Deutschland 2020 · 118 min. · FSK: ab 12 Regie: Stefan Ruzowitzky Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Robert Gold Kamera: Benedict Neuenfels Darsteller: Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, André M. Hennicke, Henriette Confurius, Elisa Schlott u.a. |
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Was bleibt, ist die Geschichte einer, ja, Männerfreundschaft... | ||
(Foto: Jürgen Olczyk/Sony Pictures Entertainment Deutschland) |
Es beginnt mit einem Flug der Kamera über winterlichen Tannenwald. Ein Kloster, das wie eine mittelalterliche Burg aussieht, in eisiger Atmosphäre. Mönche mit gräulichen Gewändern und Menschen zu Pferd. Ein Mann bringt seinen kleinen Sohn, den zehnjährigen Goldmund, ins Kloster. »Ich kann ihn nicht mehr sehen«, ätzt er und wirft den Mönchen einen Beutel Geld vor die Füße. Goldmund wird Klosterschüler, und Narziss, ein etwas größerer Junge, soll sich seiner annehmen. Der kleine Blonde wirbt um die Freundschaft des dunkelhaarigen Älteren, der seinerseits Angst hat, durch die sich anbahnende Freundschaft von Gott abgelenkt zu werden. Es zeigt sich, dass auch er Sehnsucht nach der Freundschaft, vielleicht der Liebe eines Menschen hat. Diese Spannung zwischen geistlich-geistiger und profaner Welt wird Narziss bis zum Ende nicht verlassen. Goldmund aber ist nicht für das Leben im Kloster gemacht. Ihn zieht es in die Welt, zu den Frauen und zur Kunst. Erst nach fünfzehn Jahren kehrt er zurück, um für das Kloster, dessen Vorsteher Narziss inzwischen ist, einen Marienaltar zu schaffen.
Rund zwei Stunden nimmt sich der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky Zeit, um diese Geschichte nach dem Roman von Hermann Hesse zu erzählen. Im Großen und Ganzen hält sich der Film an die literarische Vorlage, scheint jedoch – im Unterschied zum Roman – in zwei Erzählungen zu zerfallen.
Auf der einen Seite steht die Geschichte einer Freundschaft. Sie bildet das Kraftzentrum des Films, eine eindringliche und zugleich fein gesponnene Meditation über Sehnsucht, Glück, Trennung. Das Kind und der Jugendliche Goldmund gibt der Beziehung eine unbekümmert körperliche Note, die für Narziss problematisch wird. Für ihn bekommt die Nähe zu Goldmund andeutungsweise auch eine sexuelle Dimension. Sabin Tambrea hält diese Dimension mit seinem Spiel ganz wunderbar in der Schwebe. Gegen die Zeit und alle Widerstände steht der Abt zu dem Hallodri Goldmund. Die Kamera ist meist nah bei den beiden und weidet sich an ihren Gesichtern, man schaut gern zu, manchmal durchaus angerührt.
Auf der anderen Seite steht Goldmunds Weg in die Welt, eine Abfolge sexueller Abenteuer, die in sich ziellos sind und hinter denen die Suche nach der Mutter durchscheint, an deren Züge Goldmund sich nicht erinnern kann. Das ist die problematische Seite des Films. Dieses Mittelalter gerät zu einer Kulisse, an der der Regisseur kaum einmal echtes Interesse zeigt. Ein Reigen mittelalterlicher Bildwelten wird aufgerufen vom Fest über die Pest zu fahrendem Volk, Judenpogromen und apokalyptischen Ausschweifungen. Manchmal gerät das zum Kasperltheater, wenn etwa von einer Brücke laut heulende Angehörige zuschauen, wie unten die Seuchentoten verscharrt werden. Die Menschen in dieser Welt zeichnen sich durch eine erstaunliche Stumpfheit aus oder sind, ganz im Gegenteil, Figuren mit modernen Psychologien. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn sie glaubwürdig wären. Hier aber zieht der Film es vor, eine Serie von Abziehbildern zu liefern, statt sich mit den Figuren auch nur etwas tiefer zu beschäftigen.
