The Menu

USA 2022 · 108 min. · FSK: ab 16
Regie: Mark Mylod
Drehbuch: ,
Kamera: Peter Deming
Darsteller: Anya Taylor-Joy, Ralph Fiennes, Nicholas Hoult, John Leguizamo, Janet McTeer u.a.
Filmszene »The Menu«
»Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!«
(Foto: Disney)

Auch der Sklave muss sterben, um die Sklaverei zu beenden

Mark Mylods mit tiefschwarzem Humor und Horrorelementen gespickte Abrechnung mit der Haute Cuisine ist zwar schwer verdauliche Kapitalismuskritik, schmeckt aber hervorragend

Essen im Auftrag poli­ti­scher Agitation ist natürlich ein alter Hut, ange­fangen bei den großen Stumm- und Slap­stick­klas­si­kern über Marco Ferreris Das große Fressen (1973) oder in den letzten Jahren so eloquente und wütende Beispiele wie der No-Budget-Hit Cook off aus Zimbabwe, Bong Joon-Hos Parasite, Louis-Julien Petits Die Küchen­bri­gade oder, gerade noch in den Kinos, Ruben Östlunds Triangle of Sadness, in dem ja nicht nur im Mittel­teil gegessen wird, um zu kotzen, und damit über­spitzt klar gemacht wird, dass die Welt nun mal zum Kotzen ist, sei sie links oder rechts, reich oder arm.

Wem dies dann doch zu seicht oder breit­bandig post­mo­dern ist, dem sei Mark Mylods The Menu ans Herz gelegt, oder besser: als cine­as­ti­sche Haupt­mahl­zeit empfohlen, denn hier wird nicht nur ein Schiff­bruch des Reichtums riskiert, sondern eine psycho­lo­gisch weitaus diffe­ren­zier­tere und radi­ka­lere Lösung der gegen­wär­tigen, neoli­be­ralen Diktatur und ihrer tumor­ar­tigen Auswüchse empfohlen.

Eigent­lich mit Alexander Payne als Regisseur und Emma Stone in der Haupt­rolle geplant und auf einem Drehbuch aus der legen­dären Blacklist der besten unver­filmten Dreh­bücher Holly­woods basierend, scheint die Umdis­po­nie­rung der Regie auf Mark Mylord – der davor als Regisseur und Produzent an der von Adam McKay mitpro­du­zierten preis­ge­krönten Serie Succes­sion mitge­ar­beitet hatte – und Anya Taylor-Joy (Amsterdam, Das Damen­gambit) in einer der Haupt­rollen keinerlei Schaden ange­richtet zu haben.

Eher im Gegenteil. Denn ähnlich scharf und einer Versuchs­an­ord­nung gleich wie in den besten Adam McKay-Filmen (The Big Short), wird auch in The Menu nicht nur mit Worten scharf geschossen, sondern über das Thema, in diesem Fall über die Haute Cuisine ein unheil­barer gesell­schaft­li­cher Tumor mit scharfen Messern bloß­ge­legt und mit gnaden­loser Wucht entfernt.

Dafür schickt Mylod die junge Margot (Anya Taylor-Joy) nicht auf eine Luxus­jacht, sondern in ein ähnlich klaus­tro­pho­bisch-kammer­spiel­artig ange­legtes Refugium, auf eine Insel, die nur eins beher­bergt, das Haute Cuisine-Restau­rant von Chefkoch Slowik (Ralph Fiennes), in dem sich an diesem Tag, nicht anders als auf Östlunds Luxus­jacht, auch noch ein paar andere reiche und berühmte Menschen einfinden, um zu lernen, dass es in dieser Umgebung nicht um das Essen, sondern um das Schmecken geht. Schnell wird deutlich, dass Margot die einzige Person in diesem Umfeld ist, die einer anderen Gesell­schafts­schicht entstammt und mit der von Slovik langsam in Fahrt gebrachten Palast­re­volte eigent­lich nichts zu tun hat. Anders als ihr Partner, der ihr die Einladung beschert hat, der Fein­schme­cker-Nerd Tyler (Nicholas Hoult), der wie fast alle Anwe­senden mit den kleinen und großen Geheim­nissen seiner eigenen Doppel­moral konfron­tiert wird.

Damit wird auch klar, dass Mylod hier ein gesell­schaft­li­ches Panop­tikum gegen­wär­tiger global-wirt­schaft­li­cher und kultur­po­li­ti­scher Macht­struk­turen an den Tisch gesetzt hat, das sich über seine Tisch­ge­spräche selbst entlarvt und den gesell­schaft­li­chen Umbruch Menü-Gang für Menü-Gang unaus­weich­li­cher erscheinen lässt.

Ähnlich wie Bong Joon-Ho operiert auch Mylod am offenen Herzen, wirft Jump-Scares mit schwär­zestem Humor in einen Topf, seiht aber beides immer wieder geschickt gegen­ein­ander ab und kreiert damit ein unnach­ahm­li­ches, komplexes Gericht, das nicht an der simplen Täter-Exegese haltmacht, sondern noch einen Schritt weiter­geht, indem es dezidiert und ernüch­ternd auch auf die Opfer­frage fokus­siert und fragt, ob eine Revo­lu­tion wirklich ausreicht, um die Welt zu ändern, es nicht vielmehr nötig ist, dass auch die Revo­lu­ti­onäre sterben müssen, dass auch der Sklave sterben muss, um die Sklaverei zu beenden, verhin­dert man doch nur so die auf beiden Seiten inter­na­li­sierten hier­ar­chi­schen Macht­struk­turen.

Wie McKay verpackt auch Mylod seine Botschaft in eine funken­s­prühende filmische Anordnung, die nicht nur inhalt­lich, sondern auch filmäs­the­tisch (Kamera: Peter Deming) bis zur letzten Minute Spaß macht und nicht zuletzt auch auf der aller­tiefsten, aller­sinn­lichsten, der kuli­na­ri­schen Ebene, funk­tio­niert, die durch die beratende Funktion der mit drei Michelin-Sternen ausge­zeich­neten fran­zö­si­schen Chef­köchin Dominique Crenn ermö­g­licht wurde, und so perfekt insze­niert ist, dass die gefähr­lich vor sich hinblub­bernde scharfe Moral der Geschichte dabei nur allzu gern in Verges­sen­heit gerät und dem Zuschauer im Selbst­ver­such das wider­fährt, was keiner gern zugibt: dass am Ende jeder von uns korrum­pierbar ist.