Moonrise Kingdom

USA 2012 · 98 min. · FSK: ab 12
Regie: Wes Anderson
Drehbuch: ,
Kamera: Robert D. Yeoman
Darsteller: Bruce Willis, Edward Norton, Bill Murray, Frances McDormand, Tilda Swinton u.a.
Erwachsener Kinderfilm für Erwachsene

Im Königreich des Mondes

Die Filme des Ameri­ka­ners Wes Anderson (u.a. The Royal Tennen­baums, Darjee­ling Limited) wirken immer ein wenig wie bewegte Puppen­stuben. Ausstat­tung und quietsch­bunte Farben sind hier alles, die Schau­spieler dagegen reduziert auf eher ausdrucks­lose – »puppen­hafte« – Gesichter mit großen Augen. Man könnte diese Filme des zunächst in Texas aufge­wach­senen, seit Jahr­zehnten in New York lebenden Regis­seurs, auch als Fami­li­en­auf­stel­lungen dysfunk­tio­naler Familien in Bildern beschrieben werden. Und sie sind Zeit­reisen, juvenile, immer ein bisschen pubertäre Phan­ta­sien und zugleich Trauma-Bewäl­ti­gungen.

Bisher war das immer mehr oder weniger gewöh­nungs­be­dürftig. Nicht nur reine Geschmacks­frage, sondern in seiner Wert­schät­zung immer auch davon abhängig, wie sehr man als Erwach­sener seine eigene Infan­ti­lität zu kulti­vieren wünscht, und wie weit man Lust hat sich auf das Nerdtum des Regis­seurs einzu­lassen.

Natürlich strotzt auch dieser Wes-Anderson-Film von den üblichen Manie­rismen dieses Regis­seurs: Wie die Figuren bei Anderson allein schon immer gehen! Wie sie gucken! Dies ist eine Komödie, aber das Witzige soll gerade der Ernst sein, die Tatsache, dass sich alle ernst nehmen. Nun ja. Ansonsten die etwas blöde Gleichung: Sach­lich­keit + Schnel­lig­keit = Absur­dität.
Die erste Einstel­lung ist ein Wollbild, dann wandert die Kamera über ein riesiges Puppen­haus, das hier die Welt ist, streift die durch­sto­chenen Wände. Ein Kind hat einen roten Bade­mantel an, betätigt einen tragbaren Plat­ten­spieler. Auf der Platte läuft Purcell, genau gesagt Britton und Purcell. Alles ist Gelb Braun Rot in diesem Film, in Pastell­tönen, kaum Grün. Kein Blau, abgesehen vom tragbaren Plat­ten­spieler, der darob um so mehr heraus­sticht. Drei Jungen spielen Tisch­tennis, ein Mädchen liest ein Kinder­buch: »Shelly and the secret universe«. Später viele andere. Die übrigens alle leider nur in diesem Film exis­tieren. Man wünschte sich aber, sie zu kennen, und man glaubt irgendwie fast, sie gelesen zu haben – so vertraut sind die Bilder ihrer Cover, die Titel: »The Francine Odysseys«, »The Girl from Jupiter«, »Disap­pearance of the 6th Grade«, »The Light of Seven Match­sticks«, »Return of Auntie Lorraine«. Es sind Aben­teu­er­mär­chen für Kinder – und die erste Lektion, die uns Anderson hier erteilt ist: Auch dieser Film ist selbst ein Märchen.

Zu Beginn gibt es noch weitere ästhe­ti­sche Lektionen. Genauer gesagt zwei: Erstens: Design und Style sind alles. Zweitens: Um sich vers­tänd­lich zu machen, muss das Kunstwerk sich selbst in seine Bestand­teile zerlegen und trotzdem ein Ganzes bleiben. Das ist der Sinn der Britton-Bear­bei­tung eines Purcell-Stückes. Doch der Verweis auf Purcell hat noch einen anderen Sinn: Denn dieser Film, in dem Musik ungemein wichtig ist, eigent­lich das Zentrum bildet, ist große Oper. Und zwar einer­seits mora­li­sche Anstalt im naiven Sinn des 17. Jahr­hun­derts, ande­rer­seits im Sinne eines »Kraft­werks der Gefühle« (Alexander Kluge). Im Laufe des Films werden Blitze und Stürme zum Mittel des gött­li­chen Eingriffs in das Geschehen (für Agnos­tiker: des Schick­sals) werden, wird man Halle­lujah hören.