Eine Ausnahme bilden die beiden adeligen Schwestern Lydia und Julia. Goldmund ist eine Weile bei ihrem Vater als Schreiber beschäftigt, und er möchte beide lieben. Natürlich geht das schief, und als er später zurückkehrt und eine der Schwestern Malerin geworden ist (während das Gesicht der anderen von der Pest entstellt wurde), werden ihm diese beiden fast zum Verhängnis. Aber selbst hier vermisst man eine liebevolle Figurenzeichnung, die sich etwa mit dem Verhältnis der Schwestern untereinander über die gröbste Eifersucht hinaus befassen würde. Und leider führt es dazu, dass diese Figuren, obwohl laut Ruzowitzky gegenüber der Vorlage von 1930 »massiv aufgewertet«, für den Betrachter uninteressant bleiben.
Eng damit verbunden ist die Frage nach der Darstellung von Erotik. Als Hesses Buch erschien, störte man sich an dessen Freizügigkeit. Der Pornografievorwurf ist heute nicht mehr im Entferntesten nachvollziehbar. Ein Beispiel: Im Buch gibt es eine Szene, in der Goldmund mit beiden Schwestern im Bett liegt. Lydia gibt sich spröde, da wendet der erregte Goldmund sich der jüngeren Schwester zu. »Seine Hand tat ihr so wohl, dass sie mit einem langen bebenden Seufzer der Wollust antwortete.« Das erbost Lydia und sie bringt es so weit, dass beide Frauen Goldmunds Bett verlassen. Szenen wie diese kann man zart oder (heute) doch etwas zu indirekt finden – ihre Sprache mal beiseitegelassen.
Dass aber ein Film von 2020 versucht, sie umzusetzen, als hätte es weder Henry Miller noch Virginie Despentes je gegeben, ist nicht nachvollziehbar. Die Sexszenen (wobei dieses Wort viel zu stark ist für das, was der Film zeigt) schaffen eine merkwürdig restringierte Atmosphäre. Den Frauen verrutscht gern mal der obere Teil des Kleides, dann ist ihr Dekolletee und auch mal eine Brust zu sehen. Ist das Erotik für den männlichen Blick? Nur wenn es darin (im männlichen Blick nämlich) wenig Freiheit gibt.
In einer Szene erschlägt Goldmund einen Mann, der seine Freundin Lene vergewaltigen will. Und selbst in dieser Szene bekommen wir den verrutschten Kleidausschnitt des Opfers präsentiert wie einen Grund für die Attacke – das ist schwer zu ertragen. Und weil es irgendwie zusammenzugehören scheint, soll hier auch noch kurz auf die Gewaltdarstellung eingegangen werden. Während Goldmund den ihm unbekannten Mann tötet, scheint er von Ekel erfüllt zu sein und schreit wie jemand, der sich gezwungen sieht, das Schlimmste überhaupt zu tun. (Im Buch dagegen empfindet er beim Töten Lust.) Das wirkt hanebüchen, herbeizitiert aus einer Bildwelt des Wohnzimmerflimmerkinos aus dem letzten Jahrhundert. Schade.
Hesse mochte das Kino nicht. Er wollte seine Bücher nicht verfilmen lassen. Mit zwei Ausnahmen in den stürmischen Siebzigerjahren (»Siddharta« und »Steppenwolf«) und einem eher nichtssagenden Fernsehfilm (»Die Heimkehr«) von 2012 haben sich die Erben lange daran gehalten. In gewisser Weise ist das schade, weil die Lücke zur Bild- und Vorstellungswelt des Schriftstellers immer größer wird. Dass Ruzowitzky sich nun daran gemacht hat, ausgerechnet den schwierigen Thesenroman »Narziss und Goldmund« zu bebildern, ist für alle Hesse-Fans eine schöne Sache, das Ergebnis aber bleibt zwiespältig.
Der ewige Erfolgsautor Hesse, den es schon nervte, dass seine Bücher – selbstredend aus den falschen Gründen – beim Publikum so gut ankamen, hat sich ab 1927 daran gemacht, diese Parabel auf den Weg des Künstlers und auch auf das »deutsche Wesen« zu schreiben. Er war ein wacher Zeitgenosse und hatte gerade, mit 50, den höchst gegenwärtigen »Steppenwolf« publiziert. Nun also dieses »schwebende Mittelalter«. Warum? Stellen wir uns noch einmal das taumelnde Deutschland der 1920er vor, das sich nach Massenarbeitslosigkeit und Hyperinflation gerade wieder ein bisschen aufzurappeln schien, hin- und hergerissen an den Rändern von Kommunismus und Faschismus. Als der Roman im Vorabdruck herauskam, im Herbst 1929, schickte der Black Friday an der Wall Street die westliche Welt in den nächsten Abgrund. »Berlin Alexanderplatz« erschien und »Im Westen nichts Neues« – Neue Sachlichkeit und eine zweite Welle von Weltkriegsromanen bestimmten die literarische Saison (1930 war das Jahr von »Narziss und Goldmund« und »Der Mann ohne Eigenschaften«).
