The Northman

USA 2022 · 137 min. · FSK: ab 16
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: ,
Kamera: Jarin Blaschke
Darsteller: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Claes Bang, Anya Taylor-Joy, Ethan Hawke u.a.
Filmszene »The Northman«
Alles mit drin, was es so an nordischen Götter-, Helden- und Naturmythen gibt
(Foto: Universal)

Nordischer Zorn

Mit seiner kompromisslosen Wikinger-Walze kommt Robert Eggers ins Kino zurück. Was man von diesem Film halten soll, ist schwer zu sagen. Eine brutale Lektion in Sachen archaisches Kino ist er aber sicher für jeden Zuschauer.

Es ist, als würde Thors Hammer einen mit voller Wucht im Gesicht treffen. Man sieht nur noch Runen und hört im fernen Walhalla die Trink­hörner zu Bruch gehen. Man darf schon verraten, The Northman ist ein Film, der keine Gefan­genen macht. Der gefeierte Indie-Horror-Meister Robert Eggers wagt sich nun also mit einem Riesen­budget und promi­nentem Cast in Richtung Histo­rien­epos vor. So sehr man auch dem Nach­folger von The Witch und Der Leucht­turm entge­gen­fie­bert, das mulmige Gefühl, viel­leicht nun einen main­strea­m­igen Block­buster zu bekommen, der viel­leicht sogar auf der Erfolgs­welle der Serie Vikings und der Thor-Filme aus dem Hause Marvel mitreiten will, ist schwer abzu­stellen. Zur Beru­hi­gung vorab, auch The Northman trägt die hoch­ge­lobte Hand­schrift Eggers' – und ist doch irgendwie anders.

Im Jahr 895 kehrt der Wikin­ger­könig Aurvan­dill (Ethan Hawke) aus der Schlacht zurück in sein nordi­sches Insel­reich. Obwohl er und seine Mannen mit dem Sieg nach Hause kommen, hat ihm der Feind eine schwere Wunde geschlagen. Es ist nun also an der Zeit, Prinz Amleth (Oscar Novak) rituell zum Manne zu machen und ihm die Macht zu über­tragen. Die Zukunfts­aus­sichten werden jedoch schnell getrübt, oder besser gesagt, in Blut gebadet. Aurvan­dills Bruder Fjölnir (Claes Bang) lockt den König in einen Hinter­halt, ermordet ihn und reißt dessen Frau (Nicole Kidman) und Reich an sich. Der verstörte Prinz kann gerade noch fliehen und per Boot über den Atlantik entkommen. Der Junge, der gerade noch spie­le­risch Schnee­flo­cken mit der Zunge fing, ist nun getrieben vom Gedanken, die Mutter zu retten, den Vater zu rächen und nicht zuletzt den Onkel ins Toten­reich zu stoßen.

Wer sich nun vor allem ange­sichts des Namens der Haupt­figur an die bildungs­bür­ger­liche Stirn schlagen will, sollte einen Moment einhalten. Eines der vielen Versatz­stücke, aus denen Eggers seinen Northman zusam­men­ge­baut hat, ist auch die dänische Amleth-Legende, die für Shake­speare als Vorbild für seine berühmte Tragödie diente. Ansonsten hat der Regisseur alles Mögliche vereint, was es an nordi­schen Götter-, Helden- und Natur­my­then gibt. Das Buch schrieb er übrigens zusammen mit dem islän­di­schen Schrift­steller Sjón, der auch schon am sagen­durch­tränkten Lamb von Valdimar Jóhannsson beteiligt war.

Doch damit nicht genug, auch was die rein histo­ri­schen Details, sprich Waffen, Schiffe, Schmuck, Rüstungen etc. angeht, achtete man darauf, ein akkurates Bild der damaligen Zeit zu malen. Sicher werden das die meisten Zuschauer nicht direkt bemerken, doch zu spüren ist es auf jeden Fall. Das liegt dann in erster Linie an der kompro­miss­losen Insze­nie­rung, die The Northman ausmacht. Der Dreck, der Schnee, das Blut – es ist, als wate man persön­lich mit den Figuren hindurch. Etwas wie Romantik kommt an keiner Stelle auf, auch wenn diese Welt durchaus das Mystische atmet und immer wieder Fantastik und Realismus bis zur Unkennt­lich­keit vermengt.

