Frankreich 2023 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Julien Hervé Drehbuch: Julien Hervé Kamera: Jérôme Alméras, Emmanuelle Youchnovski Darsteller: Christian Clavier, Didier Bourdon, Sylvie Testud, Marianne Denicourt, Julien Pestel u.a. |
||
Die Stunde der Wahrheit... | ||
(Foto: Weltkino) |
Ohne Zweifel dürfte jeder in diesem Film sofort an den Culture-Clash-Classiker Monsieur Claude und seine Töchter denken, denn auch in Julien Hervés‘ Oh la la – Wer ahnt denn so was? steht Christian Clavier im Zentrum des Geschehens.
Ist das Claude-Franchise mit dem 2021 erschienen dritten Teil Monsieur Claude und sein großes Fest nach starkem Start inzwischen etwas ausgelatscht und überflüssig, besitzt Hervés Komödie nicht nur durch seine angenehm kurzen 92 Minuten eine erfrischende Knackigkeit.
Das liegt zum einen an den hervorragenden und vor allem immer wieder politisch völlig inkorrekten Dialogen, die von Anfang an – einer eindrücklichen Szene in einem Autohaus – durch ein auffälliges Deutschland-Bashing überzeugen. Und gleichzeitig an der Kunst mit wenigen Pinselstrichen die Borniertheit des französischen Mittelstands zu skizzieren. Spannend wird es dann jedoch noch einmal mehr, als die gut aufgestellte Mittelstandsfamilie in ein benachbartes Château fährt, weil der erwachsene Sohn dort seinen Eltern seine künftige Ehefrau vorstellen will. Was niemand außer dem jungen Paar weiß: im Vorfeld haben beide ihren Eltern über Haare und Spucke den genetischen »Fußabdruck« genommen und in einem assoziierten Labor, in dem die Tochter arbeitet, einen DNA-Test zur Herkunftsanalyse anfertigen lassen, der zur Feier des Tages von jedem der Beteiligten einzeln geöffnet werden soll.
Mit dem Öffnen der diskreten Briefe lässt sich Hervés‘ Film allerdings ausreichend Zeit, um so boulevardesk wie bissig über die Hierarchien im gegenwärtigen Frankreich zu poltern, die durch Kleidung, Wortwahl und Körpersprache mal mehr und mal weniger diskret ihre Wirkung entfalten. Das Ensemble um den von Christian Clavier erwartungsgemäß borniert dargestellten Adeligen Frédéric Bouvier Sauvage ist mit Didier Bourdon, Sylvie Testud, Marianne Denicourt, Chloé Coulloud Sophie Froissard und Julien Pestel hervorragend aufgestellt, was nicht nur durch den verbalen Slapstick und ein differenziertes Overacting, sondern vor allem auch über die ruhigen Momente der »Besinnung« deutlich wird.
Nach dem der gesellschaftliche Nicht-Konsens abgearbeitet ist, kümmert sich Julien Hervé, der übrigens auch das Drehbuch geschrieben hat, mit großer Lust und Laune um die Dekonstruktion der im ersten Teil etablierten und gesellschaftlich zementierten Identitäten.
Das sieht sich nicht nur wie eine lustvolle Breitseite gegen alle identitären Bewegungen unserer verkorksten politischen Gegenwart aus, sondern macht auch als »Familienfilm« Spaß, weil Hervé nebenbei auch etwas über alte und neue Liebesbeziehungen zu erzählen hat.
Vor allem aber gefällt Hervés burlesker Diskurs über das, was Identität ist. Damit orientiert sich Oh la la in Ansätzen zwar an Culture-Clash-Formaten wie dem eingangs schon erwähnten Monsieur Claude, geht aber letztendlich noch einen Schritt weiter, weil es am Ende nicht die Herkunft, sondern der Glaube an die Herkunft ist, der entscheidet, wie wir uns verhalten.