils Darsteller: Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran, Jonathan Genet, Khaled Alouach u.a. |
||
Funkelndes Kaleidoskop |
Paris im Sommer 1979: Die Filmemacherin Anne (Vanessa Paradis) arbeitet als Regisseurin und Produzentin von Schwulenpornos der C-Movie-Kategorie. Als ihre Freundin Lois (Kate Moran) sie verlässt, versucht Anne sie mit einem ambitionierten Filmprojekt, um einen geheimnisvollen Mörder zurückzugewinnen. Da Lois als Cutterin an Anns Filmen mitarbeitet, ist sie direkt in das Projekt involviert. So bekommt sie auch mit, wie ein realer Mörder Cast und Crew mithilfe eines Stilettos in Gestalt eines schwarzen Dildos dezimiert. Da die Polizei in ihren Ermittlungen nicht vorankommt, versucht Anne auf eigene Faust dem geheimnisvollen Killer auf die Schliche zu kommen.
Messer im Herz von Yann Gonzalez (Begegnungen nach Mitternacht, 2013) ist vieles, aber insbesondere ist der Film ein lupenreiner Giallo. Es geht gleich los mit Szenen in einem Schwulenklub, die wie in Argentos Horrorfilm Suspiria (1977) abwechselnd in grellrotes und blaues Licht getaucht sind. Der Killer trägt eine schwarze Latexmaske, eine fetischisierte Variante der Masken, die Killer wie in Mario Bavas Frühgiallo Rote Seide (1964) tragen. Im Klub spielt ein Drummer mit einer Vogelkopfmaske, eine Reminiszenz an den Killer im Vogelkostüm in Michele Soavis Slasher Aquarius – Theater Des Todes (1987). Sein Mordwerkzeug in Form eines Stiletto-Dildos ist eine übersteigerte Version der fetischisierten Schlitz- und Stechinstrumente in fast allen Gialli. Die radikale Verbindung von Sex und Gewalt in der ersten Tötungsszene erinnert mit ihrem Close-up auf sich wollüstig leckende Lippen an Lucio Fulcis ultrabrutalen Giallo Der New York Ripper (1982).
Aber Moment einmal: Sprachen wir da gerade von einem Schwulenklub? Ja, Schwule und Lesben spielen in diesem Film die Hauptrolle und stellen auch die Mordopfer. Die Pornos, die gedreht werden, sind Schwulenpornos und die tödliche Sexszene zu Beginn ist eine schwule Sexszene. All dies wäre völlig undenkbar in einem klassischen Giallo, wo männliche Homosexuelle nur als Witzfiguren auftauchen. An dieser Stelle erweist Regisseur und Co-Autor Yann Gonzalez dem französischen Schwulenporno der 1970er-Jahre seine Ehrerbietung. Einflüsse von schwulen Undergroundfilmen wie Kenneth Angers Scorpio Rising (1963) sind ebenfalls unverkennbar.
Dahingegen erinnert der Anfang mit dem Mord an einem in einem Schwulenclub aufgegabelten Opfer an William Friedkins seinerzeit umstrittenen Slasher Cruising (1980), der aus derselben Zeit stammt, in welcher die Handlung von Messer im Herz spielt. Yann Gonzalez wiederum betont, dass er sich was die Atmosphäre betrifft insbesondere an den Thrillern von Brian de Palma wie Dressed To Kill (1980) oder Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren (1981) orientiert habe. Diese Filme stammen wie Cruising ebenfalls aus der Zeit der Filmhandlung. Zudem gibt es in Blow Out die Parallele, dass John Travoltas Charakter als Tontechniker an einem drittklassigen Slasher arbeitet, während er Zeuge eines Mordes wird.
Dieses Spielchen ließe sich noch ewig weitertreiben. Fest steht, dass Messer im Herz aus jeder Pore echte Giallo-Atmosphäre atmet, während der Film gleichzeitig ein funkelndes Kaleidoskop verschiedenartigster filmischer Referenzen entfaltet. Dabei nimmt Yann Gonzalez das Genre durchaus erst, indem er den Tonfall seines Films nicht zu ernst werden lässt, sondern Messer im Herz durch verschiedenste humorige Einlagen auflockert. So sind fast alle Film-im-Film-Szenen schreiend komisch geraten. Damit geht Gonzalez einen gänzlich anderen Weg als seine frankophonen Kollegen Hélène Cattet und Bruno Forzani, die in Amer – ein Albtraum aus Angst und Begierde (2009) und Der Tod weint rote Tränen (2013) den Giallo in die Sphären des Kunstfilms hinauf katapultieren. Während Cattet und Forzani stark fetischisierte Versatzstücke des Giallos verwenden, um daraus etwas völlig Neues zu machen, feiert Gonzalez geradezu die oftmalige Schmuddeligkeit des Genres. Er hebt also gerade die Aspekte – wie schmierige Sexyness und platten Humor – hervor, die man heutzutage zumeist lieber achselzuckend als Produkte ihrer Zeit abtut.
Dabei zeichnet den Giallo gerade diese ziemlich einzigartige Verbindung aus Kunst und Schmodder aus. Selbst Spitzenfilme wie Dario Argentos Debütfilm Das Geheimnis Der Schwarzen Handschuhe sind unverhohlene Unterhaltungsfilme, die sich nicht scheuen, immer wieder an die niedrigsten Regungen des Publikums zu appellieren. Aber zugleich zeichnet diese Filme eine Raffinesse in der Gestaltung von Bild und Ton aus, die sie zu audiovisuellen Meisterwerken erhebt. In der Beziehung zeigt Das Geheimnis Der Schwarzen Handschuhe Argento zugegebenermaßen noch nicht ganz auf der Höhe seines Könnens. Aber spätestens ab Rosso – farbe des todes (1975) konnte sich Argento, was die Beherrschung der filmischen Mittel angeht, mit den besten offiziellen Größen des Regiefachs messen.
Apropos Ton: Auch Messer im Herz wird erst perfekt, durch die die fetischisierten, lustigen und surrealen Bilder untermalende Synthiemusik. Diese stammt von dem französischen Electro-Projekt M83. Dieses zeichnete sich unter anderem bereits verantwortlich für den Soundtrack zu Oblivion (2013). Der Chef von M83 heißt übrigens Anthony Gonzalez und ist der Bruder des Regisseurs von Messer im Herz. Im Presseheft zum Film schildert Yann Gonzalez, wie sein Bruder Anthony und dessen späterer M83-Kollege Nicolas Fromageau früher in sein Zimmer schlichen, »um sich ... [seine] Videos von Alejandro Jodorowsky, Richard Kern und Jean Rollin anzuschauen.« Zwar erreicht M83 in Messer im Herz zu keinem Zeitpunkt die Klasse von Goblin in Rosso – Farbe Des Todes oder in Suspiria. Für eine stilechte Ergänzung der gleichfalls stilechten Bilder zu einem stimmigen Ganzen langt es jedoch allemal.