Mein Totemtier und ich

Totem

Niederlande/L/D 2022 · 97 min. · FSK: ab 6
Regie: Sander Burger
Drehbuch: ,
Kamera: Sal Kroonenberg
Darsteller: Amani-Jean Philippe, Ole van Hoogdalem, Lies Visschedijk, Ilias Ojja, Emmanuel Boafo u.a.
Filmszene »Mein Totemtier und ich«
Mit Magie gegen das Böse...
(Foto: farbfilm)

Nachhilfe in Realität

Sander Burger erzählt mit magischem Realismus und aus Kinderaugen souverän und fantasievoll von Migration, Assimilation und Abschiebung

Die Welt, in der wir leben, ist nicht einmal für Erwach­sene so ganz zu verstehen. Warum werden etwa immer wieder in Ausbil­dung stehende und nahezu perfekt assi­mi­lierte Flücht­linge plötzlich abge­schoben und manchmal auf Proteste von Arbeit­ge­bern, Freunden oder Sozi­al­ar­bei­tern im letzten Moment doch vor der Abschie­bung gerettet oder manchmal auch nicht?

Die recht­li­chen Verstri­ckungen, poli­ti­schen Hier­ar­chie­ebenen und simpelste poli­ti­sche Symbol­po­litik tun ihr Übriges, dieses Dickicht noch undurch­dring­li­cher zu gestalten. Die beste Aufklärung zu diesen Themen gibt es erstaun­li­cher­weise nicht in der tages­po­li­ti­schen Presse, sondern im Kinder­film­be­reich. Sei es über Kinder­nach­rich­ten­for­mate wie logo! oder Checker Tobi und natürlich durch einen der gelun­genen Kinder­filme, die auch ins Kino kommen, so wie etwas der deutsche Film Sieger sein.

Oder der hollän­di­sche Film Mein Totemtier und ich von dem an der Elfen­bein­küste geborenen, nieder­län­di­schen Regisseur Sander Burger, der in seinem Film ganz ähnlich wie Soleen Yusef in ihrem Sieger sein die so wichtigen Themen wie Identität, Herkunft und Ausgren­zung behandelt. Doch anders als bei Yusef kommt bei Burger auch noch das schwie­rige Thema der Ille­ga­lität und Abschie­bung hinzu, das in seiner trau­ma­ti­sie­renden, für Kinder wie für Erwach­sene (siehe oben) oft nur schwer nach­zu­voll­zie­henden Art von Burger ins Zentrum seines Films gestellt wird.

Denn anders als die in Berlin lebende Familie in Sieger sein ist die in Mein Totemtier und ich porträ­tierte Familie illegal und ohne Papiere in Holland. Deshalb weiß die elfjäh­rige Ama (Amani-Jean Philippe) auch, dass sie sowohl im Schwimm­un­ter­richt, wo sie sich wegen ihres Talents auf einen Wettkampf vorbe­reiten darf, als auch in der Schule oder sonst wo bei Adress­nen­nungen vorsichtig verhalten und vor allem: niemals zur Polizei gehen soll.

Deshalb taucht sie dann auch unter, als ihre Familie wegen eines Wasser­scha­dens auffliegt und Mutter und Schwester in Abschie­be­haft geraten und Ama sich auf die verzwei­felte Suche nach ihrem Vater macht, der, weil auf Arbeit, ebenfalls unter­ge­taucht ist.
Diese Odyssee durch die Rotter­damer Nacht- und Tagwelt steht im Zentrum von Burgers Film. Um auch die kleineren Zuschauer mit ins Boot zu holen und allzu sozi­al­rea­lis­ti­sche, »erwach­sene« Momente wie etwa die Migranten- und Rassismus-Tristesse in Ken Loachs The Old Oak oder die nüchterne Bruta­lität von Florian Dietrichs Abschiebe-Drama Toubab abzu­fe­dern, hat sich Burger für Elemente des magischen Realismus entschieden, um seine Heldin und die jüngeren Zuschauer zu schützen. Das ist in Amas Fall ein großes Stachel­schwein, das ihr auf Flucht und Suche zur Seite steht, und es ist ihr bester Schul­freund Thijs (Ole van Hoogdalem), der ausge­rechnet auch der Sohn der Poli­zistin ist, die sie sucht.

Das Hin und Her zwischen Ama und ihren Helfern ist aller­dings nicht immer ausge­wogen insze­niert und mit einer etwas aufge­setzt span­nungs­ge­la­denen Handlung verwoben, die dennoch unnötige Längen besitzt. Vor allem, wenn Burger die Iden­ti­täts­frage über einen sene­ga­le­si­schen Griot etwas zu didak­tisch und mit schwer­fäl­ligen Dialogen zu stellen versucht, denen die Schau­spieler hier, aber auch in anderen Szenen, nicht immer gewachsen sind.

Doch diese Momente sind schnell vergessen, denn wie in den meisten Kinder­filmen üblich, ist drama­tur­gisch letzt­end­lich auch hier weniger die Identität wichtig, als die Unter­s­tüt­zung durch die eigene Peer-Group und Eltern, die sich eines Besseren besonnen haben. Und Burger gelingt es dann auch, seine etwas ausla­denden Lehr-Passagen und holprigen Hand­lungs­ebenen am Ende souverän zusam­men­zu­führen und zu einem geglückten Abschluss zu bringen, der vor allem eine Nach­hil­fe­stunde in Sachen Migra­tions-Realität ist, die Kinder (und Erwach­sene) nur selten so klar vorge­führt bekommen.