Aschenputtel aus Harare |
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Kochen heißt nicht nur Essen, sondern auch Selbstermächtigung – Tendaiishe Chitima in Tomas Lutuli Brickhills Cook Off | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
Es ist eine dieser Geschichten, die American-Dream-treue Amerikaner gern erzählen. So wie die vom Tellerwäscher, der es zum Millionär gebracht hat. Oder der Prostituierten in Gary Marshalls Pretty Woman (1990), die vom reichen Geschäftsmann »erkannt« und »erlöst« wird. Alles Geschichten, die im Kern natürlich nichts anderes sind als eine Variation des alten Grimm'schen Märchens vom »Aschenputtel« (1812) und Charles Perraults »Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre« (1697). Aber diese Geschichte aus Zimbabwe?! Dem Land von Robert Mugabe, dem Präsidenten mit seinen Geistern, der vom Befreiungshelden zum unheimlichen Diktator mutierte und sein Land in den wirtschaftlichen und politischen Abgrund riss, bis er dann 2017 entmachtet wurde und schließlich letzten September in Singapur im Alter von 95 Jahren starb? Ja, genau, dieses Zimbabwe! Und so überraschend ist das ja eigentlich auch nicht, wenn man mal genau hinsieht, ist ja schon Mugabes Lebensgeschichte fast so etwas wie die Erlösungsgeschichte eines Aschenputtel, wenn auch eine ohne Happy End.
Dass Zimbabwe aber auch zu Geschichten mit Happy End fähig ist und wie Hollywood das Thema »Aschenputtel« bedienen kann und sich dabei auch noch doppelbödig selbst übertrifft, zeigt Tomas Lutuli Brickhills Cook Off. Brickhill, der bis 2017 für das gerade ausgelaufene Zimbabwe-Format des Koch-TV-Spektakels »Top Chef« zuständig war, unterfütterte die Live-Sendung erzählerisch mit klassischen Aschenputtel- und modernen Pretty Woman-Elementen und fand mit Joe Njagu einen Produzenten, der gerade mal 8.000 Dollar auftrieb und damit den Dreh ins Rollen brachte. Und er fand renommierte Schauspieler, die auf ihre Gagen verzichteten, die mit abgekochtem Leitungswasser und Stromausfällen zurechtkommen mussten und durch Tränengasattacken der Polizei gehandicapt waren, da die Dreharbeiten 2017 während des letzten Aufbäumens der Mugabe-Regimes stattfanden.
Was schließlich aus dem Schneideraum kam, war eine völlig überzeugende Liebeskomödie, ein Feelgood-Movie über die alleinerziehende Mutter Anesu (Tendaiishe Chitima), die sich mehr schlecht als recht durch den strapaziösen Alltag einer modernen afrikanischen Großstadt schlägt und die erst durch die von ihrem kleinen Sohn angeregte Teilnahme bei dem TV-Format »Battle of the Chefs« nicht nur ihre Rolle als Frau, sondern auch ihr Berufsbild als Köchin in einer der zahlreichen Garküchen Harares zu hinterfragen beginnt. Dass sie dabei auch noch ihren »Prinzen« findet, ist angesichts des Genres alles andere als überraschend. Doch Brickhill zeigt weit mehr als die Selbstermächtigung eines Aschenputtels.
Über Anesus Konkurrenten im Kochwettbewerb und ihr familiäres Umfeld in einem prekären Vorort Harares zeigt Brickhill auch eine zerrissene Gesellschaft, in der eine korrupte, offensichtlich stark »verwestlichte« Elite gnadenlos um ihre Vorteile kämpft und Rechtssicherheit nicht einmal auf schulischer Ebene garantiert werden kann. Brickhill stellt diese ernüchternden Fakten in den Kontext präziser Alltagsbeobachtungen, in denen vor allem über das Kochen und das Essen ein faszinierendes Gesellschaftsporträt entsteht, nicht viel anders als in »Koch«-Klassikern wie Gabriel Axels Babettes Fest (1987), Alfonso Araus Bittersüße Schokolade (1992) oder Ang Lees Eat Drink Man Woman (1994) – ein Porträt, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es endlich einmal eine Geschichte aus Zimbabwe jenseits der drei »K« (Kriege, Krankheiten, Katastrophen) erzählt und sich damit erfolgreich in eine Reihe von innovativen, das bestehende »K-Paradigma« hinterfragende Produktionen wie Queen Sono, Atlantique oder Félicité einreiht.
Doch der Überraschung nicht genug. Denn so wie die (Erfolgs- und Aschenputtel-) Geschichte, die Brickhill in seinem Film erzählt, so hat sich auch sein Film selbst in ein Märchen mit Happy End verwandelt. Über die bescheidene »Kinopremiere« auf der Dachterrasse des New Ambassador Hotels in Harare, Festivalteilnahmen- und Preise in Rotterdam, Seattle, Durban und Houston, begannen sich die so innovativ wie großartig die Kinokultur im südlichen Afrika verbreitenden, solarbetriebenen Sunshine Cinemas für den Film zu interessieren und ermöglichten einen bescheidenen Kinostart in Südafrika, Zambia, Botswana und Zimbabwe.
Aber weder davon noch von der Kinoauswertung in England im Sommer 2019 konnte Brickhill seinen Cast bezahlen. Bis dann, als die Welt sich schon im Lockdown befand, der alle und jeden verführende »Prinz Netflix« an die Tür klopfte und »Cook Off« ab dem 1. Juni 2020 als ersten »Netflix-Film« aus Zimbabwe in seinen Katalog aufnahm, um damit alle Beteiligten, ja fast das ganze Land, in einen kollektiven Rausch zu stürzen, der größer kaum hätte sein können.
Ein Rausch, der anders als jener nach der Befreiung des Landes durch Robert Mugabe, ein Happy End hat, mit dem die Zimbabwer eine Weile wohl auch ganz gut leben werden können, denn mit »dunklen Prinzen« haben sie seit Mugabe und einmal mehr durch ihren neuen Präsidenten Emmerson Mnanagagwa ja ihre Erfahrungen. Und passen dann Aussagen wie etwa die von Netflix' Deutschland-Chef Kai Finke auf der letzten Berlinale (»Die einzige Konkurrenz, die wir noch haben, ist die Sonne«) oder jene auf dem Münchner Seriencamp-Festival 2019 (»Einziger Konkurrent ist der Schlaf«) gut in den politischen Erfahrungshorizont eines Landes, das sehr gut weiß, dass jeder Despot, ob schwarz oder weiß, am Ende auch wieder abdanken muss und gegen die anarchischen Träume einer ganzen Gesellschaft, so wie in Brickhills Film, nun mal kein Kraut gewachsen ist.
Cook off (Zimbabwe 2017, 100 Min.)
Regie: Tomas Brickhill