My Name Is Khan

Indien 2010 · 128 min. · FSK: ab 12
Regie: Karan Johar
Drehbuch:
Kamera: Ravi K. Chandran
Darsteller: Shahrukh Khan, Kajol, Katie Amanda Keane, Kenton Duty, Benny Nieves u.a.
Lachen und weinen – gleichzeitig?

Mr. Khan geht nach Washington

Besser Autist, als Terrorist: konse­quent over the top

»Ich möchte den US-Präsi­denten besuchen« – man muss wohl Autist sein, um auf so einen Gedanken zu kommen, aber Rizvan Khan meint es ganz ernst. Überhaupt ist Ironie nicht seine Stärke, denn es ist ein Teil seiner Krankheit, des soge­nannten Asperger-Syndroms, dass Rizvan alles wörtlich nimmt. So auch die im Moment höchster Verzweif­lung heraus­ge­schriene Forderung seiner Frau, er solle doch zum Präsi­denten gehen, und ihm klar­ma­chen, dass nicht alle Moslems Terro­risten seien. Man befindet sich noch im Bush-Amerika auf dem Höhepunkt des »war-on-terror« mit seinem Sicher­heits­wahn und seiner Moslem­hatz. Gerade haben fana­ti­sierte Jugend­liche den zehn­jäh­rigen Sohn des Paares totge­schlagen. Ja, wäre es nicht so traurig, dann wäre es zum Lachen, und wäre es nicht zum Lachen, dann müsste man weinen. Viel­leicht ist auch verblüfft-betre­tenes Schweigen das Beste, denn dieser Film ist in jeder Hinsicht derart over the top, dass man ihn nicht ernst nehmen kann, darin aber so konse­quent, dass man ihn bewundern muss.

Lachen und weinen, am besten gleich­zeitig, wäre wahr­schein­lich genau das die Reaktion, die sich Regisseur Karan Johar (Sometimes Happy, Sometimes Sad) von seinem Publikum wünscht. Ohne Frage ist My Name Is Khan auf seine Art dreiste Exploi­ta­tion, und wagt etwas, was sich im Westen, von einigen Trash-Filmern abgesehen, noch niemand getraut hat: Nämlich die Terror­an­schläge vom »11. September« zum Gegen­stand eines Unter­hal­tungs­films zu machen, der auf all den Bierernst staats­tra­genden Pathos' verzichtet, den man in solchen Fällen dann in Hollywood an den Tag legt – und trotzdem auf merk­wür­dige Weise ange­messen mit dem pikanten Sujet umhzu­gehen.

Dieses Rezept, das Vermi­schen ernster Themen mit opulenter Unter­hal­tung, und die unbe­dingte Entschlos­sen­heit, im Zwei­fels­fall eher noch einen drauf zu setzen, als zuwenig zu machen, ist genau das Stil­merkmal Bolly­woods, jenes Unter­hal­tungs­kinos aus Bombay, das im vergan­genen Jahrzehnt auch bei uns populär wurde. In Musi­cal­form und auf eine Weise, die auch den Millionen Analpha­beten Indiens vers­tänd­lich ist, ohne die Intel­li­genz der zahlenden Mittel­schicht zu belei­digen, wird da alles und jedes behandelt. Und der erste Welt­erfolg des modernen Bollywood war mit Dil Se 1998 ausge­rechnet ein Musi­cal­melo über die Liebe eines ange­passten Mannes zu einer Terro­ristin, das sich nicht scheut, das Liebes­paar nach drei Stunden emotio­naler Achter­bahn in gemein­samer Umarmung bei einem Anschlag in die Luft zu jagen – und damit auch einen so klugen wie gewagten Diskus­si­ons­bei­trag zum Terror in Indien zu liefern.

Dil Se machte auch Shah Rukh Khan im Westen populär, jenen Superstar, der für Bollywood so etwas ist, wie es eine Fusion aus Brat Pitt, George Clooney und Richard Gere im Westen wäre. Auch in My Name Is Khan spielt Khan, der im richtigen Leben als Moslem mit einer Hindhu-Gattin ebenfalls die Funda­men­ta­listen beider Seiten provo­ziert, die Haupt­rolle des behin­derten Rizvan. Er tut dies erstaun­lich gut, ohne über­trie­bene Manie­rismen, immer auf die Würde der Figur bedacht.

Behin­derte haben es im Kino schon immer besonders leicht, jeden­falls als Film­fi­guren. Man denke nur an Rain Man oder Forrest Gump oder den Duft der Frauen, und wäre Shah Rukh Khan Ameri­kaner, dann könnte er sich jetzt ernst­hafte Hoff­nungen auf einen Oscar machen. Denn so einen pfle­ge­leichten, anrüh­renden, gutmen­schigen Autisten hat man im Kino lange nicht gesehen. Khan ist ein Naiver im neuen Welt­bür­ger­krieg: Ungerührt und höflich lässt er gleich in den ersten Minuten eine demütige Sicher­heits­kon­trolle am Flughafen über sich ergehen. In der ersten Hälfte erzählt der Film im Rückblick Rizvans Kindheit in Indien, und von der Ankunft und den ersten Jahren in den USA. An der Glätte des Aufstiegs, der Leich­tig­keit, mit der sich für den genialen Autisten der american dream erfüllt, und er auch noch eine Model­schön­heit zur Frau bekommt, merkt man schnell, dass dieser Film auch mit Geldern eines US-Studios produ­ziert wurde. Im zweiten Teil in dem Khan zunächst vergeb­lich versucht, den Präsident zu treffen, erinnert das in seiner nur scheinbar naiven Feier von Anstand und Grad­li­nig­keit besonders an die enga­gierten Melo­dramen der Post-Depres­si­ons­zeit, etwa Capras Mr. Smith Goes to Washington.

Wie bei Capra ist auch hier der Glaube ans Funk­tio­nieren des demo­kra­ti­schen Systems unge­bro­chen, jeden­falls an der Ober­fläche. Wenn aber Khan auf seinem Weg – den der Verleih für eine deutsche Fassung erheblich gekürzt hat, – zwar mal eben ein Attentat auf Bush vereitelt, dann trotzdem selbst unter Verdacht gerät, und gefoltert wird, bevor er mithilfe der Medien befreit und zum Natio­nal­helden wird, und schließ­lich bei Obama auch endlich seinen Satz loswerden darf – »My Name is Khan and I am not a terrorist.« – dann ist dies nicht nur offen­kundig ein Märchen. Die Weltsicht dieses kurz­wei­ligen, sehr unter­halt­samen Stilmix aus Roadmovie, Politmelo und romantic comedy ist auch, mit guten Gründen, deutlich pessi­mis­ti­scher als bei Capra, dann Khan hat, wenn man ehrlich ist, einfach nur verdammt viel Glück.

Das brauchen auch die US-Produ­zenten, die sich erhoffen, dass dieser Film zum troja­ni­schen Pferd wird, mit dem sich endlich Indien, das letzte Kino-Terri­to­rium, das Hollywood noch nicht erobert hat, erschließen lässt. Ob das klappen wird? Dafür ist der Film am Ende viel­leicht doch etwas zu glatt. Und gesungen wird auch nicht.

PS: Der dusselige Hang zum Synchro­ni­sieren nimmt dem Film in der deutschen Fassung mal wieder fast allen Charme.