Über die Jahre ist Amleth (nun lein­wand­fül­lend verkör­pert von Alexander Skarsgård) nun zum breit gebauten Berserker heran­ge­wachsen. Mit Axt und über­mensch­li­cher Bruta­lität löschen er und die Bande, in der er Asyl fand, ganze Dörfer aus, deren brauch­bare Bewohner anschließend als Sklaven verkauft werden. Handelt so etwa ein Filmheld? Nun, so handelt ein von Zorn zerfres­sener Wikinger. Und niemand anderen will Robert Eggers hier auf die Leinwand bringen. Als Amleth mithört, dass einige der neu erbeu­teten Menschen an Fjölnir verkauft werden sollen, wird ihm wieder bewusst, dass er sich an das Schicksal halten muss, das die Nornen ihm gesponnen haben. Getarnt als Sklave lässt er sich in die alte Heimat verschiffen, um dort die offene Rechnung zu beglei­chen.

Auch moralisch gesehen ist hier also nichts in der Moderne ange­kommen. Skarsgård prescht als brutaler Hüne durch das Geschehen, dass es nur so staubt. Das Level, das dabei an Gewalt erreicht wird, ist eine Premiere im Schaffen Eggers. The Northman ist durch und durch ein Schlach­ten­ge­mälde, jedoch gemalt in mitunter erschre­ckend schönen Farben. Genauso ungestüm und unauf­haltsam, wie seine Haupt­figur sich durch das Geschehen schlägt, ist auch der ganze Film erzählt.

Diese Gerad­li­nig­keit kennt man bereits von The Witch und Der Leucht­turm. Da führte die ganze Handlung ohne Umschweife direkt in den Untergang. In beiden Fällen bildete sich diese Abwärts­spi­rale aus Aber­glaube und Angst sowie unter­drückten oder neu aufkei­menden Sehn­süchten, die jedoch nie so ganz durch­leuchtet werden. Bei The Northman ist das ganz anders, trotz der über­sinn­li­chen Einsprengsel scheint sich hier alles an der Ober­fläche abzu­spielen. Amleths Beweg­gründe liegen ganz klar auf dem Tisch. Man fragt sich zwar, ob diese Reise nun nach Walhalla oder Helheim geht, doch die physische Wucht, mit der sie in Szene gesetzt ist, lässt schnell keinen Zweifel aufkommen, dass sie vor allem auf eines zuläuft: den unaus­weich­li­chen Racheakt.

Es ist nahe­lie­gend, das als negativen Punkt zu bewerten. Auch eine wirkliche Figu­ren­ent­wick­lung bleibt auf der Strecke. Amleth bleibt bis zuletzt »ein Mann, der tut, was ein Mann tun muss«. Olga (Anya Taylor-Joy), seine Partnerin im Geiste, in der Sklaverei und der körper­li­chen Verei­ni­gung, verkör­pert durch­ge­hend unschul­dige, heilige Weib­lich­keit. Dazu muss man sagen, dass es bei der ganzen Detail­ver­ses­sen­heit natürlich irri­tie­rend wäre, moderne Rollen­dis­kurse einfließen zu lassen. Nichts­des­to­trotz lässt The Northman einen mit einer Spur von Ernüch­te­rung zurück. Bei all der sicht­li­chen Mühe und Liebe zum Stoff wird man das Gefühl nicht los, dass alles haupt­säch­lich auf Epik und großes Gematsche reduziert ist. Sieht man sich im Anschluss noch einmal Nicolas Winding Refns Walhalla Rising an, wird auch noch mal klar, was diesem Film fehlt. Es ist das Sinistre des Mysti­schen, das er zwar mitunter auffängt, doch nicht in seiner ganzen Breite entfaltet. Das Gefühl, das Der Leucht­turm hinter­ließ, die Ahnung, dass es hier mehr zu entdecken gibt, als man sehen konnte, will sich nicht so recht einstellen.

