USA 2022 · 137 min. · FSK: ab 16 Regie: Robert Eggers Drehbuch: Robert Eggers, Sjón Kamera: Jarin Blaschke Darsteller: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Claes Bang, Anya Taylor-Joy, Ethan Hawke u.a. |
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Alles mit drin, was es so an nordischen Götter-, Helden- und Naturmythen gibt | ||
(Foto: Universal) |
Es ist, als würde Thors Hammer einen mit voller Wucht im Gesicht treffen. Man sieht nur noch Runen und hört im fernen Walhalla die Trinkhörner zu Bruch gehen. Man darf schon verraten, The Northman ist ein Film, der keine Gefangenen macht. Der gefeierte Indie-Horror-Meister Robert Eggers wagt sich nun also mit einem Riesenbudget und prominentem Cast in Richtung Historienepos vor. So sehr man auch dem Nachfolger von The Witch und Der Leuchtturm entgegenfiebert, das mulmige Gefühl, vielleicht nun einen mainstreamigen Blockbuster zu bekommen, der vielleicht sogar auf der Erfolgswelle der Serie Vikings und der Thor-Filme aus dem Hause Marvel mitreiten will, ist schwer abzustellen. Zur Beruhigung vorab, auch The Northman trägt die hochgelobte Handschrift Eggers' – und ist doch irgendwie anders.
Im Jahr 895 kehrt der Wikingerkönig Aurvandill (Ethan Hawke) aus der Schlacht zurück in sein nordisches Inselreich. Obwohl er und seine Mannen mit dem Sieg nach Hause kommen, hat ihm der Feind eine schwere Wunde geschlagen. Es ist nun also an der Zeit, Prinz Amleth (Oscar Novak) rituell zum Manne zu machen und ihm die Macht zu übertragen. Die Zukunftsaussichten werden jedoch schnell getrübt, oder besser gesagt, in Blut gebadet. Aurvandills Bruder Fjölnir (Claes Bang) lockt den König in einen Hinterhalt, ermordet ihn und reißt dessen Frau (Nicole Kidman) und Reich an sich. Der verstörte Prinz kann gerade noch fliehen und per Boot über den Atlantik entkommen. Der Junge, der gerade noch spielerisch Schneeflocken mit der Zunge fing, ist nun getrieben vom Gedanken, die Mutter zu retten, den Vater zu rächen und nicht zuletzt den Onkel ins Totenreich zu stoßen.
Wer sich nun vor allem angesichts des Namens der Hauptfigur an die bildungsbürgerliche Stirn schlagen will, sollte einen Moment einhalten. Eines der vielen Versatzstücke, aus denen Eggers seinen Northman zusammengebaut hat, ist auch die dänische Amleth-Legende, die für Shakespeare als Vorbild für seine berühmte Tragödie diente. Ansonsten hat der Regisseur alles Mögliche vereint, was es an nordischen Götter-, Helden- und Naturmythen gibt. Das Buch schrieb er übrigens zusammen mit dem isländischen Schriftsteller Sjón, der auch schon am sagendurchtränkten Lamb von Valdimar Jóhannsson beteiligt war.
Doch damit nicht genug, auch was die rein historischen Details, sprich Waffen, Schiffe, Schmuck, Rüstungen etc. angeht, achtete man darauf, ein akkurates Bild der damaligen Zeit zu malen. Sicher werden das die meisten Zuschauer nicht direkt bemerken, doch zu spüren ist es auf jeden Fall. Das liegt dann in erster Linie an der kompromisslosen Inszenierung, die The Northman ausmacht. Der Dreck, der Schnee, das Blut – es ist, als wate man persönlich mit den Figuren hindurch. Etwas wie Romantik kommt an keiner Stelle auf, auch wenn diese Welt durchaus das Mystische atmet und immer wieder Fantastik und Realismus bis zur Unkenntlichkeit vermengt.
Über die Jahre ist Amleth (nun leinwandfüllend verkörpert von Alexander Skarsgård) nun zum breit gebauten Berserker herangewachsen. Mit Axt und übermenschlicher Brutalität löschen er und die Bande, in der er Asyl fand, ganze Dörfer aus, deren brauchbare Bewohner anschließend als Sklaven verkauft werden. Handelt so etwa ein Filmheld? Nun, so handelt ein von Zorn zerfressener Wikinger. Und niemand anderen will Robert Eggers hier auf die Leinwand bringen. Als Amleth mithört, dass einige der neu erbeuteten Menschen an Fjölnir verkauft werden sollen, wird ihm wieder bewusst, dass er sich an das Schicksal halten muss, das die Nornen ihm gesponnen haben. Getarnt als Sklave lässt er sich in die alte Heimat verschiffen, um dort die offene Rechnung zu begleichen.
