Deutschland 2015 · 93 min. · FSK: ab 0 Regie: Annika Blendl, Leonie Stade Drehbuch: Annika Blendl, Oliver Kahl, Leonie Stade Kamera: Eugen Gritschneder Schnitt: Nina Ergang |
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Mutige Mädels mit Mollath |
Die beiden Filmstudentinnen Annika Blendl und Leonie Stade hätten es sich auch einfach machen können. Dann wären anfangs gleich psychotisch verstörte, in geistiger Verklumpung sedierte Patienten neben manipulativ frühlingsfarben gestrichenen Wänden in Psychiatrien herumgeirrt. Aber Blendl und Stade interessierte der Mensch Gustl Mollath. Der wurde nach Eheturbulenzen, Sachbeschädigung, Beschuldigungen über Schwarzgeldaktivitäten seiner Frau und Prügelvorwürfen 2006 in die forensische Psychiatrie des Bezirksklinikums Bayreuth eingewiesen. Er war jemand, der die Handlungskontrolle über seine Ehe, die undurchsichtigen Geldgeschäfte seiner Frau und seine Oldtimerpassion verloren gab. Die Regisseurinnen begleiten ihn empathisch, wie er nach einer Extremsituation mit wiedergewonnener Freiheit Anschluss ans Leben zu finden versucht.
Der Film beginnt mit einer Weltraumszene von »Apollo 11«. Armstrong wird auf den Mond ausgesetzt, kehrt aber nach einigen Stunden Aufenthalt wieder ins Mutterschiff zurück. »Glück gehabt«, könnte man sagen, man hätte ihn ja auch im Orbit vergessen können. Mollath zieht im Laufe der sieben Jahre einen Dattel- und Orangenbaum als stummen Begleiter gegen den David-Lynch- und James-Ensor-Horror vacui dieser Lebensdekade auf. Mollath war auf dem Weg zur Heldenverehrung mit einer von Luther inspirierten »Ein- Bäumchen-pflanzen«-Ikonografie. Etwas, das einen hält, wenn die Welt untergeht. Später steht er schmunzelnd mit dem Cover der Kanzlerin mit Bäumchen und der »Titanic«-Ausgabe auf der Terrasse und amüsiert sich: »Sperrt die Irre endlich weg.« Leise Humorbegabung schimmert trotz des tragischen Lebensabschnitts auf. Zwar kratzte er später seinen Heldennimbus durch seine Revisionen mit dem Beharren auf Freispruch 1. Klasse ab, aber seine Fanschar blieb ihm erhalten, wie man an dem Isar-Indianer Willi Michel oder Konstantin Wecker sieht.
Mollath berichtet in den ersten Szenen bewegt von den Schicksalen einiger Patienten, die in der Psychiatrie gefoltert werden. Mag es auch etwas emotional aufgetragen sein, aber man muss nicht Martin Scorseses Shutter Island oder 12 Monkeys besuchen, um eine Ahnung davon zu haben, dass in der Forensik häufig schon bei den kleinsten subversiven Aussetzern sediert oder gewalttätiges Ruhighalten praktiziert wird. Mollath mag durchaus ein dysfunktionaler Charakter und seltsamer Kautz sein, der auch heute noch mit seinem Oldtimerwissen glänzt oder prahlt. Aber der Film legt Schwachstellen nicht grausam offen.
Hanseatisch cool erzählt Strafverteidiger Gerhard Strate in seiner etablierten Kanzlei, dass ihn an einem Fall entweder das Honorar reizt oder bei Mollath der Fall interessierte. Strate vertrat Monika Böttcher und einige bekannte Kiez-Größen, wo die Anwaltskosten eher kein Problem darstellten. Mollath überwarf sich nach dem Prozess wegen eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses mit ihm. Strate verweist auf die Eigenheiten seines ehemaligen Mandanten, ohne ihn zu demontieren. In der Korrespondenz mit Mollath brachte dieser neben dem Datum immer noch ein tagesaktuelles Ereignis an, wie beispielsweise den Geburtstag seiner Mutter. Es gab klein geschriebene Briefe, die auch die zerrissene Seele ausleuchten, aber auch manische Schreiben und Berichte an Außenstehende, in denen er auf die Zustände in der Bezirksanstalt aufmerksam machte. So urteilt Strate nicht über den Geisteszustand seines ehemaligen Mandanten. Eher hat man den Eindruck, dass Mollath dieses Manisch-Rastlose als Resilienz ihm das Durchhalten ohne verheerende soziale Interaktionen in der Psychiatrie sicherte.
Die »Spiegel«-Journalistin Beate Lakotta hat hingegen eine dezidiert andere Meinung. In ihrem Büro verweist sie auf ein dickes Konvolut mit Briefen. Sie attestiert Mollath eine Psychose und Gewalttätigkeit – er verweigerte sich ja auch den Therapien und Untersuchungen im Krankenhaus – und unberechenbare Gefühlszustände. Mag an Lakottas selbstsicher vorgetragenen Vorwürfen auch etwas dran sein, aber, nur der journalistischen Attitüde wegen eine Psychose ohne medizinischen Hintergrund zu unterstellen, ist doch, gelinde gesagt, gewagt.
Der Film zeigt in verschiedenen Episoden seine Persönlichkeit mit facettenreichen Dissonanzen auf. Einerseits immer noch der verständliche Groll, weil seine Frau sein Elternhaus und Besitz verpfändete. So steht er dann vor dem aufgelassenen Grab seiner Eltern. Nur noch ein Stück Wiese. Im deprimierten Gesicht sieht man, dass hier der Ehekrieg seine höchste Virulenz erlangte. Oder man sieht ihn meditativ versunken in der Nürnberger Lorenzkirche, ohne in einer Frömmigkeitssuada zu enden. Da war ihm wohl der Glaube ein Halt an seinem unfreiwilligen »Lucifer’s-Rising«-Aufenthaltsort. Dazwischen sieht man Mollath auf einer Rennstrecke souverän Oldtimer und Motorräder lenken und im Fachgespräch bei Motor-Aficionados in der Werkstatt stehen.
Der Film verurteilt nicht, er bleibt erfreulicherweise in einer Grautönung und zeigt Mollaths Persönlichkeit, weil er die beiden Regisseurinnen nahe an sich heran ließ – was wohl auch ein Vertrauensbeweis war. Gerhard Strate wägt die Frage, ob es denn nun wahr sei, dass Mollath seine Frau verprügelt habe, besonnen mit einem »Es kann so oder auch so gewesen sein« ab. Die Handlungsmaxime in Mollaths Leben ist sein Streben nach Gerechtigkeit. Mollath mag ein verschrobener, starrköpfiger und aufsässiger Zeitgenosse sein. Doch vielleicht haben gerade diese trotzigen Charaktereigenschaften in ihm die Kraft geschürt, sich gegen die demütigende Kooperation von Richtern und Medizinern mit Furor und Energie mental so wach zu halten, dass er auf die Zustände in den Psychiatrien aufmerksam machen konnte. Raumstation »Apollo 11« und die schwebenden Personen im Nichts erreichen den Zuschauer im Finale eindringlich.