Als das Meer verschwand

In My Father's Den

Neuseeland/Großbritannien 2004 · 126 min. · FSK: ab 12
Regie: Brad McGann
Drehbuch:
Kamera: Stuart Dryburgh
Darsteller: Matthew MacFadyen, Miranda Otto, Emily Barclay, Colin Moy, Jimmy Keen u.a.
Celia träumt von der Flucht aus der Enge der Provinz

Heimkehr und Aufbruch

Eine Heim­keh­rer­ge­schichte. Paul ist ein berühmter Kriegs­fo­to­graf. Eigent­lich will er nur ein paar Tage bleiben, denn mit dem neuseelän­di­schen Kaff, in dem er einst aufwuchs, hat er nichts mehr zu tun, mit seiner Familie hatte er keinen Kontakt, seitdem er die Klein­stadt nach dem Tod er Mutter über Nacht verließ. Und wie wenig ihm alles bedeutet, sieht man schon daran, dass er zur Beer­di­gung des Vaters zu spät gekommen ist.

Auch das Verhältnis zu seinem Bruder Andrew ist sichtbar gestört, und so begreift der Zuschauer sofort, dass einst etwas vorge­fallen sein muss, ahnt, dass die Vergan­gen­heit dunkle Geheim­nisse birgt. Die Geschichte ihrer Enthül­lung ist die Geschichte dieses Films, dessen Kern sich um die Dialektik von Welt­läu­fig­keit und Provinz und um die Bedeutung von Heimat/Herkunft/Familie im Verhältnis zu Freiheit/Indi­vi­dua­lität/Neugier dreht.

Paul bleibt länger, er räumt die alte Hütte seines Vaters – auf die der Origi­nal­titel In My Father’s Den verweist – aus: Mit Büchern, Platten und Wein­fla­schen voll­ge­stopft war sie der Rück­zugsort des Vaters vor der selbst­ge­rechten bigotten Mutter. Paul trifft auch seine Jugend­liebe wieder, und Celia, deren Tochter, sucht seine Nähe, weil er für sie all das reprä­sen­tiert, was sie selber spürt: Mut, Aufbruch, Sehnsucht danach, die Enge der Provinz hinter sich zu lassen und Neues zu entdecken. Celia will Schrift­stel­lerin werden und nach Europa reisen, Paul unter­s­tützt sie dabei. Zugleich beginnt er zu vermuten, Celia könnte seine Tochter sein. Die bornierte Klein­stadt­ge­sell­schaft betrachtet diese ungleiche Freund­schaft miss­trau­isch. Und als dann Celia plötzlich verschwindet, gerät Paul in Verdacht, damit etwas zu tun zu haben. Doch das Geschen ist nur Auslöser für die Enthül­lung noch unan­ge­neh­merer Geheim­nisse.

Regisseur und Dreh­buch­autor Brad McGann verbindet Fami­li­en­drama und Thril­le­r­ele­mente. Als das Meer verschwand ist viel­schichtig, spannend und bewegend. Stilis­tisch an den austra­li­schen Film Somer­sault erinnernd, der auch von den unan­ge­nehmen Seiten der dortigen Provinz handelte, unter denen in beiden Fällen ein junges Mädchen am stärksten leidet, ist dies ein einfühl­samer, sensibel in subtilen Andeu­tungen und immer wieder durch lange Rück­blenden erzählter, poeti­scher Film, der auf die Frage nach dem Sinn von Wahrheit keine einfachen Antworten gibt. Der Film gibt weder Paul noch den Dorf­be­woh­nern recht. Nur eines ist am Ende klar: Auch Familie und Heimat, jene Mikro­kosmen, die Tradi­tio­na­listen gern als letzter Ort sozialer Wärme in einer kühlen Welt erscheinen, können schreck­lich kalt sein.