Auch moralisch gesehen ist hier also nichts in der Moderne angekommen. Skarsgård prescht als brutaler Hüne durch das Geschehen, dass es nur so staubt. Das Level, das dabei an Gewalt erreicht wird, ist eine Premiere im Schaffen Eggers. The Northman ist durch und durch ein Schlachtengemälde, jedoch gemalt in mitunter erschreckend schönen Farben. Genauso ungestüm und unaufhaltsam, wie seine Hauptfigur sich durch das Geschehen schlägt, ist auch der ganze Film erzählt.
Diese Geradlinigkeit kennt man bereits von The Witch und Der Leuchtturm. Da führte die ganze Handlung ohne Umschweife direkt in den Untergang. In beiden Fällen bildete sich diese Abwärtsspirale aus Aberglaube und Angst sowie unterdrückten oder neu aufkeimenden Sehnsüchten, die jedoch nie so ganz durchleuchtet werden. Bei The Northman ist das ganz anders, trotz der übersinnlichen Einsprengsel scheint sich hier alles an der Oberfläche abzuspielen. Amleths Beweggründe liegen ganz klar auf dem Tisch. Man fragt sich zwar, ob diese Reise nun nach Walhalla oder Helheim geht, doch die physische Wucht, mit der sie in Szene gesetzt ist, lässt schnell keinen Zweifel aufkommen, dass sie vor allem auf eines zuläuft: den unausweichlichen Racheakt.
Es ist naheliegend, das als negativen Punkt zu bewerten. Auch eine wirkliche Figurenentwicklung bleibt auf der Strecke. Amleth bleibt bis zuletzt »ein Mann, der tut, was ein Mann tun muss«. Olga (Anya Taylor-Joy), seine Partnerin im Geiste, in der Sklaverei und der körperlichen Vereinigung, verkörpert durchgehend unschuldige, heilige Weiblichkeit. Dazu muss man sagen, dass es bei der ganzen Detailversessenheit natürlich irritierend wäre, moderne Rollendiskurse einfließen zu lassen. Nichtsdestotrotz lässt The Northman einen mit einer Spur von Ernüchterung zurück. Bei all der sichtlichen Mühe und Liebe zum Stoff wird man das Gefühl nicht los, dass alles hauptsächlich auf Epik und großes Gematsche reduziert ist. Sieht man sich im Anschluss noch einmal Nicolas Winding Refns Walhalla Rising an, wird auch noch mal klar, was diesem Film fehlt. Es ist das Sinistre des Mystischen, das er zwar mitunter auffängt, doch nicht in seiner ganzen Breite entfaltet. Das Gefühl, das Der Leuchtturm hinterließ, die Ahnung, dass es hier mehr zu entdecken gibt, als man sehen konnte, will sich nicht so recht einstellen.
Aber warum bleibt The Northman trotzdem so lange im Kopf? Warum bebt man auch nach dem Abspann noch im Innersten? Weil er auf seine ganz eigene Weise dann doch wunderbar funktioniert. Robert Eggers zimmert hier kein Wikingerbild zurecht, das auf ein Multiplex- oder Arthaus-Publikum zugeschnitten ist, sondern verfährt hier selbst wie ein Berserker, der seinen Rausch auf die Leinwand projiziert. The Northman ist nichts anderes als der konsequente Versuch, archaisches Kino machen. Dabei bleiben einige Elemente auf der Strecke, doch das Gesamtbild wirkt nach. Das Empfehlenswerteste ist wahrscheinlich, den Schädel einfach für den Hammerschlag hinzuhalten und voll ins Delirium einzusteigen. Wie man am Ende nun auch zu diesem Film steht, dass Action selten mit derartiger Liebe zum Stil bei gleichzeitigem Verzicht auf jegliche Umschweife inszeniert wird, sieht man selten.
»Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen. ... Mythologisch heißt das: Heimkehr der Asen, weiße Erde von Thule bis Avalon, imperiale Symbole darauf: Fackeln und Äxte. ... Nicht Kunst, Ritual wird um die Fackeln, um die Feuer stehen.« – Gottfried Benn, »Bekenntnis zum Expressionismus«; zuerst 5.11.1933
Ein Traum von Odin und Walhalla, von Härte und Schwere von Blut und Boden. Seltsam bekannt und nahe kommen die ersten Worte uns vor, raunen von der Gegenwart, nicht nur von fernen Zeiten.
Da steht er, der kleine Prinz. Unschuldig und mit großen Augen blickt er auf die Männerwelt, in die hinein er geboren ist, vergöttert den Vater – »He is here. He is here! ... Father! ... The King Mylady, the King«, jauchzt er in den ersten Minuten – und freut sich, dass dieser mit reichen Schätzen von seinem Beutezug heimgekehrt ist. Fast ein Hauch von »Wickie«, dem Wikinger-Jungen der Zeichentrickserie unserer Kindheit streicht dafür ein paar Sekunden lang durch diesen so ganz anderen Film.
Denn wir befinden uns im Jahr 895 in Island im frühen Mittelalter. Die Welt ist hart. Man träumt von Walküren und Walhalla, glaubt an Odin und andere archaische Götter, lässt sich von Hexen-Orakeln in schmutzigen Erdlöchern die Zukunft vorhersagen. Und wenn es draußen schon dauerkalt ist, so herrscht in den Herzen regelrechte Eiszeit.
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Das zeigt sich schnell, als der König von seinem verräterischen Bruder Fjölnir ermordet wird. Es folgt ein böser Fluch des sterbenden Fürsten: »Your Kingdom will not last!« Aber der böse Onkel ist auch nur ein Getriebener, wie sich noch herausstellen wird...
Erstmal aber folgt ein Massaker unter der Familie und den Gefolgsleuten des Königs. Der kleine Thronfolger selbst kann allerdings im letzten Moment fliehen, nicht ohne bitterliche Racheschwüre: »I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle.«
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So geht es dann weiter, ein Zeitsprung, und der Prinz, der übrigens Amleth heißt, ist erwachsen und muskulös geworden. Alles andere als ein Zauderer. Irgendwo fern der Heimat treibt er sich rum mit einem Stamm von Menschen in Wolfpelzen im »Land der Rus«, wie ein Untertitel erklärt, und tut das, was hier alle tun: Er kämpft und mordet, raubt und plündert, marodiert, brandschatzt und fängt zukünftige Sklaven.
Wer Lust hat, sich einmal diesen kurzen Ausschnitt anzuschauen, vor allem die erste ungeschnittene Minute des Clips, bekommt einen ganz guten Eindruck von diesem Film und davon, was die Zuschauer erwartet. Stille und ruhige Momente, Poesie und Gedanken sind seine Sache nicht.
Dabei ist The Northman, die mit Dutzenden von Stars – wie Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Claes Bang und Björk – glanzvoll besetzte Hollywood-Produktion von Robert Eggers, den manche seit seinem Film Der Leuchtturm für ein Genie halten, der in jedem Fall der neue Regie-Shootingstar des US-Kinos und am Set ein berüchtigter Kontrollfreak ist, dieser Film also ist keineswegs ein dummer Film.
Im Zweifel hat sich das Team mit diversen Ethnologen auch über die Welt der Wikinger um das Jahr 900 informiert und von Experten gut beraten lassen und alle möglichen historischen Fakten en passant in diesen Film eingebaut. Irgendwie hat sich die Mühe auch gelohnt, denn man bekommt zumindest eine Vorstellung davon, wie das Leben unter Wikingern im Jahr 900 so ungefähr gewesen sein mag. Andererseits war letztlich niemand von uns dabei, und auch Experten projizieren immer wieder nicht zuletzt eigene Vorstellungen und Annahmen, eigene Werturteile und Parteinahmen in Forschungsstreitigkeiten. Deswegen ist es vielleicht doch alles ein einziges riesiges Klischee, auch da, wo man Einzelheiten gut belegen kann. Wir kennen das zur Genüge aus deutschen Filmen über die Nazizeit: Da stimmt jede Schulterklappe, jedes Totenkopf-Emblem sitzt an der richtigen Stelle und die Uniformen sitzen perfekt – und doch ist alles mit großer Genauigkeit grundfalsch.
