Narziss und Goldmund

Deutschland 2020 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Stefan Ruzowitzky
Drehbuch: ,
Kamera: Benedict Neuenfels
Darsteller: Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, André M. Hennicke, Henriette Confurius, Elisa Schlott u.a.
Filmszene »Narziss und Goldmund«
Was bleibt, ist die Geschichte einer, ja, Männerfreundschaft...
(Foto: Jürgen Olczyk/Sony Pictures Entertainment Deutschland)

Echte Gefühle in falschen Kulissen

Eine literaturkritische Einlassung auf die Verfilmung Narziss und Goldmund

Es beginnt mit einem Flug der Kamera über winter­li­chen Tannen­wald. Ein Kloster, das wie eine mittel­al­ter­liche Burg aussieht, in eisiger Atmo­s­phäre. Mönche mit gräu­li­chen Gewändern und Menschen zu Pferd. Ein Mann bringt seinen kleinen Sohn, den zehn­jäh­rigen Goldmund, ins Kloster. »Ich kann ihn nicht mehr sehen«, ätzt er und wirft den Mönchen einen Beutel Geld vor die Füße. Goldmund wird Klos­ter­schüler, und Narziss, ein etwas größerer Junge, soll sich seiner annehmen. Der kleine Blonde wirbt um die Freund­schaft des dunkel­haa­rigen Älteren, der seiner­seits Angst hat, durch die sich anbah­nende Freund­schaft von Gott abgelenkt zu werden. Es zeigt sich, dass auch er Sehnsucht nach der Freund­schaft, viel­leicht der Liebe eines Menschen hat. Diese Spannung zwischen geistlich-geistiger und profaner Welt wird Narziss bis zum Ende nicht verlassen. Goldmund aber ist nicht für das Leben im Kloster gemacht. Ihn zieht es in die Welt, zu den Frauen und zur Kunst. Erst nach fünfzehn Jahren kehrt er zurück, um für das Kloster, dessen Vorsteher Narziss inzwi­schen ist, einen Mari­en­altar zu schaffen.

Wenn unten die Seuchen­toten verscharrt werden

Rund zwei Stunden nimmt sich der öster­rei­chi­sche Regisseur Stefan Ruzowitzky Zeit, um diese Geschichte nach dem Roman von Hermann Hesse zu erzählen. Im Großen und Ganzen hält sich der Film an die lite­ra­ri­sche Vorlage, scheint jedoch – im Unter­schied zum Roman – in zwei Erzäh­lungen zu zerfallen.

Auf der einen Seite steht die Geschichte einer Freund­schaft. Sie bildet das Kraft­zen­trum des Films, eine eindring­liche und zugleich fein gespon­nene Medi­ta­tion über Sehnsucht, Glück, Trennung. Das Kind und der Jugend­liche Goldmund gibt der Beziehung eine unbe­küm­mert körper­liche Note, die für Narziss proble­ma­tisch wird. Für ihn bekommt die Nähe zu Goldmund andeu­tungs­weise auch eine sexuelle Dimension. Sabin Tambrea hält diese Dimension mit seinem Spiel ganz wunderbar in der Schwebe. Gegen die Zeit und alle Wider­stände steht der Abt zu dem Hallodri Goldmund. Die Kamera ist meist nah bei den beiden und weidet sich an ihren Gesich­tern, man schaut gern zu, manchmal durchaus angerührt.

Auf der anderen Seite steht Goldmunds Weg in die Welt, eine Abfolge sexueller Abenteuer, die in sich ziellos sind und hinter denen die Suche nach der Mutter durch­scheint, an deren Züge Goldmund sich nicht erinnern kann. Das ist die proble­ma­ti­sche Seite des Films. Dieses Mittel­alter gerät zu einer Kulisse, an der der Regisseur kaum einmal echtes Interesse zeigt. Ein Reigen mittel­al­ter­li­cher Bild­welten wird aufge­rufen vom Fest über die Pest zu fahrendem Volk, Juden­po­gromen und apoka­lyp­ti­schen Ausschwei­fungen. Manchmal gerät das zum Kasperl­theater, wenn etwa von einer Brücke laut heulende Angehö­rige zuschauen, wie unten die Seuchen­toten verscharrt werden. Die Menschen in dieser Welt zeichnen sich durch eine erstaun­liche Stumpf­heit aus oder sind, ganz im Gegenteil, Figuren mit modernen Psycho­lo­gien. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn sie glaub­würdig wären. Hier aber zieht der Film es vor, eine Serie von Abzieh­bil­dern zu liefern, statt sich mit den Figuren auch nur etwas tiefer zu beschäf­tigen.