Schöne Bilder, schöne Musik, das ist natürlich im Kino schon mehr als die halbe Miete. Die Story erzählt dann aber auch noch eine roman­ti­sche Amour-Four-Liebes­ge­schichte, die kaum einen kalt lassen kann, obwohl, oder weil sie sich unter Kindern ereignet: Kara Hayward und Jared Gilman spielen – ganz großartig – Suzy und Sam, zwei 12-jährige, wie sie unter­schied­li­cher nicht sein könnten. Doch die beiden reißen zusammen aus, und verste­cken sich auf den Spuren alter India­ner­pfade im Wald. So geht es dann darum, wie die Gesell­schaft der Erwach­senen versucht, die beiden jugend­li­chen Ausreißer wieder einzu­fangen – mit den von Anderson gewohnt skurrilen Wendungen.

Es geht aber auch um die Spiele der Kinder, die natürlich am Ende die der Erwach­senen sind. Es sind Sprach­spiele, etwa in solch' schönen Dialogen zwischen Suzy und Sam: »Do you steal? Why?« – »Makes me feel in a better mood sometimes.« – »Are you depressed?« Oder das Ohren­s­te­chen, um Suzy einen von Sam geschenkten Käfer-Ohrring aus Angel­haken einzu­ste­chen – natürlich ein Sinnbild für Entjung­fe­rung und eine archai­sche Formen der Inbe­sitz­nahme. Später dann fragt sie: »Do you know, how to french-kiss?« und sagt ihm: »You can touch my breast«. Was Anderson hier macht, ist fast schon cheesy, beinahe eine Gren­züber­schrei­tung, aber eben nur beinahe – gerade noch erlaubt.
Im Grunde ist es einfach und eine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit: Anderson nimmt die Kinder ernst. Aller­dings zeigt er das uns Erwach­senen auch deutlich, darum lächelt man dann doch ein wenig von oben nach unten herab. Moonrise Kingdom ist ein überaus leicht und heiter erzählter Film, dabei aber authen­tisch und emotional. Weil das Ganze auch noch im Jahr 1965 spielt, kommt ein großer Schuss Zeit­reisen-Nostalgie hinzu. Moonrise Kingdom beweist vor allem, dass Anderson, selbst ein großes Kind, und ein Nerd ist, wie er im Buche steht, und am besten immer wieder und nur noch mit Kindern arbeiten sollte. Dies ist ein Kinder­film für Erwach­sene, dabei aber eben auch ein sehr erwach­sener Kinder­film.

Die Welt der Familie wird der Welt der Gesell­schaft (hier: der Pfad­finder) gegenüber­ge­stellt, aber beide Welten bedeuten Zwangs­sys­teme zur Dressur von Indi­vi­duen. So erzählt »Moonrise Kingdom« am Ende auch von der Unbe­haust­heit, Unge­bor­gen­heit des Einzelnen in einer Gruppe und Familie – »You are a traitor to your family!« sagt einer zu Suzy, und sie gibt kühl zurück: »Good! I wanna be.«
Und dann ist es natürlich doch keine Abrech­nung. Denn am Schluss ist die Gruppe wieder gut, und die Familie irgendwie auch, nur staat­liche Insti­tu­tionen taugen einfach nichts, von wegen Elek­tro­schocks und so. Anderson bleibt auch hier der konser­va­tive Nost­al­giker, der er ist. Einer der Träume zu ernst nimmt. Und vor allem die falschen Träume. Für die Politik ist das fatal, fürs Kino kann es aber ein Segen sein.

Viel­leicht liegt das Geheimnis dieses Films aber auch ganz banal darin, dass Moonrise Kingdom unter der perfekt deko­rierten Ober­fläche doch mehr Substanz hat, als der Film selbst glauben machen möchte: Anderson schrieb das Drehbuch nicht allein, sondern mit Roman Coppola, dem Sohn des großen Francis Ford und Bruder von Sofia Coppola. Und in den besten Momenten des Films meint man das zu erkennen. Ande­rer­seits hat Roman Coppola aber auch schon Darjee­ling Limited mitver­zapft, und der war nun wirklich völlig substanz­frei.

Egal: Moonrise Kingdom ist ein sehr schöner Film, und alles andere als nur »nett«. Wer ihn sieht, sollte übrigens auf alle Fälle bis zum Ende des Nach­spanns bleiben. Da gibt Anderson uns auch noch eine musi­ka­li­sche Lektion. Er demons­triert Alexandre Desplats Sound­track wie zu Beginn die Brittons Purcells Kunst. Das ist so klug wie lustig – wie der ganze Film. Wer die genauen Musik-Credits lesen will, kann sie einst­weilen hier [http://www.festival-cannes.fr/assets/Image/Direct/045115.pdf] nachlesen.