Irritiert hat mich zumindest eines: Schon wenn man sich sehr oberflächlich über Island und die Wikinger informiert, kann man erfahren, dass es vielleicht bereits vorher ein paar sehr kleine Siedlungen gab, die Insel aber erst wirklich um das Jahr 870 besiedelt wurde. Nur 25 Jahre später sollen die Ereignisse dieses Films schon beginnen – ganz offensichtlich gibt es da auf Island schon eine Form von primitiver Staatlichkeit und Kultur.
Auch sonst bleibt der Film trotz all der Rituale, übernatürlichen Phänomene – im Himmel reitende Valküren, sprechende Vulkane – »Edda«-Zitate und anderem nordischem Hokuspokus eher oberflächlich.
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Herausgekommen ist bei aller historischer Grundierung gleichwohl eine Gewaltorgie, eine der blutrünstigsten und handlungsärmsten US-Großproduktionen seit dem Spartaner-Untergangsdrama 300 von Zack Snyder, der auch mal so ein Regie-Shootingstar gewesen ist.
Was man Eggers zugutehalten muss, ist, dass er nicht den üblichen pathetischen Heldenschinken abliefert, auf den das Action-Kino-Hollywoods in den letzten 20 Jahren heruntergekommen ist: Pubertierende Superhelden, die irgendwann ihr Vater-Problem lösen müssen, oder Familien gründen oder vorhandene verteidigen. Andererseits ist dieser Prinz Amleth, der mit der Shakespeare-Figur vor allem die gleiche nordische Sage als Ausgangsquelle gemeinsam hat, durchaus mit einer Figur wie Batman verwandt: Ein düsterer Einzelgänger, der durch die Ermordung seines Vaters traumatisiert, diesen rächen und Ordnung in eine chaotische Welt bringen will.
Mit Shakespeare hat das nichts zu tun. Eggers macht aus Hamlet eine Schlachtplatte.
Mit Game of Thrones kann man schon eher manches oberflächlich vergleichen. Der Unterschied liegt aber darin, dass sich The Northman unendlich viel ernster nimmt. Auf Humor wird in zweieinhalb Stunden komplett verzichtet. Schon das macht diesen Film schwer erträglich und zu einem üblichen Produkt unserer Gegenwart – über diese Gegenwart wird man sich in späteren Zeiten sehr wundern. Denn nie gab es eine Epoche der Kinogeschichte, die humorloser war als die jetzige.
In seinem Bierernst ähnelt The Northman dem Film The Revenant, bei dem ein wortkarger zotteliger Einzelner zweieinhalb Stunden lang durch eine eiskalte Waldlandschaft stapft, um irgendwann einen Rache-Job zu vollenden. Und bei dem sich auch die Geister schieden.
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Und der Film als Film? Die Bilder sind zum Teil beeindruckend, und in den Kampfszenen der wirkliche Pluspunkt des Films. Die Kamera von Eggers' Stamm-DP Jarin Blaschke ist rastlos und muskulös wie der Held, es geht immer vorwärts durch Regen, Wind, Schlamm und Asche, Schnee und Eis peitschend, in langen, ununterbrochenen Fahrten.
Die Charakterzeichnung aber ist mangelhaft. Zuerst sehen wir ein gebrochenes Kind, das alles außer seinem nackten Leben verloren hat, nur um es zwei Minuten später als Erwachsener zu sehen, der sich ohne mit der Wimper zu zucken als blutrünstiger Schlagetot durch die Leinwand hackt und dabei nebenbei Dutzende solcher Kinder tötet.
Alles kann damit entschuldigt werden, dass der Regisseur ja ach so genau ist, und »keinen Film für unsere Zeit machen« wollte, sondern »die Sicht der Wikinger auf die Leinwand bringen« wollte. Aber mit diesem schlichten Argument kann man alles entschuldigen und nichts überprüfen. Wenn das der Zuschauer nicht versteht, dann ist das eben nicht das Unvermögen der Filmemacher, sondern nordische Mythologie, eine andere Welt, eine andere Kultur, über die wir überzivilisierten Liberalen nicht richten dürfen oder gar können.
Die Frage aber bleibt: Warum das Ganze? Gesetzt, es wäre Robert Eggers wirklich gelungen, sich und uns in die Weltsicht der Wikinger zu versetzen, dann bleibt doch die Frage, wozu das eigentlich gut sein soll?