Frauen verlassen Goldmunds Bett

Eine Ausnahme bilden die beiden adeligen Schwes­tern Lydia und Julia. Goldmund ist eine Weile bei ihrem Vater als Schreiber beschäf­tigt, und er möchte beide lieben. Natürlich geht das schief, und als er später zurück­kehrt und eine der Schwes­tern Malerin geworden ist (während das Gesicht der anderen von der Pest entstellt wurde), werden ihm diese beiden fast zum Verhängnis. Aber selbst hier vermisst man eine liebe­volle Figu­ren­zeich­nung, die sich etwa mit dem Verhältnis der Schwes­tern unter­ein­ander über die gröbste Eifer­sucht hinaus befassen würde. Und leider führt es dazu, dass diese Figuren, obwohl laut Ruzowitzky gegenüber der Vorlage von 1930 »massiv aufge­wertet«, für den Betrachter unin­ter­es­sant bleiben.

Eng damit verbunden ist die Frage nach der Darstel­lung von Erotik. Als Hesses Buch erschien, störte man sich an dessen Frei­zü­gig­keit. Der Porno­gra­fie­vor­wurf ist heute nicht mehr im Entfern­testen nach­voll­ziehbar. Ein Beispiel: Im Buch gibt es eine Szene, in der Goldmund mit beiden Schwes­tern im Bett liegt. Lydia gibt sich spröde, da wendet der erregte Goldmund sich der jüngeren Schwester zu. »Seine Hand tat ihr so wohl, dass sie mit einem langen bebenden Seufzer der Wollust antwor­tete.« Das erbost Lydia und sie bringt es so weit, dass beide Frauen Goldmunds Bett verlassen. Szenen wie diese kann man zart oder (heute) doch etwas zu indirekt finden – ihre Sprache mal beisei­te­ge­lassen.

Dass aber ein Film von 2020 versucht, sie umzu­setzen, als hätte es weder Henry Miller noch Virginie Despentes je gegeben, ist nicht nach­voll­ziehbar. Die Sexszenen (wobei dieses Wort viel zu stark ist für das, was der Film zeigt) schaffen eine merk­würdig restrin­gierte Atmo­s­phäre. Den Frauen verrutscht gern mal der obere Teil des Kleides, dann ist ihr Dekol­letee und auch mal eine Brust zu sehen. Ist das Erotik für den männ­li­chen Blick? Nur wenn es darin (im männ­li­chen Blick nämlich) wenig Freiheit gibt.

In einer Szene erschlägt Goldmund einen Mann, der seine Freundin Lene verge­wal­tigen will. Und selbst in dieser Szene bekommen wir den verrutschten Kleid­aus­schnitt des Opfers präsen­tiert wie einen Grund für die Attacke – das ist schwer zu ertragen. Und weil es irgendwie zusam­men­zu­gehören scheint, soll hier auch noch kurz auf die Gewalt­dar­stel­lung einge­gangen werden. Während Goldmund den ihm unbe­kannten Mann tötet, scheint er von Ekel erfüllt zu sein und schreit wie jemand, der sich gezwungen sieht, das Schlimmste überhaupt zu tun. (Im Buch dagegen empfindet er beim Töten Lust.) Das wirkt hane­büchen, herbei­zi­tiert aus einer Bildwelt des Wohn­zim­mer­flim­mer­kinos aus dem letzten Jahr­hun­dert. Schade.

Das schwe­bende Mittel­alter

Hesse mochte das Kino nicht. Er wollte seine Bücher nicht verfilmen lassen. Mit zwei Ausnahmen in den stür­mi­schen Sieb­zi­ger­jahren (»Siddharta« und »Step­pen­wolf«) und einem eher nichts­sa­genden Fern­seh­film (»Die Heimkehr«) von 2012 haben sich die Erben lange daran gehalten. In gewisser Weise ist das schade, weil die Lücke zur Bild- und Vorstel­lungs­welt des Schrift­stel­lers immer größer wird. Dass Ruzowitzky sich nun daran gemacht hat, ausge­rechnet den schwie­rigen Thesen­roman »Narziss und Goldmund« zu bebildern, ist für alle Hesse-Fans eine schöne Sache, das Ergebnis aber bleibt zwie­spältig.

