Deutschland 2020 · 89 min. Regie: Andres Veiel Drehbuch: Andres Veiel, Jutta Doberstein Kamera: Matthias Fleischer Darsteller: Friederike Becht, Nina Kunzendorf, Ulrich Tukur, Edgar Selge u.a. |
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Kampf um die politische Verantwortung | ||
(Foto: 2020 zero one film / Julia Terjung) |
Andres Veiel hat seit seinen Anfängen als Film- und Theaterregisseur großes Gespür und Talent bewiesen, den Finger auf die Wunden deutscher Befindlichkeit zu legen und auf neuralgische Punkte deutscher Geschichte und Gegenwart hinzuweisen. Sei es dokumentarisch in Filmen wie Die Überlebenden, Black Box BRD oder Der Kick, spielfilmartig in seiner Exegese Wer wenn nicht wir über die Vorgeschichte der RAF, aber auch immer wieder in seinen Theaterarbeiten wie das 2017 mit Jutta Doberstein entwickelte, interdisziplinäre, partizipative Recherche- und Theaterprojekt zur Zukunft der nächsten zehn Jahre, »Welche Zukunft?! – Let Them Eat Money«, das aus der Zukunft des Jahres 2028 auf die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre zurückblickt.
Ein wenig wie eine mainstreamkompatible Auskopplung dieses Theaterprojekts sieht sich Andres Veiels ebenfalls mit Jutta Doberstein entwickelter und für die ARD produzierter Fernsehfilm Ökozid. Auch hier dient die Zukunft als Brennglas, um die Vergangenheit (und Gegenwart) besser sezieren zu können. Wir schreiben allerdings bereits das Jahr 2034. Das Klima ist zu diesem Zeitpunkt noch ein wenig mehr »den Bach runtergangen« als es schon in unserer Gegenwart der Fall ist, Greta und Fridays for Future scheinen wirkungslos geblieben zu sein, denn Dürre und Hochwasser haben die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen nun endgültig vernichtet. In einem provisorischen Interimsgebäude in Berlin wird die Klimakatastrophe zum Gegenstand eines juristischen Verfahrens. Zwei Anwältinnen vertreten 31 Länder des globalen Südens, die ohne Unterstützung der Weltgemeinschaft dem Untergang geweiht sind. Sie stellen die Frage nach Verantwortung, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Ranghohe Vertreter aus Politik und Industrie sind als Zeugen geladen. Das Gericht muss entscheiden, ob die deutsche Politik für ihr Versagen beim Klimaschutz zur Rechenschaft gezogen und damit ein Präzedenzfall für Klimagerechtigkeit geschaffen wird.
Veiel inszeniert dieses Gerichtsdrama mit einer ähnlich glatten, fast schon aseptischen TV-Ästhetik und einem moralischem Impetus wie Lars Kraumes ebenfalls für die ARD inszeniertes Ferdinand von Schirach-Stück TERROR. Doch anders als Kraume integrieren Veiel und Doberstein noch einen thrillerartigen Subplot, der sich ein wenig wie die Fortsetzung von Julia von Heinz' Und morgen die ganze Welt sieht, in dem die frühere Umweltaktivistin Larissa (Friederike Becht) nun als Anwältin versucht der Ungerechtigkeit der Welt zu begegnen und dabei auf einen alten Bekannten trifft, der inzwischen seine destruktiven Social-Media-Strategien für die Gegenseite entwickelt.
Veiel und Doberstein gelingt es mit diesem erzählerischen »Add-on«, dem faktischen, semi-dokumentarischen Panzer, den sie hier auffahren, Geschmeidigkeit und vor allem Emotionalität zu verleihen. Dafür müssen zwar einige plakative und stereotype Momente in Kauf genommen werden, doch insgesamt, vor allem auch durch die dann doch überraschende Wendung am Ende, sind diese Einbußen leicht zu verschmerzen. Mehr noch als eine emotionale Bindung bei »Krisenthemen« fast unerlässlich ist, um das Zielpublikum zu erreichen, das hier anvisiert ist. Denn die ARD hat Veiels Ökozid mit der 20.15 Uhr-Schiene tatsächlich den Premium-Sendeplatz zugebilligt, den das Thema verdient hat, um damit vielleicht wirklich so etwas wie einen Trigger zu schaffen, der die Debatte über unsere Klimakatastrophe über die übliche Randgruppenaufmerksamkeit hinaushebt.
Denn was Veiel im Kern verhandelt und mit explosiven, dichten und präzise gesetzten Informationen anheizt, weiß kaum jemand, geht aber jeden etwas an. Veiel zeigt, wie die Politik unserer Gegenwart und jüngsten Vergangenheit einer durch die Globalisierung auf Glück und Verderben zusammengewachsenen Welt alle Zukunfts-Chancen nimmt. Veiel legt dafür den diesen Entwicklungen zu Grunde liegenden politischen Lobbyismus und die Korrumpierbarkeit der Politik in seiner ganzen moralischen Fragwürdigkeit bloß, und zeigt dies vielleicht am erschütterndsten an dem Topos, der dem Deutschen am liebsten ist, sein Auto und die Autoindustrie und natürlich, was Gerhard Schröder und Angela Merkel damit zu tun haben.
Am Beispiel des Emissions-Etikettenschwindels für SUVs und ihren Erfolg dürfte selbst dem abgebrühtesten Emissions-Leugner und SUV-Befürworter das große Kotzen kommen. Mehr noch als die auch im Gerichtssaal dystopisch angedeutete Zukunft durch die Dreharbeiten im Juni markante Corona-Zeichen aufweist. Die durch Plexiglas abgetrennten Sprechkanzeln im Gerichtssaal vermitteln damit, was wir alle nur zu gut wissen: die Pandemie ist nur der Anfang, die viel härtere und schwierigere Aufgabe kommt erst noch.
Erstausstrahlung am 18. November 2020 um 20.15 Uhr im Rahmen der ARD-Themenwoche #WieLeben und bis zum 16.12.2020 in der ARD-Mediathek verfügbar.