Und natürlich die Frage, was es über unsere Zeit aussagt, wenn sich offenbar Millionen Menschen tatsächlich davon begeistern lassen, virtuell in einen Haufen primitiver Mordbuben verwandelt zu werden? Als Trainingsspiel für den nächsten Kriegseinsatz mag das Ganze noch
angehen. Aber als Unterhaltung? Als Kunst?
Immer wieder kippt die hysterische, allzu gewollte Intensität in Albernheit um. Übertreibung wird zur Lächerlichkeit, Exzess zur Prätention.
Warum ein Film wie dieser jetzt ins Kino kommt, kann man sich recht gut erklären. Da ist zum einen die Tatsache, dass das Nordische und die nordische Mythologie und Geschichte gerade schwer in Mode sind, seit mehrere Wikinger-Serien auf den bekannten Streaming-Plattformen Erfolge haben.
Es gab sowieso immer mal wieder Wikinger-Filme im Kino. Unvergessen ist The Vikings, in dem Kirk Douglas und Tony Curtis im Lendenschurz über die Leinwand der späten 50er Jahre hüpften. Ich glaube, ich habe Kirk Douglas überhaupt zuerst durch diesen Film kennengelernt. Ein Sklave und ein Wikingerprinz kämpfen darin um die Liebe einer gefangenen Prinzessin (Janet Leigh). The Vikings stammt von Richard Fleischer, dem – nomen est omen – Genie des Trashigen im Hollywood-Kino jener Jahre.
Die Wikinger wirken hier richtig zivilisiert, eben wie die ersten Amerikaner, die Vorläufer jener weißen angelsächsischen Protestanten, die 1776 das neue Jerusalem gründeten. In Eggers' Film wirken sie nicht mehr so zivilisiert wie dort, eher wie ein
Indianerstamm, wie unzivilisierte Halbprimitive, die von einem merkwürdigen System aus Aberglaube und Opfer-Ritualen und vor allem durch härteste Gewalt zusammengehalten werden.
Historisch gesehen hat das manches für sich – wahrscheinlich waren die Wikinger schon ein bisschen zivilisierter und menschlicher, als sie in diesem Film erscheinen.
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Aber natürlich waren früher Gesellschaften auf Blut, Furcht und Eigennutz gebaut. Nur ist dies ja keine historische Dokumentation, die für den Discovery Channel oder Terra X gemacht ist, sondern ein Blockbuster, ein Film, der Millionen begeistern und fesseln soll, um Millionen zu erwirtschaften.
So gesehen glaubt man eher, dass diese Orgien aus Gewalt und Primitivität für die Macher und das von ihnen anvisierte heutige Publikum einerseits eine Entlastungsfunktion haben; man lebt also im Kino aus, was im wahren Leben nicht mehr erlaubt ist.
Doch im selben Atemzug äußert sich hier andererseits auch eine verborgene Sehnsucht nach der Klarheit des Primitiven. Nach der Einfachheit einer Gesellschaft, die alle Komplexität abwirft und in der der körperlich und
militärisch Stärkste regiert.
»Oh, dass wir unsre Ururahnen wären...«
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Diese einhellige Liebe zum Primitiven verwundert – »das könnt ihr doch nicht ernst meinen« will man dauernd aufstöhnen: »Nackte Männer dreschen aufeinander ein, dreck- und blutübersudelt – das alles hat keinen Charme, keine Eleganz außer dem Charme und der Eleganz der Rohheit. Eine Form von unverhohlenem Primitivismus.«
Wir sehen hier also amerikanische Träume; Träume vom Primitivismus und vom Neuanfang und von einer Welt voller Gewalt, gegen die die Wolfswelt des Hobbeschen Leviathan gar nichts ist. Der Körper ist zum Zerschlagen und Zerhacken da, die Menschen werden auf jede mit den damaligen Waffen denkbare Art verstümmelt und malträtiert. Erlaubt ist, was dem Volk, dem Reich und vor
allem ihren Führern nutzt. Wir erleben gerade realpolitisch in unserer Gegenwart, wohin so etwas führen kann.
Keine Überraschung ist daher, dass die ästhetischen Treuhänder Hollywoods auch in Deutschland hier loyal sind. Sie lieben diesen Film. Sie preisen die intensive, düstere, böse, abgründige Atmosphäre.
