USA 2021 · 111 min. Regie: Amy Poehler Drehbuchvorlage: Jennifer Mathieu Drehbuch: Tamara Chestna, Dylan Meyer Kamera: Tom Magill Darsteller: Hadley Robinson, Josephine Langford, Lauren Tsai, Patrick Schwarzenegger, Amy Poehler u.a. |
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Kollektives Coming-of-Age mit Kampfansage | ||
(Foto: Netflix) |
That girl thinks she’s the queen of the neighborhood
She’s got the hottest trike in town
That girl, she holds her head up so high
I think I wanna be her best friend, yeah
– Rebel Girl, Bikini Kill
Erst vergangenen Sonntag konnte man Amy Poehler noch zusammen mit Tina Fey auf die gerade in die Kritik geratenen Golden Globes reagieren sehen, jetzt können wir dabei zusehen, wie Poehler selbst kritisiert, und das nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera ihres gerade auf Netflix erschienenen Films Moxie.
In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jennifer Mathieu spielt Poehler die alleinerziehende Mutter der 16-jährigen Vivian (Hadley Robinson), die auf die High School wechselt und dort fast schon traumatisch dem ausgesetzt ist, was aus dem Genre »College-Film« nur allzu bekannt ist. Sexismus, Rassismus und ein politisches System, das selbst autokratischste Staaten in den Schatten stellt. Denn gleich in den ersten Tagen werden die Mädchen von den Jungen hart rangenommen und Socia-Media-Kanäle in »Fickbar«, »Bester Hintern«, »Unberührt« etc. klassifiziert. Und jeder Widerstand vom Alpha-Männchen vor Ort, Mitchell (Patrick Schwarzenegger), im Keim erstickt, was umso leichter für ihn ist, als die Rektorin der Schule in der üblichen »Co-Abhängigkeit« das Spiel mitspielt, da es dem populistischen System und nicht zuletzt dem Erfolg der Schule zuträglich ist.
Bis dahin ist also alles so, wie wir es kennen. Doch dann nimmt Moxie über Poehlers souveräne Regie und ein delikates, scharfzüngiges Drehbuch (Tamara Chestna, Dylan Meyer) eine scharfe Kehrtwendung. In Anlehnung an legendäre, im Kern ähnliche politische Formate wie Glee oder Freaks & Geeks , die sich einer komödiantischen Grundstruktur bedienen, um den Ernst der Lage umso gnadenloser zu sezieren, beginnt Vivian sich nämlich zu wehren. Sie findet Überbleibsel der feministischen Riot Grrrl-Vergangenheit ihrer Mutter Lisa (Amy Poehler) und entscheidet sich über ihr anonym publiziertes Fanzine »Moxie« (Slang für »Mumm«, »Courage«) den Spieß umzudrehen und, in bester Gewerkschaftsmanier, sich nicht nur zu wehren, sondern auch zu »organisieren«.
Dieses kollektive Coming-of-Age präsentiert Poehler mit zärtlicher Wucht und so authentisch, dass man zu meinen glaubt, dass sie auch ein wenig die sehr ähnliche feministische Erweckungs-Geschichte mit ihrer eigenen Mutter in diese dichte Erzählung integriert hat. Doch anders als Poehlers Mutter, die Teil der zweiten feministischen Welle war, spielt Poehler hier über Lisa eine Mutter, die durch die dritte feministische Welle sozialisiert wurde und für Riot Grrrl-Bands wie Bikini Kill wegweisende Erfahrungen waren. Vivian eignet sich diese Erfahrungen aus zweiter Hand so schnell und effizient an, dass sie mit ihrem Fanzine so erfolgreich wie Lady Whistledown mit ihrem Undercover-Blatt in Netflix' Erfolgsserie Bridgerton ist.
Doch ist Moxie das weitaus bessere »Bridgerton«. Nicht nur weil Moxie überraschender, spannender und wilder und ein fast schon perfekter Ratgeber für jugendlichen Widerstand ist. Sondern weil Moxie sich eben nicht nur um feministischen Widerstand und MeToo-Angelegenheiten kümmert, sondern sich gleich auch noch des ewigen Themas Rassismus annimmt. Aber auch das auf unerwartete Weise. Denn statt auf den üblichen Protest gegen das Whitewashing durch banales »Blackwashing« wie eben in Bridgerton zu reagieren, lässt Poehler die Kirche so konsequent wie mutig im Dorf und eine ihrer PoC-Protagonistinnen stattdessen abwehrend sagen: „I am 110 percent black and my hair is not a wig“.
Moxie. Zeit, zurückzuschlagen ist seit 3. März 2021 auf Netflix abrufbar.