USA 2010 · 107 min. · FSK: ab 6 Regie: Julie Anne Robinson Drehbuch: Nicholas Sparks, Jeff Van Wie Kamera: John Lindley Darsteller: Miley Cyrus, Greg Kinnear, Bobby Coleman, Liam Hemsworth, Hallock Beals u.a. |
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Miley ... komponiert |
Ich gebe zu: Meine Tochter ist Hannah-Montana-Fan. Ich selbst hasse Hannah Montana. Hannah Montana ist in meinen Augen nichts anderes als ein mit Kalkül auf den Markt geworfenes Pop-Püppchen aus der Walt-Disney-Produktewelt, das sich in der Form von Postern, Weckern, Pulswärmern, Kettchen, T-Shirts und Hausaufgabenheften über mein Kind hermacht. Wenn schon für mich bislang überhaupt etwas erträglich war, dann zur allerletzten Not noch die weichgespülten Hannah-Montana- bzw. Miley-Cyrus-Songs. Es hat zugegebenermaßen etwas länger gedauert, bis mir der Unterschied zwischen Hannah Montana und Miley Cyrus klar wurde und ich kapiert habe, dass es eine Fernsehserie namens »Hannah Montana« gibt, in der – ganz ähnlich wie bei Batman – sich die Star-Sängerin Hannah Montana im »normalen« Leben als Schulmädchen Miley Stewart tarnt. Für mich äußerst verwirrend war, dass diese auch im »echten« Leben Miley heißt – Miley Cyrus. Und noch verwirrender ist es, dass sich Miley sich erst aufgrund ihrer »Hannah Montana«-Rolle »Miley« nennt (vorher hatte sie den tollen Vornamen Destiny Hope). Das alles ist so aufregend und so verwirrend, dass Destiny Hope aka Miley Cyrus im zarten Alter von siebzehn ihre Biographie veröffentlichte: »Miles to go«.
Während ich mich bemühte, diese schwierigen Identitätsprobleme zu durchschauen, versuchte ich bei jeder »Enthüllung« mein Entsetzen über die Produkthaftigkeit von HM Ausdruck zu verleihen, von der sich ja Miley Cyrus durch die Namensadaption nur unwesentlich unterschied. Aber wie es immer ist: Man kann noch so viel versuchen, lästige Idole aus den Gehirnen von achtjährigen, an sich sehr gescheiten und vernünftigen Mädels zu verbannen – man scheitert. Wie ich zuletzt mit dem Besuch des wunderbaren Films Hier kommt Lola!, der aus meiner Tochter zwar einen »Lola«-Fan gemacht hat, aber Hannah Montana nicht ablösen konnte. Und dann bekommt man plötzlich eine Pressemitteilung, die das Problem aus der Welt zu schaffen scheint. »Hannah Montana« werde nach der letzten Staffel eingestellt, so die für mich freudige Botschaft, Miley Cyrus möchte überhaupt das Hannah-Montana-Image ablegen, ja sogar als »Miley Cyrus« mit dem Singen aufhören und fortan nur noch Schauspielerin sein! Bis dahin hatte ich innerlich gehofft, das dies das Ende aller Kinderzimmerverzückung sein möge. Doch dann kam es: Schon diesen Sommer werde sie in der »emotionsgeladenen Verfilmung« des neuesten Nicholas-Sparks-Bestsellers zu sehen sein, dessen Bücher sich allein in Deutschland »über 15 Millionen Mal«, so die Jubelbotschaft der Presseagentur, verkauft hätten. Der Titel des Films: Mit dir an meiner Seite. Der Inhalt: »Eine wunderschöne Geschichte über Familie und Freundschaft, das Erwachsenwerden, die erste Liebe und zweite Chancen im Leben« (Verleihtext). Der Trailer: Rumgeflirte auf dem Rummel, Rumgeknutsche bei Sonnenuntergang, Rumgeschiebe beim Tanzen – die erste Liebe, allen Ernstes. Mit Romantik-Garantie.
