Frankreich/I 2001 · 95 min. Regie: Catherine Breillat Drehbuch: Catherine Breillat Kamera: Yorgos Arvanitis Darsteller: Anaïs Reboux, Roxane Mesquida, Libero De Rienzo, Arsinée Khanjian u.a. |
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Zwei Schwestern |
Eine scheinbar einfache Geschichte von zwei ungleichen Schwestern in den Ferien: die 13-jährige dicke Anaïs und ihre zwei Jahre ältere Schwester Elena, vampmäßig aufgestylt. Die Attraktive gabelt sich den Italiener Fernando auf, einen Jura-Studenten, der ganz im Stil eines Urlaubsgigolo auftritt. Den bestellt Elena zum nächtlichen Rendezvous in das Zimmer im Ferienbungalow, das sie mit ihrer Schwester Anaïs teilt. Die wird so widerwillige Zeugin der Entjungferung Elenas.
Die Ferienromanze endet abrupt, als die Mutter des Lovers bei Elenas Mutter einen Ring zurückfordert, den Fernando Elena als Verlobungsring schenkte, was noch vor der Entjungferung stattfand. Die darauf unverzüglich angetretene Heimreise der beiden Schwestern und ihrer Mutter im Auto verläuft in Katastrophen-Stimmung, die beim Halt an einer Raststätte in bitterböse Realität umschlägt.
Das Szenario von Catherine Breillats Film À ma soeur! ist von irritierender Nüchternheit geprägt. Die schablonenhafte Zeichnung des physischen Gegensatzes zwischen den Schwestern, die klischeehaft verständnislosen Eltern, die öde Stimmung in der Ferienresidenz: Breillats Inszenierungsstil zeugt wie in Romance von kühl kalkulierter Thesenhaftigkeit. Aber hatte man dort das Gefühl, einer sterilen Versuchsanordnung, einem klinischen Experiment beizuwohnen, so ergibt sich hier der Eindruck einer vor allem atmosphärisch überzeugenden verstörenden Pubertätsstudie.
Es liegt insbesondere am harten Licht der Atlantikküste, das die Bilder dieses Films kennzeichnet. Es verhilft dem kühlen Schematismus der Breillat'schen Inszenierung nämlich zu einer natürlichen, fast poetischen Wirkung, zu einer Sprödigkeit der Atmosphäre, die das intellektuelle Kalkül der Konzeption und die frostigen emotionalen Verhältnisse eine eindringliche Einheit bilden läßt. Selbst aus der an manchen Stellen papierenen Beredsamkeit der Figuren spricht die tiefere Wahrheit einer Unangemessenheit, die den geschilderten Momenten der Peinlichkeit eine umso quälendere Authentizität verleiht. Breillats Film zeigt damit mehr, als es einem aufrichtig bemühten und gut gemeinten Realismus möglich wäre, zeigt am Ende gar, wie der Einbruch der Sexualität in den wohlgehüteten Privatbereich der bürgerlichen Familie mit dem fantasmagorischen Einbruch des womöglich Teuflischen in Beziehung gesetzt wird.
Filmhistorisch wäre Catherine Breillat hier in bester Nachbarschaft: eine Nähe zu Robert Bresson verrät À ma soeur! schon mit seinem nüchternen Stil eines poetischen Materialismus.