Spanien/Kanada 2003 · 106 min. · FSK: ab 6 Regie: Isabel Coixet Drehbuch: Isabel Coixet Kamera: Jean-Claude Larrieu Darsteller: Sarah Polley, Scott Speedman, Deborah Harry, Mark Ruffalo u.a. |
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Sarah Polley als Ann |
Nur mal angenommen: Man geht zum Arzt, der eröffnet den baldigen Tod. Was tun? Wie geht man mit so einer Nachricht um? Wie erträgt man das Wissen darum, dass die so unermesslich weit scheinende Lebensspanne plötzlich einschrumpft auf wenige, schrecklich überschaubare kurze Wochen?
Ann findet einen ganz besonderen, eigenen Weg, mit der Gewissheit umzugehen.
Sie ist jung, Mitte zwanzig, und ihr Leben schien fest gefügt, fast fest gefahren zu sein. Mit dem erfolglosen Ehemann Don und den zwei kleinen Töchtern lebt sie in einem Wohnwagen im Garten ihrer Mutter und ernährt die Familie mit ihrem nächtlichen Job in der Universität. Nein, unglücklich ist sie nicht mit ihrer Familie, ihrer Arbeit, alles ist soweit ganz ok, aber glücklich fühlt sie sich auch nicht. Die Sorge um den Lebensunterhalt, die Auseinandersetzungen mit der Mutter, das Wissen um den seit zehn Jahren im Gefängnis sitzenden Vater, das Bewusstsein, bei aller Mühe niemals großen Sprünge machen zu können, all dies dämpft die schönen Stunden mit ihren Kindern und die alltäglichen guten Momente unweigerlich.
Bis Ann erfährt, dass sie todkrank ist und in wenigen Monaten sterben wird. Und wie aus einem Traum erwachend erkennt sie, dass sie nicht mehr viel Zeit hat, bisher versäumtes nachzuholen. Ann, realistisch, praktisch, pragmatisch, schreibt eine Liste der Dinge, die sie noch erleben und erledigen will; keine Unmöglichkeiten und wilden Phantasien, aber Sachen, die sie ausprobieren möchte: Falsche Fingernägel beispielsweise, oder Sex mit einem anderen als ihrem Mann. Wahrheiten aussprechen. Und für die Zukunft ihrer Lieben vorsorgen, so weit sie kann.
Diese Liste arbeitet Ann gewissenhaft ab, ohne jemandem zu erzählen, wie es um sie steht. Ihre zunehmende Schwäche erklärt sie mit einer harmlosen Anämie, um niemanden zu beunruhigen, denn in der ihr verbleibenden Zeit möchte sie nicht von Menschen umgeben sein, die nur besorgt an ihren baldigen Tod denken. Sie setzt um, was sie sich vorgenommen hat, probiert Dinge, die sie bisher nicht wagte, und bemüht sich heimlich, auch die Zeit danach zu regeln – mit einem Lebensmut und Optimismus, der sie selber verblüfft.
Trotz des ernsten Themas lässt Isabel Coixets Film die Zuschauer nicht bedrückt aus dem Kino gehen: mit Anns Augen gesehen scheint der Wert jeder einzelnen glücklichen Stunde zu wachsen, als ob das Bewußtsein für die vergänglichen Kostbarkeiten schöner Momente geschärft wäre. Dies liegt sowohl an der geschickten Regie, der es gelingt, tränenseligen Momenten auszuweichen, als auch an der intensiven Darstellung Sarah Polleys, die in der Rolle der Heldin zu überzeugen vermag. Ihr nuancenreiches Spiel verleiht der einfachen, doch bei weitem nicht schlichten Ann in jedem Moment eine Überzeugungskraft, die mitreißend genug ist, ihrer Prämisse zu folgen: Schweigen ist Gold.
Und auf diese Überzeugungskraft baut der Film, seine Wirkung ist um so intensiver, je mehr man sich auf das Geschehen einlässt und das, was sich so wahr gibt, hinnimmt. Damit geht Coixet kein geringes Risiko ein. Denn schon kleine Irritationen, winzige Irrtümer in den erzählten Geschichten können aus der Stimmung des Geschehens herausreißen, obwohl solche V-Effekte offensichtlich nicht beabsichtigt sind. Das Mitfühlen steht hier deutlich vor dem Rationalen, der Kinosessel ist in diesem Fall ein unangebrachter Ort für Reflexionen, und Gedanken um die Angemessenheit von Anns Verschwiegenheit kann man sich auch beim Gespräch nach dem Film in der Kneipe machen. Denn es ist keine kleine Frage, ob ihre Familie nicht auch ein Recht auf den langen Abschied gehabt hätte.
Dieses Schweigen ist auch, was die Hauptperson in Film und Literaturvorlage vor allem unterscheidet. In der zu Grunde liegenden Kurzgeschichte Nanci Kincaids spricht sie mit allen über ihr Sterben, doch Croixet fand die Entwicklung der heimlichen Todesvorbereitung interessanter. Wie weit kann die Verschlechterung des Gesundheitszustandes verborgen werden, welche Möglichkeiten ergeben sich aus der Unwissenheit der Umgebung? Die Regisseurin und Drehbuchautorin entwickelte aus den Vorgaben der Kurzgeschichte Anns Erzählung ihrer letzten Wochen und verlegte den Handlungsort aus New Orleans nach Vancouver, welches das stimmigere Wetter bieten konnte. Hierbei werden auch produktionstechnische Erwägungen eine Rolle gespielt haben, schließlich ist My Life Without Me die erste außerspanische Produktion von Pedro Almodóvars Firma El Deseo. Die begeisterten Aufnahme des Films durch das Publikum bei verschiedenen Festivals lässt erkennen, dass das Projekt ein sehr gelungenes ist.