Aber warum bleibt The Northman trotzdem so lange im Kopf? Warum bebt man auch nach dem Abspann noch im Innersten? Weil er auf seine ganz eigene Weise dann doch wunderbar funk­tio­niert. Robert Eggers zimmert hier kein Wikin­ger­bild zurecht, das auf ein Multiplex- oder Arthaus-Publikum zuge­schnitten ist, sondern verfährt hier selbst wie ein Berserker, der seinen Rausch auf die Leinwand proji­ziert. The Northman ist nichts anderes als der konse­quente Versuch, archai­sches Kino machen. Dabei bleiben einige Elemente auf der Strecke, doch das Gesamt­bild wirkt nach. Das Empfeh­lens­wer­teste ist wahr­schein­lich, den Schädel einfach für den Hammer­schlag hinzu­halten und voll ins Delirium einzu­steigen. Wie man am Ende nun auch zu diesem Film steht, dass Action selten mit derar­tiger Liebe zum Stil bei gleich­zei­tigem Verzicht auf jegliche Umschweife insze­niert wird, sieht man selten.

Vater, Mutter, Mörder

Von Amleth zu Hamlet und wieder zurück: Robert Eggers' Northman hackt sich handlungsarm und primitiv über die Leinwand, liegt aber immerhin auch mit unserer homogenisierten Kinolandschaft in Fehde

»Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen. ... Mytho­lo­gisch heißt das: Heimkehr der Asen, weiße Erde von Thule bis Avalon, imperiale Symbole darauf: Fackeln und Äxte. ... Nicht Kunst, Ritual wird um die Fackeln, um die Feuer stehen.« – Gottfried Benn, »Bekenntnis zum Expres­sio­nismus«; zuerst 5.11.1933

Ein Traum von Odin und Walhalla, von Härte und Schwere von Blut und Boden. Seltsam bekannt und nahe kommen die ersten Worte uns vor, raunen von der Gegenwart, nicht nur von fernen Zeiten.

Da steht er, der kleine Prinz. Unschuldig und mit großen Augen blickt er auf die Männer­welt, in die hinein er geboren ist, vergöt­tert den Vater – »He is here. He is here! ... Father! ... The King Mylady, the King«, jauchzt er in den ersten Minuten – und freut sich, dass dieser mit reichen Schätzen von seinem Beutezug heim­ge­kehrt ist. Fast ein Hauch von »Wickie«, dem Wikinger-Jungen der Zeichen­trick­serie unserer Kindheit streicht dafür ein paar Sekunden lang durch diesen so ganz anderen Film.

Denn wir befinden uns im Jahr 895 in Island im frühen Mittel­alter. Die Welt ist hart. Man träumt von Walküren und Walhalla, glaubt an Odin und andere archai­sche Götter, lässt sich von Hexen-Orakeln in schmut­zigen Erdlöchern die Zukunft vorher­sagen. Und wenn es draußen schon dauerkalt ist, so herrscht in den Herzen regel­rechte Eiszeit.

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Das zeigt sich schnell, als der König von seinem verrä­te­ri­schen Bruder Fjölnir ermordet wird. Es folgt ein böser Fluch des ster­benden Fürsten: »Your Kingdom will not last!« Aber der böse Onkel ist auch nur ein Getrie­bener, wie sich noch heraus­stellen wird...

Erstmal aber folgt ein Massaker unter der Familie und den Gefolgs­leuten des Königs. Der kleine Thron­folger selbst kann aller­dings im letzten Moment fliehen, nicht ohne bitter­liche Rache­schwüre: »I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle.«

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So geht es dann weiter, ein Zeit­sprung, und der Prinz, der übrigens Amleth heißt, ist erwachsen und muskulös geworden. Alles andere als ein Zauderer. Irgendwo fern der Heimat treibt er sich rum mit einem Stamm von Menschen in Wolf­pelzen im »Land der Rus«, wie ein Unter­titel erklärt, und tut das, was hier alle tun: Er kämpft und mordet, raubt und plündert, marodiert, brand­schatzt und fängt zukünf­tige Sklaven.