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Im Film geht es der Hauptfigur ähnlich: Monomanisch kreisen die Rachegedanken in seinem Hirn, der eine Reim, der ihn seit seiner Kindheit begleitet: »I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle.«
Der Traum der Kindheit hat sich schon lange gewandelt zu einem Alb, den er nicht loswird. Er raunt in ihm. »It’s a nightmare.« weiß Amleth. »Then you might wake up«, flüstert seine Begleiterin Olga ihm zu. Er könnte aufwachen. Aber in seinem Innersten
will er gar nicht.
Diese Olga, eine Russin, die man heute vielleicht gern in Ukrainerin umbenannt hätte, ist das einzig menschliche Wesen in diesem Film – jedenfalls in unserem zeitgenössischen Sinn von Humanität. Sie gehört zu jener Gruppe von Sklaven, der sich Amleth freiwillig angeschlossen hat, um unerkannt nach Island zu kommen und seine blutrünstigen Pläne zu realisieren.
Amleth weiß, dass Schicksal Schicksal ist. Und wenn Björk in ihrem ersten Spielfilm-Auftritt seit Dancer in the Dark einem sagt, dass man sein Schicksal erfüllen muss, dann nimmst man es halt ernst. Erst recht als Wikinger.
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Viel lieber allerdings würden wir Amleth dabei zusehen, wie er etwas Überraschendes tut und sein Leben in die eigenen Hände nimmt. Aber The Northman bleibt von Anfang bis Ende ein grausames und geradliniges Spektakel. Nur ist das, was zwischen den blutigen Schlachten passiert, nicht spannend genug.
Immerhin an Hamlet dürfen wir am Ende doch noch
einmal denken, als die von Nicole Kidman gespielte Mutter wieder auftaucht. Wie war das noch bei Shakespeare?
Hier nun wird man als Zuschauer fast von selbst auf psychoanalytische Deutungsmuster geführt. Denn als Amleth von seiner Mami zurückgewiesen wird, und er sich, weil er Mami nicht befreien kann, kurz mal auf das Russengirl Olga einlässt, ist es auch mit dem tatsächlich hollywoodesken Hoffnungsschimmer so schnell wieder vorbei, wie mit dem schönen Wetter in Island. Amleth
scheut das Weib und tötet lieber. Schicksal ist Schicksal. Sein Leben ausschließlich der Rache zu widmen, vor allem wenn man es stattdessen mit Anya Taylor-Joy verbringen könnte, ist trotzdem ziemlich dumm und glücklicherweise unzeitgemäß.
So bleibt am Schluss die Frage: Wie kann etwas nur so blutig und langweilig zugleich sein?
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Die einzige echte Rechtfertigung für diesen Film ist sein Umfeld: Eine mehr und mehr homogenisierte Kinolandschaft, die so sehr von leerem Spektakel entmachtet wurde, in dem Kritiker darauf konditioniert wurden, milde Überraschungen wie Staatsgeheimnisse zu behandeln, ihrem Geschmack nicht mehr zu vertrauen, auf Bildung keinen Wert zu legen und aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. In so einem Umfeld muss dann Robert Eggers wirklich als Genie erscheinen. Und in so einem Umfeld und einer Kino-Ära, die von Kompromissen geprägt und fast zerstört wurde, ist The Northman in seiner Kompromisslosigkeit und Arroganz und Weigerung, sich Vorgaben zu unterwerfen, tatsächlich einer der wichtigen und bleibenden Filme des Jahres. Faszinierend in seiner Primitivität, seinem blutgetränkten magischen Realismus, seiner Verrücktheit, seinem Exzess. Ein Film mit der Wucht einer Walküre. Beiden möchte man nicht im Dunkeln begegnen.
Er erinnert uns daran, wie selten wir heutzutage ein großes, lautes Spektakel zu sehen bekommen, das nicht auf Superhelden und Schurken aus den Comics basiert, sondern auf der kühnen Phantasie, oder wenigstens dem schlechten Geschmack und der Geldgier eines Menschen. Das allein verdient schon Respekt.
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»...unser Jahrhundert, Götterdämmerung, Ragnarök –, menschliche Zeiten, liberale: Aufwartungs- und Halbtagsvorstellungen von allen Dingen, nichts wird rund gesehen, nichts allgemein. Alles ist uferlos, ideologisch und jeder darf entweichen. Aber da hämmert eine Gruppe das Absolute – ihm verfallend, aber es geistig überwindend – in abstrakte harte Formen: Bild, Vers, Flötenlied.« – Gottfried Benn, s.o.