Da wirkt es schon recht versponnen, sich eine so dreiviertel weltabgewandte Geschichte auszudenken – halb Mittelalter und ein Viertel Kloster. Aber Hesse war ein Querkopf, der die Dinge gern von der Seite anging, der sich absetzen wollte vom Tagesgeschehen, von der Sphäre der Macht, um zu einer zeitloseren Wahrheit zu kommen. An einer Stelle (im Nachwort der Gesammelten Briefe von 1979 fehlt der exakte Quellenhinweis) äußert er sich: »Ich habe mit diesem Buch der Idee von Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit der Kindheit in mir hatte, einmal Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe gestanden – gerade weil ich alles, was heute spezifisch ›deutsch‹ ist, so sehr hasse.«
Und er schrieb in diesem Roman einen heftigen Dialog. Goldmund berichtet von den Judenverfolgungen, die er mitangesehen hat, und fragt Narziss, ob er, der Abt, wie viele Obrige, den Befehl zu einem derartigen Pogrom geben könne. Narziss verneint, gibt aber zu, dass er gezwungen sein könnte, es mit anzusehen. Goldmund bezeichnet die Welt darauf als eine Hölle, »empörend und scheußlich«. Narziss erwidert kühl: »Gewiss. Die Welt ist nicht anders.«
Etwas von diesem Sprengstoff, der in Hesses scheinbar entrückter Fabel steckt, hätte auch diesem Film gutgetan. Aber das meiste, was Hesses Werk ausmacht, fehlt dieser Verfilmung – das bis in die Kitschästhetik Subversive, das prononciert Uncoole, nicht Zynische, Antischneidige.
Hesse war politisch, er war polemisch. Es ist nicht zu erwarten, dass die Verfilmung seines Romans diese Haltung reproduziert. Aber dem Film fehlt es insgesamt an Haltung. Seine Bildwelten sind erwartbar, er macht alles richtig, schleift sämtliche Ecken ab, siebt die Bröckchen aus. Was dabei rauskommt, ist wenig aussagekräftig. In einem Brief über »Narziss und Goldmund« an seine Schwester vom Anfang der Dreißiger schreibt Hesse: »Diese Widerstände gegen das Anerkennen der körperlichen Liebe sind es, die die meisten Neurosen schaffen, und aus denen meist auch ... übel wirkende Verlogenheit im übrigen Leben entsteht, z. B. in den patriotischen und politischen Dingen.« Einen Blick auf die Zusammenhänge zwischen dieser Art von Verlogenheit und Sexualität heute zu werfen, könnte sich auch ein Film leisten, der großes Gefühlskino sein möchte.
Was bleibt, ist die Geschichte einer, ja, Männerfreundschaft. Diese zu schildern, in ihrer Zartheit und erotischen Färbung (»ich ... habe nie körperlich erotische Beziehungen zu Männern gehabt, aber die Freundschaften deshalb für völlig unerotisch zu halten, scheint mir doch falsch zu sein«, schrieb Hesse in einem Brief), ist das Verdienst von Ruzowitzky. In den heutigen Bildwelten von Netflix und Co. sind Beziehungen unter Männern häufig von Gewalt und Konkurrenz geprägt, ganz sicher nicht von Zärtlichkeit oder seelischer Anziehung. Dem immerhin widerspricht dieser Film.
Thomas Lang, geboren 1967 in Nümbrecht, studierte Literaturwissenschaft in Frankfurt/M. Seit 1997 lebt er als Autor in München. Sein Hermann-Hesse-Roman »Immer nach Hause«, in dem er die jungen Ehe- und Künstlerjahre Hesses rekapituliert, ist 2016 im Berlin Verlag erschienen.