USA 1998 · 172 min. · FSK: ab 6 Regie: Jonathan Demme Drehbuchvorlage: Toni Morrison. Drehbuch: Akosua Busia, Richard LaGravenese, Adam Brooks Kamera: Tak Fujimoto Darsteller: Oprah Winfrey, Danny Glover, Thandie Newton, Kimberly Elise u.a. |
Die Toten sind nicht verloren. Ihr Reich ist nah, so nah, daß wir sie nur zu rufen brauchen. Sie werden uns erhören, uns gehorchen.
Das Vergangene ist nicht verloren. Wir umarmen, wir bewahren und behüten es. Grabmäler sind Denkmäler eigentlich, auf daß wir erinnert werden an unsere Geliebten. Wir behüten unsere Toten und bewahren sie. Wir lieben sie mehr noch als die Lebenden, eifersüchtig, egoistisch ohne Grund, denn sie sind uns ganz zu eigen. Was uns genommen wird, ist uns im
Moment des Verlustes auch vollständig überantwortet – to have and to hold – als Eigentum, in unbedingter Verfügbarkeit preisgegeben. Die Toten sind lebendiger noch als die Lebenden selbst, die jederzeit noch weiterziehen können in einem Augenblick des Verrats. Die Toten verraten uns nicht, daher lieben wir sie – unsere Geschichte, unsere Vergangenheit, unseren Verlust, unseren Schmerz, our Beloved.
Nosferatu bedeutet nicht »untot«. Nosferatu bedeutet »nicht tot«.
Beloved, ein Vampirfilm von Jonathan Demme.
Ein wenig ein Horrorfilm natürlich auch, es gibt eine gewisse Verwandschaft, eine Affinität zwischen diesen beiden Genres, wenn auch der Horrror, das wirklich Schreckliche, zumeist in der Person des Jägers zu finden ist, im Moment des letzten Exorzismus, der sich gerne als Erlösung verkleidet gibt.
Sethe hat schreckliche Verluste erlebt, unsägliche Demütigungen als Sklavin auf der Plantage Sweet Home. Ein hübscher Name für die Hölle, keine Ironie (mehr), sondern schon wieder Wahrheit geworden auf brutale, surreale Art. Sethe, hochschwanger, wird mißhandelt und vergewaltigt von den weißen Herren und man hat ihr in einem pervertierten Akt die Milch genommen, ihr Kind zu nähren: dies scheint schlimmer als alles andere, der Grabstein ihrer Erinnerung unter dem die Toten ruhelos umgehen (die Verstorbenen sind und bleiben hungrig in Demmes Reich).
Sethe kann fliehen, über den Fluß und in die Freiheit. Die Toten ziehen mit ihr, Sethe lädt sie ein, mit ihr zu leben in einem Spukhaus, in dem es nicht aushalten kann, wer zuwenig liebt oder zu ängstlich.
Der Fluß, der Mississippi, ist der Styx, durchaus auch historisch gesehen: eine Demarkationslinie zwischen Leben und Tod für die versklavten Amerikaner und Amerikanerinnen, die den Ausbruch wagten. Der Fluß ist, für Sethe, der Weg in die Freiheit, in einem leckgeschlagenen Boot. Auch ganz konkret ein Geburtsort – ihre Tochter Denver bringt sie zur Welt im Moment der Befreiung aus der Sklaverei. Keinen Charon gibt es an diesem Ufer, sondern ein Gefühl der Solidarität zwischen Frauen, eine Sisterhood. Eine Waldläuferin, eine zerzaustes, rothaariges Naturkind schickt Demme aus, der Verfolgten zu helfen.
Später wird der Fluß Styx auf die Welt bringen, was Sethe am meisten begehrt: ihr verlorenes Menschenkind. Der deutsche Titel des Films, des Romans von Toni Morrison, ist irreführend. Denn was hier Gestalt annimmt in einer Regennacht, der Vampir, der geboren wird aus den Fluten, ist mehr als Mensch und/oder Kind, ist personifizierte Vergangenheit. Beloved ist Körper geworden, verkörpert sich in der hübschen Gestalt einer jungen Frau, so alt wie Denver scheinbar, eine Schwester, eine Tochter, eine Kindfrau. Sethe nimmt sie auf in ihre Familie, home, sweet home.
Beloved ist, wie jede Vampirgeschichte, eine Geschichte des Begehrens, das leicht in Bereiche der Obsession spielt, dabei durchaus eine Destruktivität entwickeln, außer Kontrolle läuft. Der Vampir ist hungrig. Begierig nach Leben, nach Geschichten und Liedern, saugt die Vergangenheit auf, die er zugleich verkörpert. Dennoch darf man nicht annehmen, daß eine Ungleichheit des Begehrens bestehen könnte zwischen Vampir und Opfer. Einer nährt sich vom anderen.
Was begehrt man? Eine Frage, gestellt von Hannibal Lecter, von dem Demme zu Anfang diese Jahrzehnts erzählte (und Beloved ist nicht so weit weg von Silence Of The Lambs, wie auf den ersten, flüchtigen Blick scheinen könnte). Man begehrt, was man täglich sieht – aus dem Fenster zum Hof oder auch durch das Fenster der Seele, das sich in die Vergangenheit, in Zeit und Geschichte öffnet.
Man kann, zwischen all dem Spuk, den Poltergeistern, die sich in blutrotem Licht tummeln in Sethes Haus, durchaus den Geist Lecters manchmal wahrnehmen, aus dem Augenwinkel heraus, gerade noch um eine Ecke huschend. (Freilich hat Anthony Hopkins, der große Patriarch des amerikanischen Kinos, auch schon den Vampirjäger gegeben, für Francis Ford Coppola.)
Der Vampir – our beloved – muß gejagt werden, es ist die Gemeinschaft der Frauen, die ihn austreibt jetzt, mit Liedern und auf eine sanftere, zärtliche Art und Weise, als es die Van Helsings dieser Welt je sich vorstellen könnten. Und doch: was die wahren, die wirklich großen Horrorfilme auszeichnet, ist die Sympathie, die wir am Schluß für das Monströse empfinden. Beloved ist ein solcher Horrorfilm, Vampirfilm, Liebesfilm.