Der ewige Erfolgs­autor Hesse, den es schon nervte, dass seine Bücher – selbst­re­dend aus den falschen Gründen – beim Publikum so gut ankamen, hat sich ab 1927 daran gemacht, diese Parabel auf den Weg des Künstlers und auch auf das »deutsche Wesen« zu schreiben. Er war ein wacher Zeit­ge­nosse und hatte gerade, mit 50, den höchst gegen­wär­tigen »Step­pen­wolf« publi­ziert. Nun also dieses »schwe­bende Mittel­alter«. Warum? Stellen wir uns noch einmal das taumelnde Deutsch­land der 1920er vor, das sich nach Massen­ar­beits­lo­sig­keit und Hyper­in­fla­tion gerade wieder ein bisschen aufzu­r­ap­peln schien, hin- und herge­rissen an den Rändern von Kommu­nismus und Faschismus. Als der Roman im Vorab­druck herauskam, im Herbst 1929, schickte der Black Friday an der Wall Street die westliche Welt in den nächsten Abgrund. »Berlin Alex­an­der­platz« erschien und »Im Westen nichts Neues« – Neue Sach­lich­keit und eine zweite Welle von Welt­kriegs­ro­manen bestimmten die lite­ra­ri­sche Saison (1930 war das Jahr von »Narziss und Goldmund« und »Der Mann ohne Eigen­schaften«).

Da wirkt es schon recht versponnen, sich eine so drei­viertel welt­ab­ge­wandte Geschichte auszu­denken – halb Mittel­alter und ein Viertel Kloster. Aber Hesse war ein Querkopf, der die Dinge gern von der Seite anging, der sich absetzen wollte vom Tages­ge­schehen, von der Sphäre der Macht, um zu einer zeit­lo­seren Wahrheit zu kommen. An einer Stelle (im Nachwort der Gesam­melten Briefe von 1979 fehlt der exakte Quel­len­hin­weis) äußert er sich: »Ich habe mit diesem Buch der Idee von Deutsch­land und deutschem Wesen, die ich seit der Kindheit in mir hatte, einmal Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe gestanden – gerade weil ich alles, was heute spezi­fisch ›deutsch‹ ist, so sehr hasse.«

Insgesamt fehlt es an Haltung

Und er schrieb in diesem Roman einen heftigen Dialog. Goldmund berichtet von den Juden­ver­fol­gungen, die er mitan­ge­sehen hat, und fragt Narziss, ob er, der Abt, wie viele Obrige, den Befehl zu einem derar­tigen Pogrom geben könne. Narziss verneint, gibt aber zu, dass er gezwungen sein könnte, es mit anzusehen. Goldmund bezeichnet die Welt darauf als eine Hölle, »empörend und scheuß­lich«. Narziss erwidert kühl: »Gewiss. Die Welt ist nicht anders.«

Etwas von diesem Spreng­stoff, der in Hesses scheinbar entrückter Fabel steckt, hätte auch diesem Film gutgetan. Aber das meiste, was Hesses Werk ausmacht, fehlt dieser Verfil­mung – das bis in die Kitschäs­thetik Subver­sive, das pronon­ciert Uncoole, nicht Zynische, Anti­schnei­dige.

Hesse war politisch, er war polemisch. Es ist nicht zu erwarten, dass die Verfil­mung seines Romans diese Haltung repro­du­ziert. Aber dem Film fehlt es insgesamt an Haltung. Seine Bild­welten sind erwartbar, er macht alles richtig, schleift sämtliche Ecken ab, siebt die Bröckchen aus. Was dabei rauskommt, ist wenig aussa­ge­kräftig. In einem Brief über »Narziss und Goldmund« an seine Schwester vom Anfang der Dreißiger schreibt Hesse: »Diese Wider­stände gegen das Aner­kennen der körper­li­chen Liebe sind es, die die meisten Neurosen schaffen, und aus denen meist auch ... übel wirkende Verlo­gen­heit im übrigen Leben entsteht, z. B. in den patrio­ti­schen und poli­ti­schen Dingen.« Einen Blick auf die Zusam­men­hänge zwischen dieser Art von Verlo­gen­heit und Sexua­lität heute zu werfen, könnte sich auch ein Film leisten, der großes Gefühls­kino sein möchte.

Was bleibt, ist die Geschichte einer, ja, Männ­er­freund­schaft. Diese zu schildern, in ihrer Zartheit und eroti­schen Färbung (»ich ... habe nie körper­lich erotische Bezie­hungen zu Männern gehabt, aber die Freund­schaften deshalb für völlig unero­tisch zu halten, scheint mir doch falsch zu sein«, schrieb Hesse in einem Brief), ist das Verdienst von Ruzowitzky. In den heutigen Bild­welten von Netflix und Co. sind Bezie­hungen unter Männern häufig von Gewalt und Konkur­renz geprägt, ganz sicher nicht von Zärt­lich­keit oder seeli­scher Anziehung. Dem immerhin wider­spricht dieser Film.

Thomas Lang, geboren 1967 in Nümbrecht, studierte Lite­ra­tur­wis­sen­schaft in Frankfurt/M. Seit 1997 lebt er als Autor in München. Sein Hermann-Hesse-Roman »Immer nach Hause«, in dem er die jungen Ehe- und Künst­ler­jahre Hesses reka­pi­tu­liert, ist 2016 im Berlin Verlag erschienen.