Nicht nur, dass mir meine Tochter beim Arbeiten gerne mal über die Schultern schaut und sie natürlich sofort mitbekommen hat, dass es einen Film mit Miley Cyrus geben wird, wurde Mit dir an meiner Seite schon bald Pausenhof-Gesprächsthema Nummer eins. Dann wurde mein Kind – zum Glück – nicht auf den Geburtstag einer Klassenkameradin eingeladen, der darin bestanden hätte, sich gemeinsam den Film im Kino anzusehen. Eine Tatsache, die mich zu dem – ich gebe es zu – unnötig spontanen Kommentar verleitete: »Die hat ja wohl 'nen Dachschaden« (womit ich die Mutter des Geburtstagskindes meinte). Woraufhin meine Tochter, schlau, schlau, sagte: »Soll ich Anastasia sagen, was du über ihre Mutter gesagt hast?« – Oh nein, ich habe mich nicht erpressen lassen von meinem Kind. Aber Fakt ist: Eine Woche später saß ich, mit dir an meiner Seite, mein Töchterchen, in dem Miley-Cyrus-Film, der im Original ganz anders heißt, nämlich: The Last Song.
Wie immer, wenn man eine Welt betritt, in der man sich nicht so gut auskennt, wurde ich erst einmal überrascht. Der Film begann nämlich ganz und gar schwarzgallig. Miley Cyrus alias Ronnie gebärdet sich als schmollend-schlechtgelaunter Teenager, der mit schwarzen Springer-Boots, ebenso schwarzen Jeans und einem grauen T-Shirt mit verächtlichem »Ich hab echt keinen Bock auf euch«-Blick den hellweißen Strand durchpflügt, auf dem gerade eine Gruppe Sunnyboys mit nacktem Oberkörper dem Volleyball hinterherhüpft. Ganz Verachtung, lässt sie nicht nur den gelackten Spieler Will, sondern zu Hause auch ihren Vater abblitzen, bei dem sie die Sommerferien verbringen soll. Der Grund für ihr Schmollen: Ihr Vater hat die Familie und damit Ronnie verlassen, vor vielen Jahren, weshalb sie nicht nur trotzig ihr Musiktalent wegeworfen hat, das sie ihm verdankt, sondern diesen auch insgesamt ablehnt: Seine Briefe nie gelesen hat. Mit ihm, jetzt, im Haus am Strand, nicht spricht. Und ihm, als sie mal spät abends nach Hause kommt, den – wie sich herausstellen wird – einzigen witzigen Satz des Films an den Kopf wirft: »Wegen mir musst du nicht aufbleiben, ich bin über zwölf.«
Mit Teenager-Rebellion beginnt der Film, mit Liebe, die sanft macht und zähmt, geht es weiter. Beim ersten Kuss zwischen Ronnie und Will (gespielt von Liam Hemsworth, der, wie mir meine Tochter nach dem Film erzählt, und jetzt kommt’s – Überraschung! – auch im »echten« Leben mit Miley liiert ist) darf die Kamera dann sich ein wenig in Kunst à la Ballhaus üben, während die Sonne überm Meer untergeht und sich die zwei Liebenden als Doppelsilhouette umschlingen. Seufz! Großartiger Kitsch! Genau wie erwartet. Was mach ich nur mit meiner Tochter, die das Paar kommentiert: »Er ist so groß, und sie ist so klein!« Ich sehe meine Tochter an, die halb im Kinosessel verschwindet, und denke mir: Mein Kind ist so klein, und die Leinwand so groß! Wie nur, um alles in der Welt, geht der Film wohl weiter?
Interessanterweise nimmt der Film dann eine völlig unerwartete Wendung. Alles, was er bis dahin aufgebaut hatte, wird niedergerissen. Der zunächst noch zum Märchenprinzen stilisierte Will, der mit seinen Eltern in einer bombastischen Villa wohnt (Ronnie, begeistert: »Du bist reich?«), wird fortan von Ronnie auf schärfste hinterfragt (»deine Eltern leben nicht und nehmen dir dein eigenes Leben«). Der ganze Film schwenkt um von der märchenhaften Romanze zum krassen Familiendrama, und ausgerechnet da, als Ronnie, durch die Liebe zu Will besänftigt, beginnt mit ihrem Vater wirklich zu sprechen und wieder Klavier zu spielen. Erzählerisch wird dem Film alles entrissen, was er bislang in der Hand gehabt hatte, und die große Katastrophe bricht über ihn hinein: Ronnies Papa ist an Krebs erkrankt, und er wird sterben. Und wir dürfen ihn bis zu seinem Tod begleiten und mit ihm Ronnie, die sich um ihn kümmert. Aufopferungsvoll, tapfer und ganz allein, weil sie Will aus verschiedenen Gründen, die mit einem Geheimnis zu tun haben, verlassen hat. Da gibt es schwere Dialoge, der Tod kommt, der Vater stirbt, nicht bevor aber Ronnie das Lied, das er aufgrund seiner Krankheit nicht mehr zu Ende bringen konnte, für ihn fertig komponiert, das letzte Lied, mit seiner Widmung »Für Ronnie«.