Wer Lust hat, sich einmal diesen kurzen Ausschnitt anzu­schauen, vor allem die erste unge­schnit­tene Minute des Clips, bekommt einen ganz guten Eindruck von diesem Film und davon, was die Zuschauer erwartet. Stille und ruhige Momente, Poesie und Gedanken sind seine Sache nicht.

Dabei ist The Northman, die mit Dutzenden von Stars – wie Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Claes Bang und Björk – glanzvoll besetzte Hollywood-Produk­tion von Robert Eggers, den manche seit seinem Film Der Leucht­turm für ein Genie halten, der in jedem Fall der neue Regie-Shoo­ting­star des US-Kinos und am Set ein berüch­tigter Kontroll­freak ist, dieser Film also ist keines­wegs ein dummer Film.

Im Zweifel hat sich das Team mit diversen Ethno­logen auch über die Welt der Wikinger um das Jahr 900 infor­miert und von Experten gut beraten lassen und alle möglichen histo­ri­schen Fakten en passant in diesen Film eingebaut. Irgendwie hat sich die Mühe auch gelohnt, denn man bekommt zumindest eine Vorstel­lung davon, wie das Leben unter Wikingern im Jahr 900 so ungefähr gewesen sein mag. Ande­rer­seits war letztlich niemand von uns dabei, und auch Experten proji­zieren immer wieder nicht zuletzt eigene Vorstel­lungen und Annahmen, eigene Wert­ur­teile und Partei­nahmen in Forschungs­strei­tig­keiten. Deswegen ist es viel­leicht doch alles ein einziges riesiges Klischee, auch da, wo man Einzel­heiten gut belegen kann. Wir kennen das zur Genüge aus deutschen Filmen über die Nazizeit: Da stimmt jede Schul­ter­klappe, jedes Totenkopf-Emblem sitzt an der richtigen Stelle und die Uniformen sitzen perfekt – und doch ist alles mit großer Genau­ig­keit grund­falsch.

Irritiert hat mich zumindest eines: Schon wenn man sich sehr ober­fläch­lich über Island und die Wikinger infor­miert, kann man erfahren, dass es viel­leicht bereits vorher ein paar sehr kleine Sied­lungen gab, die Insel aber erst wirklich um das Jahr 870 besiedelt wurde. Nur 25 Jahre später sollen die Ereig­nisse dieses Films schon beginnen – ganz offen­sicht­lich gibt es da auf Island schon eine Form von primi­tiver Staat­lich­keit und Kultur.

Auch sonst bleibt der Film trotz all der Rituale, über­na­tür­li­chen Phänomene – im Himmel reitende Valküren, spre­chende Vulkane – »Edda«-Zitate und anderem nordi­schem Hokus­pokus eher ober­fläch­lich.

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Heraus­ge­kommen ist bei aller histo­ri­scher Grun­die­rung gleich­wohl eine Gewalt­orgie, eine der blut­rüns­tigsten und hand­lungs­ärmsten US-Groß­pro­duk­tionen seit dem Spartaner-Unter­gangs­drama 300 von Zack Snyder, der auch mal so ein Regie-Shoo­ting­star gewesen ist.

Was man Eggers zugu­te­halten muss, ist, dass er nicht den üblichen pathe­ti­schen Helden­schinken abliefert, auf den das Action-Kino-Holly­woods in den letzten 20 Jahren herun­ter­ge­kommen ist: Puber­tie­rende Super­helden, die irgend­wann ihr Vater-Problem lösen müssen, oder Familien gründen oder vorhan­dene vertei­digen. Ande­rer­seits ist dieser Prinz Amleth, der mit der Shake­speare-Figur vor allem die gleiche nordische Sage als Ausgangs­quelle gemeinsam hat, durchaus mit einer Figur wie Batman verwandt: Ein düsterer Einzel­gänger, der durch die Ermordung seines Vaters trau­ma­ti­siert, diesen rächen und Ordnung in eine chao­ti­sche Welt bringen will.

Mit Shake­speare hat das nichts zu tun. Eggers macht aus Hamlet eine Schlacht­platte.

