Menschenkind

Beloved

USA 1998 · 172 min. · FSK: ab 6
Regie: Jonathan Demme
Drehbuchvorlage: Toni Morrison.
Drehbuch: , ,
Kamera: Tak Fujimoto
Darsteller: Oprah Winfrey, Danny Glover, Thandie Newton, Kimberly Elise u.a.

Die Toten sind nicht verloren. Ihr Reich ist nah, so nah, daß wir sie nur zu rufen brauchen. Sie werden uns erhören, uns gehorchen.
Das Vergan­gene ist nicht verloren. Wir umarmen, wir bewahren und behüten es. Grabmäler sind Denkmäler eigent­lich, auf daß wir erinnert werden an unsere Geliebten. Wir behüten unsere Toten und bewahren sie. Wir lieben sie mehr noch als die Lebenden, eifer­süchtig, egois­tisch ohne Grund, denn sie sind uns ganz zu eigen. Was uns genommen wird, ist uns im Moment des Verlustes auch voll­s­tändig über­ant­wortet – to have and to hold – als Eigentum, in unbe­dingter Verfüg­bar­keit preis­ge­geben. Die Toten sind leben­diger noch als die Lebenden selbst, die jederzeit noch weiter­ziehen können in einem Augen­blick des Verrats. Die Toten verraten uns nicht, daher lieben wir sie – unsere Geschichte, unsere Vergan­gen­heit, unseren Verlust, unseren Schmerz, our Beloved.

Nosferatu bedeutet nicht »untot«. Nosferatu bedeutet »nicht tot«.

Beloved, ein Vampir­film von Jonathan Demme.

Ein wenig ein Horror­film natürlich auch, es gibt eine gewisse Verwand­schaft, eine Affinität zwischen diesen beiden Genres, wenn auch der Horrror, das wirklich Schreck­liche, zumeist in der Person des Jägers zu finden ist, im Moment des letzten Exor­zismus, der sich gerne als Erlösung verkleidet gibt.

Sethe hat schreck­liche Verluste erlebt, unsäg­liche Demü­ti­gungen als Sklavin auf der Plantage Sweet Home. Ein hübscher Name für die Hölle, keine Ironie (mehr), sondern schon wieder Wahrheit geworden auf brutale, surreale Art. Sethe, hoch­schwanger, wird mißhan­delt und verge­wal­tigt von den weißen Herren und man hat ihr in einem perver­tierten Akt die Milch genommen, ihr Kind zu nähren: dies scheint schlimmer als alles andere, der Grabstein ihrer Erin­ne­rung unter dem die Toten ruhelos umgehen (die Verstor­benen sind und bleiben hungrig in Demmes Reich).

Sethe kann fliehen, über den Fluß und in die Freiheit. Die Toten ziehen mit ihr, Sethe lädt sie ein, mit ihr zu leben in einem Spukhaus, in dem es nicht aushalten kann, wer zuwenig liebt oder zu ängstlich.

Der Fluß, der Missis­sippi, ist der Styx, durchaus auch histo­risch gesehen: eine Demar­ka­ti­ons­linie zwischen Leben und Tod für die versklavten Ameri­kaner und Ameri­ka­ne­rinnen, die den Ausbruch wagten. Der Fluß ist, für Sethe, der Weg in die Freiheit, in einem leck­ge­schla­genen Boot. Auch ganz konkret ein Geburtsort – ihre Tochter Denver bringt sie zur Welt im Moment der Befreiung aus der Sklaverei. Keinen Charon gibt es an diesem Ufer, sondern ein Gefühl der Soli­da­rität zwischen Frauen, eine Sister­hood. Eine Wald­läu­ferin, eine zerzaustes, rothaa­riges Naturkind schickt Demme aus, der Verfolgten zu helfen.

Später wird der Fluß Styx auf die Welt bringen, was Sethe am meisten begehrt: ihr verlo­renes Menschen­kind. Der deutsche Titel des Films, des Romans von Toni Morrison, ist irre­füh­rend. Denn was hier Gestalt annimmt in einer Regen­nacht, der Vampir, der geboren wird aus den Fluten, ist mehr als Mensch und/oder Kind, ist perso­ni­fi­zierte Vergan­gen­heit. Beloved ist Körper geworden, verkör­pert sich in der hübschen Gestalt einer jungen Frau, so alt wie Denver scheinbar, eine Schwester, eine Tochter, eine Kindfrau. Sethe nimmt sie auf in ihre Familie, home, sweet home.

Beloved ist, wie jede Vampir­ge­schichte, eine Geschichte des Begehrens, das leicht in Bereiche der Obsession spielt, dabei durchaus eine Destruk­ti­vität entwi­ckeln, außer Kontrolle läuft. Der Vampir ist hungrig. Begierig nach Leben, nach Geschichten und Liedern, saugt die Vergan­gen­heit auf, die er zugleich verkör­pert. Dennoch darf man nicht annehmen, daß eine Ungleich­heit des Begehrens bestehen könnte zwischen Vampir und Opfer. Einer nährt sich vom anderen.

Was begehrt man? Eine Frage, gestellt von Hannibal Lecter, von dem Demme zu Anfang diese Jahr­zehnts erzählte (und Beloved ist nicht so weit weg von Silence Of The Lambs, wie auf den ersten, flüch­tigen Blick scheinen könnte). Man begehrt, was man täglich sieht – aus dem Fenster zum Hof oder auch durch das Fenster der Seele, das sich in die Vergan­gen­heit, in Zeit und Geschichte öffnet.

Man kann, zwischen all dem Spuk, den Polter­geis­tern, die sich in blutrotem Licht tummeln in Sethes Haus, durchaus den Geist Lecters manchmal wahr­nehmen, aus dem Augen­winkel heraus, gerade noch um eine Ecke huschend. (Freilich hat Anthony Hopkins, der große Patriarch des ameri­ka­ni­schen Kinos, auch schon den Vampir­jäger gegeben, für Francis Ford Coppola.)

Der Vampir – our beloved – muß gejagt werden, es ist die Gemein­schaft der Frauen, die ihn austreibt jetzt, mit Liedern und auf eine sanftere, zärtliche Art und Weise, als es die Van Helsings dieser Welt je sich vorstellen könnten. Und doch: was die wahren, die wirklich großen Horror­filme auszeichnet, ist die Sympathie, die wir am Schluß für das Monströse empfinden. Beloved ist ein solcher Horror­film, Vampir­film, Liebes­film.