Italien 1997 · 91 min. Regie: Ruggero Gabbai Drehbuch: Marcello Pezzetti, Liliana Picciotto Fargion Kamera: Sefi Baruch Schnitt: Daniele Orsini |
»Frauen rechts, Männer links! Los, los, los! In einer Reihe!« So lautete das Kommando der Deutschen, als die italienischen Juden 1944 in Güterzügen im Vernichtungslager Auschwitz ankamen. Nahezu akzentfrei zitiert einer der Überlebenden diesen Satz in Memoria. Obwohl er sonst kein deutsch spricht. Abgesehen von einem Wort, an das sich alle Zeitzeugen erinnern, die in Ruggero Gabbais Dokumentarfilm über das Schicksal der italienischen Juden berichten: Jeder kann seine eintätowierte KZ-Nummer auf deutsch hersagen. Wer die Nummer nicht wußte, wurde von den Nazis verprügelt.
Diese makaberen Sprachkenntnisse machen deutlich, daß für die Opfer des Naziregimes auch nach 50 Jahren die Vergangenheit noch nicht vergangen ist. Der Regisseur hat die Zeitzeugen 1995 nach Auschwitz begleitet; dort sehen sie die schrecklichen Szenen wieder vor sich. Ich erinnere mich noch ganz genau an alles, ich spüre die Stöße der deutschen Gewehre in meinem Rücken, schluchzt die Elisa Springer. Ähnlich wie Spielbergs Shoa-Dokumentation, die aus dem Film Schindlers Liste hervorging, hat sich Gabbai zum Ziel gesetzt, die Erfahrungen der italienischen Überlebenden zu dokumentieren, bevor ihre Erinnerungen für die Nachwelt verloren sind. Zwischen 1943 und 1945 wurden 8500 italienische Juden in Vernichtungslager deportiert, etwa 800 überlebten. 93 von ihnen sind heute noch am Leben und waren bereit, von ihren Eindrücken zu berichten. Das Projekt Memoria versucht die Erinnerungen der Zeitzeugen auf 84 Minuten zusammenzufassen. Dabei ist ein Dokumentarfilm entstanden, der mit hoher Sensibilität die Opfer zu Wort kommen läßt, ohne ihnen in ihrem Schmerz zu nahe zu treten.
Beeindruckend ist, daß die Zeitzeugen nicht mit Haß von Auschwitz erzählen, sondern sachlich, mit viel Wärme für die gestorbenen Angehörigen, manchmal fassungslos darüber, der einzige Überlebende einer großen Familie zu sein.. Durch die Sachlichkeit wirken die Berichte um so erschütternder: Kinder gingen Hand in Hand mit ihren Spielsachen zu den Krematorien, erzählt einer der Überlebenden, mit Stoffpuppen unter dem Arm gingen sie zu den Krematorien, zwei Meter hoch war das Feuer über den Schornsteinen in der Nacht, der Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft. Vor der Vergasung der Erwachsenen sagten die Aufseher, die Häftlinge sollten ihre Kleider ausziehen und sich genau die Nummer des Hakens merken, an dem sie die Kleider aufhängten. Sonst herrsche nach dem Duschen ein heilloses Durcheinander. Die Häftlinge waren alle davon überzeugt, sie kämen zum Duschen. Aber dann kam nicht Wasser, sondern Zyklon B aus den Duschhähnen. Gewiß, die Fakten sind aus den Geschichtsbüchern bekannt, aber wenn man sie aus dem Mund eines Überlebenden hört, wird das Ausmaß des Schreckens regelrecht erlebbar. Das Schlimmste sei gewesen, so eine Zeitzeugin, daß man ihr die Würde, die Persönlichkeit genommen habe. Und heute? »Die Angehörigen haben sie mir genommen, den Schlaf, die Gesundheit, was bleibt mir noch? Ich verfluche den Tag, an dem ich das Lager verlassen habe.«