Mit Game of Thrones kann man schon eher manches ober­fläch­lich verglei­chen. Der Unter­schied liegt aber darin, dass sich The Northman unendlich viel ernster nimmt. Auf Humor wird in zwei­ein­halb Stunden komplett verzichtet. Schon das macht diesen Film schwer erträ­g­lich und zu einem üblichen Produkt unserer Gegenwart – über diese Gegenwart wird man sich in späteren Zeiten sehr wundern. Denn nie gab es eine Epoche der Kino­ge­schichte, die humor­loser war als die jetzige.

In seinem Bierernst ähnelt The Northman dem Film The Revenant, bei dem ein wort­karger zotte­liger Einzelner zwei­ein­halb Stunden lang durch eine eiskalte Wald­land­schaft stapft, um irgend­wann einen Rache-Job zu vollenden. Und bei dem sich auch die Geister schieden.

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Und der Film als Film? Die Bilder sind zum Teil beein­dru­ckend, und in den Kampf­szenen der wirkliche Pluspunkt des Films. Die Kamera von Eggers' Stamm-DP Jarin Blaschke ist rastlos und muskulös wie der Held, es geht immer vorwärts durch Regen, Wind, Schlamm und Asche, Schnee und Eis peit­schend, in langen, unun­ter­bro­chenen Fahrten.

Die Charak­ter­zeich­nung aber ist mangel­haft. Zuerst sehen wir ein gebro­chenes Kind, das alles außer seinem nackten Leben verloren hat, nur um es zwei Minuten später als Erwach­sener zu sehen, der sich ohne mit der Wimper zu zucken als blut­rüns­tiger Schla­getot durch die Leinwand hackt und dabei nebenbei Dutzende solcher Kinder tötet.

Alles kann damit entschul­digt werden, dass der Regisseur ja ach so genau ist, und »keinen Film für unsere Zeit machen« wollte, sondern »die Sicht der Wikinger auf die Leinwand bringen« wollte. Aber mit diesem schlichten Argument kann man alles entschul­digen und nichts über­prüfen. Wenn das der Zuschauer nicht versteht, dann ist das eben nicht das Unver­mögen der Filme­ma­cher, sondern nordische Mytho­logie, eine andere Welt, eine andere Kultur, über die wir über­zi­vi­li­sierten Liberalen nicht richten dürfen oder gar können.

Die Frage aber bleibt: Warum das Ganze? Gesetzt, es wäre Robert Eggers wirklich gelungen, sich und uns in die Weltsicht der Wikinger zu versetzen, dann bleibt doch die Frage, wozu das eigent­lich gut sein soll?
Und natürlich die Frage, was es über unsere Zeit aussagt, wenn sich offenbar Millionen Menschen tatsäch­lich davon begeis­tern lassen, virtuell in einen Haufen primi­tiver Mordbuben verwan­delt zu werden? Als Trai­nings­spiel für den nächsten Kriegs­ein­satz mag das Ganze noch angehen. Aber als Unter­hal­tung? Als Kunst?

Immer wieder kippt die hyste­ri­sche, allzu gewollte Inten­sität in Albern­heit um. Über­trei­bung wird zur Lächer­lich­keit, Exzess zur Präten­tion.

Warum ein Film wie dieser jetzt ins Kino kommt, kann man sich recht gut erklären. Da ist zum einen die Tatsache, dass das Nordische und die nordische Mytho­logie und Geschichte gerade schwer in Mode sind, seit mehrere Wikinger-Serien auf den bekannten Streaming-Platt­formen Erfolge haben.

