USA 2001 · 126 min. · FSK: ab 12 Regie: Baz Luhrmann Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce Kamera: Donald McAlpine Darsteller: Nicole Kidman, Ewan McGregor, John Leguizamo, Jim Broadbent u.a. |
Vier Jahre liegt es schon zurück, da wurde ein ganz altes Buch plötzlich modern. Die Teenies strömten zu hauf in die Buchläden, nicht um »Harry Potter«, die endlich erschienene Madonna-Biographie oder einfach die neueste »Bravo« zu kaufen, sondern wegen der klassischsten aller klassischen Liebesgeschichten: »Romeo und Julia«. Nur ein paar klug-originelle Einfälle, nur ein wenig Nachdenken und vor allem die unvoreingenommene, frische Herangehensweise des australischen Regisseurs Baz Luhrmann hatten bewirkt, dass Shakespeares Tragödie als Popmusical Romeo + Julia ironisch gebrochene Wiederauferstehung feierte und plötzlich mitten ins Herz eines jungen Publikums traf, so in und cool war, wie heute Jennifer Lopez und Ricky Martin zusammen. Und das ohne, dass sei allen Bildungsbürgern nochmals versichert, auch nur ein Gramm Substanz zu opfern – im Gegenteil: sie erschien so zeitgemäß, wie lange nicht.
Mit Moulin Rouge kehrt der Regisseur nun in die Kinos zurück, und die Erwartungen, auch Ängste sind hoch, ob er wohl den Welterfolg wiederholen könne. Und Luhrmann, man hätte es sich denken können, macht nicht das, was fast jeder unter derartigem Druck getan hätte, und sucht sich irgendetwas ganz anderes, so fern Liegendes, dass jeder Vergleich von vornherein sofort absurd erscheinen würde.
Stattdessen greift er wieder in die Vollen, setzt noch einen drauf,
und versucht mit Moulin Rouge einen ähnlich unterhaltsamen, ähnlich leidenschaftlichen Film zu drehen – nun aber doch noch etwas mehr für Erwachsene.
Montmartre um 1900, Popmusik von Heute heißt die Kombination. Mitten in der Belle Epoque siedelt Luhrmann eine Art Orpheus und Eurydike-Handlung an, aber bei ihm heißt das nicht archaische Wucht, sondern modernes Melo um den armen Poet Christian (Ewan McGregor) und die schöne Hure Satine (Nicole Kidman), ein bisschen Kameliendame, etwas Offenbach und Gilda und viel Broadway Musical in einem
Fin-de-Siecle-romantischen Paris. Degas goes Disneyland, sozusagen.
Seinem Stil ist Luhrmann treu geblieben: Rasante Schnitte, fixe, virtuos überraschende Kamerafahrten, ein neobarock überladenes, sich selbst immerfort weiterschraubendes Durcheinander, voller Verfremdungseffekte, Kino als Karussell, Jahrmarkt, Rausch.
Und natürlich Kitsch. Von Anfang an, ganz selbst-bewußt. Luhrmann überbietet und betont die Klischees so lange, bis sie plötzlich wieder funktionieren
– weil allen im Publikum klar ist, dass es hier niemand ganz ernst meint. Hier wird die vielbelaberte Postmoderne plötzlich zur unmittelbaren Erfahrung, die Wirklichkeit als Clash der Zitate und Möglichkeiten.
Flüchtig ist dabei aber nichts. Dafür sorgt schon Nicole Kidman, die nicht nur porzellanzerbrechliche Schönheit ist, sondern auch eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation. Und auch hier beweist Luhrman wieder, dass er eben nicht nur ein genialer Effekthascher ist, sondern ein kluges Händchen für Besetzung und Schauspielführung hat. So wie Leonardo di Carpio und Claire Danes nie wieder so gut waren wie in Romeo + Julia, erlebt man hier auch Kidman und McGregor mit Spitzenleistungen.
Mit ihnen bleibt Moulin Rouge auch ernst zu nehmen, gefühlvoll, weit mehr als nur schillernde Seifenblase. Zugleich das Anti-Programm zu allen anderen Versuchen, das Musical-Kino wiederzubeleben, sei es nostalgisch-ironisch, wie Woody Allens Everyone Says: I Love You, sei es als lateinische Messe wie in Lars von Triers Dancer in the Dark. Irrwitzige Bilder von der Wucht und Rasanz eines Torpedos, die Einsicht, dass die Realität nichts ist gegen das Kino, dass hier die Künstlichkeit zur Wahrheit wird, und die Wahrheit nur als künstliche möglich ist – das ist eine dem Geist des Musicals weit besser entsprechende Haltung.
Nicht weniger Aufmerksamkeit verdient aber die Idee, die dieser Form innewohnt, und die kein bisschen unzeitgemäß scheint:
»Fair is foul and foul is fair« – will man die Welt verstehen, muss man sie auf den Kopf stellen. Steht nicht bei Marx, sondern bei Shakespeare.