»Die weinen alle!«, flüsterte mir meine Tochter irgendwann zu. Und was wurde geweint! Nicht so sehr auf der Leinwand. Vor allem im Kinosaal schluchzten die Mädchen, Kinder wie Teenager. Und dies aber nicht nur wegen der relativ dezenten Hollywood-Manipulation durch geschickt eingesetzte Musik (die nicht sonderlich emotional, sondern eher leitmotivisch war), sondern wirklich und wahrhaftig wegen des äußerst schweren Themas, das so völlig unvorhergesehen in den Film hineinbrach und ganz von der Handlung Besitz nahm. Meine Tochter neben mir versteckte sich unter ihrem Tuch, präpubertierende Teenager wurden von ihren Müttern aus dem Saal geführt, die kleineren Kinder schluchzten hemmungslos. Und ich dachte mir: Krass. Das ist ja fast wie bei Lars von Triers Dancer in the Dark, wo der Zuschauer gnadenlos durch den Fleischwolf des Drehbuchs getrieben wird. Und: Interessant. Was die Produzenten, allen voran Miley-Mutter Tish Cyrus, dem Zielgruppenpublikum zumuten! Waren die Miley-Fans nicht in diesen Film gekommen, um Miley ganz groß zu sehen, in einer tollen Liebesgeschichte im Sommer am Strand, und jetzt müssen alle durch die schwerste aller Erfahrungen gehen, und erleben, wie es ist, wenn die Eltern sterben? – Miley hält dann zuguterletzt auch noch die Trauerrede, spielt das letzte Lied ihres Vaters bei dessen Begräbnis. Am Ende versöhnt sie sich mit Will, in einer schnellen und letzten Szene, mit einem lapidaren Dialog – und dann ist auch schon der Film aus. »Ich dachte, dass der Film glücklich endet. Aber er war so traurig!«, sagte meine Tochter, als der Abspann kam. Und mit ihm endlich ein Miley-Cyrus-Song, der erste des Films: »The last song«.
Ich bin jetzt zwar immer noch eine Hannah-Montana-Hasserin, aber Miley Cyrus finde ich nicht mehr sooo schlecht. Und zwar allein deshalb, weil der Film so völlig an seinem Ziel vorbeigeschossen und meine schlimmsten Erwartungen eben nicht erfüllt hat. Denn das ist schon ganz schön wagemutig: den Film schwarzgallig anzufangen und Miley Cyrus als Teenager zu präsentieren, der einzelgängerisch ist und nicht beliebtester Teen von allen, und nach einem kurzen romantischen Intermezzo, bei dem der Geliebte durchaus auf seine Werte abgeklopft wird, in einem ganz und gar ernstem Thema zu enden. Das alles ist um mehr als eine Nummer zu groß geraten, und, ich fasse es nicht, ganz und gar am Zielpublikum vorbei: Auf die Formel gebracht, ist Mit dir an meiner Seite ein Film, in dem ein gegen Gesellschaft und Familie rebellierender Teenager Läuterung findet, und zwar durch nichts weniger als Liebe, Krankheit und Tod. Interessant ist dabei die PR-Strategie: Worum der Film wirklich handelt, wird verklausuliert und verschwiegen (»hochemotionales Familiendrama«). Hauptsache, die Zuschauerzahlen stimmen. Und wie gut, dass meine Tochter nicht bei irgendeiner Geburtstagseinladung in der Erwartung an einen netten, unterhaltsamen Miley-Film The Last Song gesehen hat. Sondern mit mir an ihrer Seite. So dass wir hinterher reden konnten.