Es gab sowieso immer mal wieder Wikinger-Filme im Kino. Unver­gessen ist The Vikings, in dem Kirk Douglas und Tony Curtis im Lenden­schurz über die Leinwand der späten 50er Jahre hüpften. Ich glaube, ich habe Kirk Douglas überhaupt zuerst durch diesen Film kennen­ge­lernt. Ein Sklave und ein Wikin­ger­prinz kämpfen darin um die Liebe einer gefan­genen Prin­zessin (Janet Leigh). The Vikings stammt von Richard Fleischer, dem – nomen est omen – Genie des Trashigen im Hollywood-Kino jener Jahre.
Die Wikinger wirken hier richtig zivi­li­siert, eben wie die ersten Ameri­kaner, die Vorläufer jener weißen angel­säch­si­schen Protes­tanten, die 1776 das neue Jerusalem gründeten. In Eggers' Film wirken sie nicht mehr so zivi­li­siert wie dort, eher wie ein India­ner­stamm, wie unzi­vi­li­sierte Halb­pri­mi­tive, die von einem merk­wür­digen System aus Aber­glaube und Opfer-Ritualen und vor allem durch härteste Gewalt zusam­men­ge­halten werden.
Histo­risch gesehen hat das manches für sich – wahr­schein­lich waren die Wikinger schon ein bisschen zivi­li­sierter und mensch­li­cher, als sie in diesem Film erscheinen.

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Aber natürlich waren früher Gesell­schaften auf Blut, Furcht und Eigennutz gebaut. Nur ist dies ja keine histo­ri­sche Doku­men­ta­tion, die für den Discovery Channel oder Terra X gemacht ist, sondern ein Block­buster, ein Film, der Millionen begeis­tern und fesseln soll, um Millionen zu erwirt­schaften.

So gesehen glaubt man eher, dass diese Orgien aus Gewalt und Primi­ti­vität für die Macher und das von ihnen anvi­sierte heutige Publikum einer­seits eine Entlas­tungs­funk­tion haben; man lebt also im Kino aus, was im wahren Leben nicht mehr erlaubt ist.
Doch im selben Atemzug äußert sich hier ande­rer­seits auch eine verbor­gene Sehnsucht nach der Klarheit des Primi­tiven. Nach der Einfach­heit einer Gesell­schaft, die alle Komple­xität abwirft und in der der körper­lich und mili­tä­risch Stärkste regiert.
»Oh, dass wir unsre Ururahnen wären...«

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Diese einhel­lige Liebe zum Primi­tiven verwun­dert – »das könnt ihr doch nicht ernst meinen« will man dauernd aufstöhnen: »Nackte Männer dreschen aufein­ander ein, dreck- und blutü­ber­su­delt – das alles hat keinen Charme, keine Eleganz außer dem Charme und der Eleganz der Rohheit. Eine Form von unver­hoh­lenem Primi­ti­vismus.«

Wir sehen hier also ameri­ka­ni­sche Träume; Träume vom Primi­ti­vismus und vom Neuanfang und von einer Welt voller Gewalt, gegen die die Wolfswelt des Hobbe­schen Leviathan gar nichts ist. Der Körper ist zum Zerschlagen und Zerhacken da, die Menschen werden auf jede mit den damaligen Waffen denkbare Art verstüm­melt und malträ­tiert. Erlaubt ist, was dem Volk, dem Reich und vor allem ihren Führern nutzt. Wir erleben gerade real­po­li­tisch in unserer Gegenwart, wohin so etwas führen kann.
Keine Über­ra­schung ist daher, dass die ästhe­ti­schen Treu­händer Holly­woods auch in Deutsch­land hier loyal sind. Sie lieben diesen Film. Sie preisen die intensive, düstere, böse, abgrün­dige Atmo­s­phäre.

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Im Film geht es der Haupt­figur ähnlich: Mono­ma­nisch kreisen die Rache­ge­danken in seinem Hirn, der eine Reim, der ihn seit seiner Kindheit begleitet: »I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle.«
Der Traum der Kindheit hat sich schon lange gewandelt zu einem Alb, den er nicht loswird. Er raunt in ihm. »It’s a nightmare.« weiß Amleth. »Then you might wake up«, flüstert seine Beglei­terin Olga ihm zu. Er könnte aufwachen. Aber in seinem Innersten will er gar nicht.
Diese Olga, eine Russin, die man heute viel­leicht gern in Ukrai­nerin umbenannt hätte, ist das einzig mensch­liche Wesen in diesem Film – jeden­falls in unserem zeit­genös­si­schen Sinn von Humanität. Sie gehört zu jener Gruppe von Sklaven, der sich Amleth frei­willig ange­schlossen hat, um unerkannt nach Island zu kommen und seine blut­rüns­tigen Pläne zu reali­sieren.

Amleth weiß, dass Schicksal Schicksal ist. Und wenn Björk in ihrem ersten Spielfilm-Auftritt seit Dancer in the Dark einem sagt, dass man sein Schicksal erfüllen muss, dann nimmst man es halt ernst. Erst recht als Wikinger.

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Viel lieber aller­dings würden wir Amleth dabei zusehen, wie er etwas Über­ra­schendes tut und sein Leben in die eigenen Hände nimmt. Aber The Northman bleibt von Anfang bis Ende ein grausames und gerad­li­niges Spektakel. Nur ist das, was zwischen den blutigen Schlachten passiert, nicht spannend genug.
Immerhin an Hamlet dürfen wir am Ende doch noch einmal denken, als die von Nicole Kidman gespielte Mutter wieder auftaucht. Wie war das noch bei Shake­speare?
Hier nun wird man als Zuschauer fast von selbst auf psycho­ana­ly­ti­sche Deutungs­muster geführt. Denn als Amleth von seiner Mami zurück­ge­wiesen wird, und er sich, weil er Mami nicht befreien kann, kurz mal auf das Russen­girl Olga einlässt, ist es auch mit dem tatsäch­lich holly­woo­desken Hoff­nungs­schimmer so schnell wieder vorbei, wie mit dem schönen Wetter in Island. Amleth scheut das Weib und tötet lieber. Schicksal ist Schicksal. Sein Leben ausschließ­lich der Rache zu widmen, vor allem wenn man es statt­dessen mit Anya Taylor-Joy verbringen könnte, ist trotzdem ziemlich dumm und glück­li­cher­weise unzeit­gemäß.
So bleibt am Schluss die Frage: Wie kann etwas nur so blutig und lang­weilig zugleich sein?

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Die einzige echte Recht­fer­ti­gung für diesen Film ist sein Umfeld: Eine mehr und mehr homo­ge­ni­sierte Kino­land­schaft, die so sehr von leerem Spektakel entmachtet wurde, in dem Kritiker darauf kondi­tio­niert wurden, milde Über­ra­schungen wie Staats­ge­heim­nisse zu behandeln, ihrem Geschmack nicht mehr zu vertrauen, auf Bildung keinen Wert zu legen und aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. In so einem Umfeld muss dann Robert Eggers wirklich als Genie erscheinen. Und in so einem Umfeld und einer Kino-Ära, die von Kompro­missen geprägt und fast zerstört wurde, ist The Northman in seiner Kompro­miss­lo­sig­keit und Arroganz und Weigerung, sich Vorgaben zu unter­werfen, tatsäch­lich einer der wichtigen und blei­benden Filme des Jahres. Faszi­nie­rend in seiner Primi­ti­vität, seinem blut­ge­tränkten magischen Realismus, seiner Verrückt­heit, seinem Exzess. Ein Film mit der Wucht einer Walküre. Beiden möchte man nicht im Dunkeln begegnen.

Er erinnert uns daran, wie selten wir heut­zu­tage ein großes, lautes Spektakel zu sehen bekommen, das nicht auf Super­helden und Schurken aus den Comics basiert, sondern auf der kühnen Phantasie, oder wenigs­tens dem schlechten Geschmack und der Geldgier eines Menschen. Das allein verdient schon Respekt.

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»...unser Jahr­hun­dert, Götter­däm­me­rung, Ragnarök –, mensch­liche Zeiten, liberale: Aufwar­tungs- und Halb­tags­vor­stel­lungen von allen Dingen, nichts wird rund gesehen, nichts allgemein. Alles ist uferlos, ideo­lo­gisch und jeder darf entwei­chen. Aber da hämmert eine Gruppe das Absolute – ihm verfal­lend, aber es geistig über­win­dend – in abstrakte harte Formen: Bild, Vers, Flöten­lied.« – Gottfried Benn, s.o.